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dinsdag 15 februari 2011

Chinese Whispers- Richard Ramsbotham


Het volgende artikel is met toestemming van de redactie van Perseus overgenomen:

Der Europäer Jg. 15 / Nr. 4 / Februar 2011
Symptomatisches aus Politik, Kultur und Wirtschaft
Richard Ramsbotham, Stourbridge (GB)
Aus dem Englischen von Carlotta Dyson

Serapis, Steiner und die Meister
I n dem Gesellschaftsspiel «Chinese Whispers» [«stille Post» oder «Telefon-Spiel»] wird ein Satz im Flüsterton von einer Person an eine andere weitergegeben. Dabei verändert er sich allmählich, bis die letzte Person zur allgemeinen Erheiterung den Satz in seiner letzten Fassung laut ausspricht. Es gibt eine anthroposophische Form dieses Spiels, wobei etwas, das Rudolf Steiner gesagt oder geschrieben haben soll, von einer Person
einer nächsten weitergegeben wird und es nach und nach eine beträchtlich andere Gestalt annimmt. Beispiele hierfür finden sich gegenwärtig unter den eigenartigen Behauptungen, die über die «Meister» und Rudolf Steiners Beziehung zu
ihnen in Umlauf sind. Diese können nicht auf eine, sondern auf zwei ursprüng -
liche Äußerungen Rudolf Steiners zurückverfolgt werden, die jedoch bald schon miteinander verschmolzen wurden. Die erstewurde von Friedrich Rittelmeyer nach einem Gespräch mit Rudolf Steiner über die «Meister» notiert: «Über den Organismus dieser Meister hat mir Dr. Steiner einmal gesagt, dass zwei im Osten wirken, zwei im Westen und zwei in der Mitte; einer aber ‹geht durch›. Das letztere habe ich im Sinne der Vermittlung aufgefasst und unter diesem einen Meister – ich weiß nicht bestimmt, ob es Steiner selbst gesagt hat – den Skythianos verstanden. Die zwei Meister in der Mitte
sind wohl mit Sicherheit Christian Rosenkreutz und der Meister Jesus.»1
Die zweite Äußerung ist eine schriftliche Antwort Rudolf Steiners auf zwei Fragen von Alma von Brandis über die Meister.

Rudolf Steiners Schema der Meister für Alma von Brandis (GA 264)
Die erste Frage war:
«Sind die verschiedenen Meister sozusagen Teile einer Wesenheit, so dass diese Wesenheit dann zwölf verschiedene Meister in sich enthält, von denen immer sieben im Physischen verkörpert sind und fünf im Geistgebiet bleiben?» Steiner bestätigte dies und fertigte auch eine Zeichnung dieses aus 12 Meistern bestehenden Organismus an (siehe Zeichnung). Steiner machte gegenüber von Brandis eine weitere Bemerkung, die sich besonders auf den «siebten Meister» bezieht: «Der 7. ist der Diener der anderen 6, wird von ihnen beherrscht und der 7. beherrscht dann die anderen 5, d.h. sie zur Verkörperung bringend. (Es sind immer sieben inkarniert. Inkarniert sich der achte, so wird der erste nicht inkarniert.)»2 Mit diesen kurzen, privaten Aussagen Rudolf Steiners begann das Spiel der «Chinese Whispers» [das «stille-Post-Spiel» oder das «Telefon-Spiel»]. Hella Wiesberger, Herausgeberin des Bandes mit Steiners Anweisungen für die Esoterische Schule (GA 264), hat diesem Band einen von ihr selbst verfassten Aufsatz mit dem Titel «Die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen
im Werk Rudolf Steiners» hinzugefügt. Sie verweist darin auf Steiners Aussage, dass sieben Meister physisch inkarniert sind, und obwohl sie sie nicht ausdrücklich mit den von Rudolf Steiner erwähnten Meistern gleichsetzt, nennt sie auf einmal sieben Meister mit Namen, die oft in theosophischen Kreisen erwähnt werden.3 «Durch (...) die Fragebeantwortung(...), dass von den führenden zwölf Geistern nur sieben für den physischen Plan in Betracht kommen, erklärt sich, warum in der Theosophical Society
von sieben Meistern gesprochen wurde: den Meistern Kuthumi, Morya, Jesus, Christian Rosenkreutz (nach seiner Inkarnation im 18. Jahrhundert auch der Graf von Saint-Germain genannt), Hilarion, Serapis und der sogenannte venezianische Meister.»4
Dann verbindet Wiesberger diese mit dem theosophischen (und New Age-) Begriff der «sieben Ausstrahlungen»: «Diese Siebenheit verstand man als die sieben Ausstrahlungen
des Logos und jedem Meister wurde entsprechend seinem Strahl eine besondere Wirkensweise zugeschrieben.» Wiesberger weist darauf hin, dass diese Lehren allerdings
nicht mit Rudolf Steiners Darstellungen vereinbar sind. Sie fügt dann aber hinzu, dass trotzdem zwischen diesem Bild der «sieben Ausstrahlungen» und Rudolf Steiners Bild gewisse Ähnlichkeiten bestehen: «Jedoch von einer siebengliedrigen Wirksamkeit der Meister hat auch Rudolf Steiner gesprochen, wie aus (...) jener Fragebeantwortung vom 29. Mai 1915 hervorgeht.»
Wiesberger verbindet diese dann mit der Äußerung Friedrich Rittelmeyers: «Auf eine ihm von anderer Seite gestellte Frage nach dieser Siebengliedrigkeit habe er geantwortet: Zwei wirken im Osten, zwei im Westen, zwei in der Mitte, einer aber geht durch. [Überliefert durch Friedrich Rittelmeyer.]» Möglicherweise verfügte Hella Wiesberger nicht über Rittelmeyers ursprünglichen Wortlaut, denn eigenartigerweise erwähnt
sie Skythianos, den Rittelmeyer als denjenigen, welcher «durchgeht», betrachtet hat, hier nicht. Rittelmeyer hatte auch 
gesagt, dass Steiner Christian Rosenkreutz und Meister Jesusausdrücklich als «die zwei in der Mitte» bezeichnet hatte. Dies außer Acht lassend, bringt Wiesberger ihre eigene geistige Geographie vor und vertritt den Standpunkt, dass diese beiden Meister eigentlich die «zwei im Westen» sind: «Der Ausdruck ‹in der Mitte› bezieht sich nicht auf Mitteleuropa, sondern auf den Mittelmeerraum als Weltmitte; Mitteleuropa gehört global gesehen zum Weltwesten, weshalb Rudolf Steiner auch immer von den beiden Meistern des Westens als denjenigen sprach, die für Mitteleuropa maßgebend sind.»5
*
Wiesbergers Ausführungen, welche Steiners Darstellungen der Meister mit denjenigen in der theosophischen Literatur in Verbindung bringen, wurden bald von anderen als etwas von Rudolf Steiner selbst Gesagtes wiederholt. 1993 veröffentlichte Christian Karl ein Handbuch über Anthroposophie mit Hinweisen auf fast alles, worüber Steiner jemals
gesprochen hatte. Im folgenden Hinweis auf Steiners «schriftliche Fragen - beantwortungen» für Alma von Brandis erhält der Leser entschieden den Eindruck, dass die Aussage von Rudolf Steiner stammt:
«Von den zwölf Meistern sind sieben im Physischen tätig [zwei im Westen: Meister Jesus = Zarathustra, Christian Rosenkreutz = Graf Saint-Germain, zwei im Osten: Kuthumi and Morya, zwei in der Mitte = Mittelmeergebiet (der so genannte venezianische
Meister und Hilarion) und einer ‹geht mitten durch› (Serapis)], während die anderen fünf im Geistigen bleiben. Sie alle sind Teile einer Weisheit, entsprechend den zwölf
Wesensgliedern.»6 Auf diese Weise lässt der Enzyklopädismus ganze Welten von Spekulationen zwischen zwei eckige Klammern gleiten. Wie ein altes Sprichwort sagt, sitzt der Teufel immer im Detail. Virginia Sease hat ebenfalls Hella Wiesbergers Spekulationen als beglaubigte Tatsachen hingenommen. Sie schreibt daher – was nirgends von Rudolf Steiner gesagt worden ist: «Es gibt auch Menschheitslehrer, Meister der Menschheit, die mit der Mitte und dem Süden verbunden sind: Meister Hilarion
und der sogenannte venezianische Meister.»7 In einer Anmerkung dazu zitiert Sease sogar die Seitenzahl in GA 264, wo Wiesberger dies schreibt, ohne jeglichen Hinweis auf die Tatsache, dass es sich dabei nicht um Worte Steiners, sondern um solche Wiesbergers handelt. Doch während Christian Karl, Wiesberger folgend, nirgends erwähnt, dass der «siebte Meister » Skythianos – und daher nicht der «Meister der vierten Ausstrahlung
», Serapis – sein soll, versucht Sease, in Anbetracht der Worte Rittelmeyers, die Aussagen Rittelmeyers und Wiesbergers zu verknüpfen, und kommt somit zu dem bizarren
Schluss, dass der siebte Meister sowohl Skythianos als auch Serapis sei (!):
«Und dann gibt es eine Meister-Individualität, die sich zwischen diesen Bereichen bewegt. Dieser Meister wird in Rudolf Steiners Schriften nicht sehr ausdrücklich behandelt; er taucht jedoch in Gesprächen auf, sodass wir diesen Meister hier mit einem gewissen Grad von Zuversicht erwähnen können. Er heißt Serapis, und in Gesprächen hat Rudolf Steiner diese Meister-Individualität mit Skythianos gleichgesetzt.»

C.W. Leadbeaters Schema der Meister (aus The Masters of the Path,
Teil 4, Kap. 12)
Unter «Chohan 6th Initiation» sind aufgeführt: Master Kuthumi – Master
The Count – Master Jesus – Master Hilarion – Master Serapis – The Venetian
– Master Morya 

(Auf die Gefahr der Wiederholung hin: Rudolf Steiner hat Serapis nirgends mit Skythianos identifiziert, denn er hat nirgends von einem Meister Serapis gesprochen.)
*
Judith von Halle hat nun eine nächste Variante von all dem geliefert. In mindestens zwei öffentlichen Vorträgen zum Thema «Wer war Rudolf Steiner?» hat sie genau das gleiche
Material behandelt.8 Zunächst sprach von Halle über den Kreis von zwölf Meistern
– wobei immer fünf in der geistigen Welt verbleiben, während sieben auf der Erde inkarniert sind. Dieser vollkommene Kreis, sagte von Halle, bildet die «Weiße Loge».9
Dann nannte sie die Namen und die geographischen Regionen der sieben inkarnierten Meister – genau wie Christian Karl diese beschrieben hatte, d.h. einschließlich der beiden «Meister », die Steiner niemals erwähnt hatte, den «venezianischen Meister» und Serapis, und ohne Skythianos zu erwähnen. Von hier an begann von Halle ihre eigenen Forschungsergebnisse über den «siebten Meister» mitzuteilen. Alle zwölf Meister, sagte sie, umgeben die «ewige Christus-Wesenheit» oder den «ewigen Geist des Logos» und dienen ihm. Die Verbindung der sechs inkarnierten Meister (des Ostens, des Wes
tens und der Mitte) zu dieser «ewigen Christus-Wesenheit» ist sozusagen eine indirekte, die durch die fünf Meister in der geistigen Welt für sie vermittelt wird. Der siebte Meister jedoch
steht, wie keiner der anderen, in einer ganz direkten und unvermittelten Beziehung zu dem «ewigen Geist des Logos». Der Name dieses Meisters ist für von Halle (wie für Karl) Serapis. Als Krönung ihres ganzen Vortrags offenbarte von Halle, dass hier Rudolf Steiners wahre Identität zu finden sei. Rudolf Steiner ist der siebte Meister, Serapis.10
Von Halle untermauerte diese Behauptung, indem sie die Beschreibung des «siebten Meisters» als desjenigen, der «hindurchgeht », weiter ausbaute. Ein Aspekt davon sei die Tatsache, dass die anderen sechs Meister «durch» Serapis sprechen. Der siebte Meister, der Vertreter des Ich, ist derjenige, der den anderen sechs eine Stimme verleiht. (Es ist natürlich leicht ersichtlich, wie dies mit der Tätigkeit Rudolf Steiners in Verbindung gebracht werden könnte). Ferner betonte sie, dass Serapis «durch alle Zeiten (Epochen) hindurchgeht.» Dies verband sie ebenfalls mit Rudolf Steiner, denn «im Gegensatz
zu Christian Rosenkreutz, der mehr im Verborgenen wirkte und nie öffentlich über Geheimwissen spricht, ‹geht [Rudolf Steiner] durch alles hindurch.›»11 Wie ein Ausrufezeichen zum Abschluss des Vortrags bot von Halle eine scheinbar überraschende Bestätigung dafür, dass Rudolf Steiner der Meister sei, der «ganz durch alles hindurchgeht », indem sie einen Abschnitt von Anna Samwebers Erinnerungen
an Rudolf Steiner zitierte.12 Nach einem Vortrag in Berlin13 sagte Samweber zu Rudolf Steiner: «Während Ihres Vortrags kam in mir die Frage auf: Wer sind Sie? Wer waren
Sie? Wer werden Sie sein?» Samweber fährt fort: «Der Doktor antwortete sofort und
zeichnete vor mir auf den Tisch eine Kurve:

Seine Individualität ziehe sich wie ein roter Faden durch die ganze Erdenentwicklung und sei schon vor deren Beginn dagewesen. Er fuhr mit folgenden Worten fort: ‹Wenn Sie mit Liebe und Begeisterung darüber nachsinnen, dann werden Sie noch in diesem Leben erfahren, wer ich bin.›.»
*
Ich habe nicht den Eindruck erwecken wollen, dass von Halles Darstellung Rudolf Steiners als Serapis, der siebente Meister, bloß unglaubwürdig ist. Ganz im Gegenteil. Sie ist außerordentlich suggestiv – nicht zuletzt durch die scheinbare Anhäufung
von «Nachweisen», die von einer Person an die andere weitergegeben worden sind und schließlich in diesen gewaltigen Ausspruch münden. In einem anthroposophischen Vortrag jedoch – wie überhaupt in jedem Vortrag – sollten wir um jeden Preis die Macht starker Suggestionskraft vermeiden. Wir wollen nun jede einzelne der Aussagen Judith von Halles näher betrachten:
Der siebte Meister ist der Vertreter des Ich. Er ist der Meister, der «hindurchgeht».
Der siebte Meister ist der Vertreter des Ich – nach der Darstellung des Organismus der Meister, die Rudolf Steiner aufgezeichnet hat (siehe Bild auf S. 12). Das muss jedoch nicht unbedingt heißen, dass die sieben physisch inkarnierten Meister in diesem Organismus mit den sieben Meistern [des Ostens, des Westens, der Mitte und dem einen «dazwischen»] identisch sind, über welche Steiner zu Friedrich Rittelmeyer gesprochen
hatte. Die beiden Aussagen können natürlich – möglicherweise– denselben Organismus beschreiben, aber wenn das der Fall sein sollte, auf welche Weise? Ist der Meister Jesus
als der «Vertreter» der Verstandesseele und Christian Rosenkreutz als der «Vertreter» der Bewusstseinsseele anzusehen? Und wie steht es mit den anderen vier Meistern? Dies scheint keine sehr fruchtbare Betrachtungsweise dieser Meister zu sein, besonders da Steiner von Christian Rosenkreutz schon in seiner Inkarnation als Lazarus-Johannes als der Individualität spricht, die fähig ist, alle sieben Wesensglieder des Menschen
vollständig in sich zu tragen und zu harmonisieren.14 Aber vielleicht ist jemand anderer in der Lage, diese Frage näher zu beleuchten. Alle anderen Meister «sprechen durch» den siebten Meister. Der Ausdruck «geht hindurch» hat von Halle zufolge die weitere
Bedeutung, dass die anderen sechs inkarnierten Meister «durch» den siebten Meister sprechen. Wie schon erwähnt, fügte sie noch die Ansicht hinzu, dass Serapis der einzige der sieben inkarnierten Meister sei, der in einer direkten, unmittelbaren Beziehung zu der «ewigen Christuswesenheit» stehe. Der siebte Meister, wie von Halle ihn darstellt – und den sie mit Rudolf Steiner identifiziert – ist daher fraglos der größte aller zwölf Meister der «Weißen Loge». Er «regiert» die fünf Meister in der geistigen Welt, und verleiht nicht nur den anderen sechs inkarnierten Meistern eine Stimme, sondern er genießt
auch eine völlig andere Art von Beziehung als sie zu dem «ewigen Geist des Logos».
Das ist nicht nur in starkem Widerspruch zu Steiners eigenen Worten, dass «der siebte (...) der Diener der anderen sechs [ist], (...) von ihnen beherrscht [wird]», sondern es würde auch bedeuten, dass sowohl Christian Rosenkreutz als auch der Meister Jesus nur eine indirekte Beziehung zu dem Christuswesen haben, während Rudolf Steiner eine direkte Beziehung hat. Das ist eine so unmögliche Vorstellung, besonders in Anbetracht des Schicksals des Christian Rosenkreutz und des Meisters Jesus mit Bezug auf die Christus-Wesenheit, dass ich aufrichtig hoffe, dass ich Judith von Halle hier missverstanden habe.

Dieser Meister heißt nicht Skythianos, wie Rittelmeyer sagt, sondern Serapis.
Hier handelt es sich um ein großes methodisches Problem – wenn nicht gar
um eine methodische Unhöflichkeit. Denn diese ganze Diskussion über den
Meister, «der hindurchgeht», geht ausschließlich auf Friedrich Rittelmeyers eigene
Worte, mit welchen er sein Gespräch mit Rudolf Steiner beschreibt, zurück. Rittelmeyer sagt ausdrücklich, dass er Rudolf Steiners Hinweis auf Skythianos bezogen habe und dennoch gibt von Halle (wie auch Wiesberger und Karl) einen völlig anderen Namen an,
der von Steiner nie als «Meister» genannt worden ist, und hält es nicht einmal
für notwendig, darzulegen, warum wir diesen Meister nicht als Skythianos
ansehen sollten.15 Darüber hinaus ist alles, was wir über Skythianos wissen, dazu angetan, eine Ansicht von ihm als dem siebten Meister zu befestigen. Erstens ist er der Meister, der die Fähigkeit besitzt, zwischen dem Osten, dem Westen und der Mitte
zu vermitteln. Skythianos ist «einer der großen Eingeweihten, die Mysterienstätten
im Westen gegründet haben»,16 jedoch «in einer späteren Inkarnation die Geheimschulen in Zentralasien geleitet hat, und der später auch der Lehrer der esoterischen Schulen in Europa wurde.»17 An anderer Stelle beschreibt Steiner, wie Skythianos «auch in alten Zeiten, von den Bewohnern Skythiens umgeben, gelebt
hatte», wo es seine Aufgabe gewesen sei, «eine bestimmte Form des Mysteriums von Golgatha in die slawische Kultur einzuführen.»18 Thomas Meyer bemerkt zu diesen verschiedenen Aufgaben des Skythianos: «Wir können daraus schließen, dass Skythianos mit einer östlichen, einer europä ischen und einer westlichen Mission verbunden war; zudem scheinen die Einflussgebiete, die seiner östlichen und seiner europäischen
Mission entsprechen, einander zu durchdringen.»19 Zweitens stimmt der Ausdruck «geht durch» in gewisser Weise deutlich mit einer anderen Aussage Steiners über Skythianos überein: «Es ist seine Aufgabe, nicht nur die Wiederverkörperung des Menschen zu lehren, sondern auch die Menschheit über das zu unterrichten, was von Ewigkeit zu Ewigkeit herrscht.»20 Wenn wir drittens diesen Meister doch als denjenigen ansehen,
der die fünf «unsichtbaren Meister» «beherrscht», – «sie zur Verkörperung bringend», – ist es gewiss vorstellbar, dass dies die Rolle des Skythianos sein könnte, dessen Weisheit
«selbst in die Tiefen der Geheimnisse des physischen Leibes drang.» In diesem Zusammenhang spricht Steiner unmissverständlich über Skythianos als einem «der höchsten Eingeweihten der Erde.»
Meines Wissens ist das einzige bisher vorgebrachte Argument dafür, dass Skythianos nicht der siebte Meister sein könnte, dass Steiner ihn als «Bodhisattwa» bezeichnet – und
dass er daher nicht zum Kreis der 12 «Meister», sondern zu demjenigen der 12 Bodhisattwas gehört. Das hält jedoch einer näheren Prüfung nicht stand, denn im selben Vortrag, in dem Steiner Skythianos als den «großen und verehrten Bodhisattva
des Westens» bezeichnet, sagt er: «Die drei großen Geistwesen und Individualitäten, die uns unter den Namen Zarathustra, Gautama Buddha und Skythianos bekannt sind,
sind sozusagen Inkarnationen von Bodhisattvas.» Wenn also Skythianos nicht als Meister anzusehen ist, gilt das gleiche für den Meister Jesus (Zarathustra), was natürlich unsinnig
ist.21 Im siebten Meister ist die wahre Identität Rudolf Steiners zu sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand die Meinung vertreten könnte, dass dieselbe Individualität sowohl in Rudolf Steiner als auch in Skythianos lebte, da die innere Gebärde und die geistige Signatur dieser beiden großen Eingeweihten so grundverschieden ist. Rudolf Steiner ist als der Meister Serapis anzusehen. Ebensowenig kann es eine Verwechslung zwischen der Individualität Rudolf Steiners und dem theosophischen Meister Serapis geben. Zwischen 1875 und 1879 stand der «Meister Serapis» in regelmäßiger Verbindung22 mit H.P. Blavatsky und Colonel Olcott. Ursprünglich wollte Olcott nicht, dass Blavatsky, geschweige denn er selbst, mit ihrer Arbeit nach Indien ziehen sollten, wie er in einem Brief an Stainton Moses aus dem Jahre
1876 deutlich macht: «Es wäre gut, wenn Sie Imperator (...)
bitten könnten, etwas zu unternehmen, um zu verhindern, 
dass Mme. Blavatsky nach Indien geht. (...) Sie sehnt sich so nach ihrem heiligen Ganges und der Gesellschaft ihrer Brüder, dass ich befürchte, dass wir sie verlieren werden.»23 Wie Blavatsky mitteilte, erfolgte ihre schließliche Abreise auf Anweisung von Serapis. Am 14. November 1878 notierte sie in dem Tagebuch, das sie mit Olcott teilte: «Morya kam herein (...) kam mit ausdrücklichen Anweisungen von Serapis. Müssen gehen; das letzte vom 15. bis 20. Dez. (...) Oh Gott, oh Indra mit dem goldenen Gesicht! Ist das wirklich der Anfang vom Ende!»24 Es blieb weiterhin ungewiss, ob Olcott sich von seinem Leben in Amerika losreißen könnte. Als er dennoch vor Ablauf der von Serapis gesetzten Frist erschien, und das Schiff die Küste verließ, schrieb Blavatsky: «Consummatum est (...) S hat sich durchgesetzt und wir haben den amerikanischen Boden am 17. verlassen.»25 Es würde wohl niemand so leicht auf die Idee kommen, dass der siebzehnjährige Rudolf Steiner, in seinem letzten Schuljahr in Wiener-Neustadt, gleichzeitig an Blavatsky und Olcott in Amerika Anweisungen erteilte, sich nach Indien einzuschiffen. Einen anderen Serapis gibt es aber nicht. C.W. Leadbeater war der erste, der es unternahm, die «Große Weiße Bruderschaft», wie sie von Blavatsky und anderen innerhalb der theosophischen Bewegung bezeichnet worden war, nach dem Prinzip der «sieben Ausstrahlungen» zu schematisieren. (Siehe Bild auf S. 13) Leadbeaters Beschreibung von Serapis lässt keine Zweifel offen, dass er sich auf dieselbe Individualität bezieht, die mit Blavatsky und Olcott in Verbindung gestanden hatte. «Die vierte Ausstrahlung steht unter der Schirmherrschaft des Meisters Serapis. In der Anfangszeit der theosophischen Bewegung hörten wir eine ganze Menge von ihm aufgrund der Tatsache, dass er zu einem gewissen Zeitpunkt die Schulung von Colonel Olcott unternommen hatte.»26 Leadbeaters Schema ist, trotz Abänderungen, in den Schriften von Annie Besant, Alice Bailey und in den «Ascended Master Teachings» grundsätzlich unverändert geblieben.
Daher beziehen sich die Bemerkungen Hella Wiesbergers, wo sie versucht, Rudolf Steiners Darstellungen der Meister mit den theosophischen Beschreibungen der «Meister der sieben Ausstrahlungen» zu verbinden, spezifisch auf Leadbeaters Schema. Wenn also Judith von Halle (oder Virginia Sease oder Christian Karl) es unternimmt, der Individualität von Serapis, wie er in den theosophischen Schriften dargestellt wird, eine
besondere Bedeutung beizumessen, dann lenkt sie unsere Aufmerksamkeit auf niemand anderes als den «Meister», der unter anderem die besondere Anweisung erteilt hatte, dass Blavatsky und Olcott das Hauptzentrum der theosophischen Gesellschaft
nach Indien verlegen sollten. Rudolf Steiner hat Anna Samweber bestätigt, dass er der Meister sei, der «durchgeht». Anna Samweber berichtet, dass Steiner, nachdem er die Kurve auf den Tisch gezeichnet hatte (siehe S. 14), geäußert hätte, «seine Individualität ziehe sich wie ein roter Faden durch die ganze Erdenentwicklung und sei schon vor deren Beginn dagewesen. » Dann hatte er hinzugefügt: «Wenn Sie mit Liebe und
Enthusiasmus nachdenken, werden Sie noch in diesem Leben finden, wer ich bin.»
So eindrucksvoll diese Worte über Steiners Individualität unzweifelhaft sind, ist es jedoch unmöglich anzunehmen, wie Samweber auf dieser Grundlage «noch in diesem Leben» zu einer Identifizierung Steiners mit dem Meister Serapis hätte gelangen können, den er niemals erwähnt hatte. Und wenn von Halle sagt, dass Samweber auf Grund dieser Zeichnung zu der Einsicht hätte kommen können, dass Steiner der Meister ist,
von dem es heißt, er «geht durch», ist das ebenfalls kaum vorstellbar, da Steiner diese Worte nur ein einziges Mal, und zwar in einem privaten Gespräch, verwendet hat.
Samwebers Gespräch mit Rudolf Steiner hat vermutlich im Mai 1923 stattgefunden. Ich sehe keine Veranlassung dazu, diese Zeichnung nicht als eine gewaltige Perspektive auf dem Schicksalsweg von Steiners Individualität zu verstehen, der das Leben von Aristoteles sowie von Thomas von Aquino mit umfasst. Steiner sprach dann sieben Monate später, auf der Weihnachtstagung 1923, über wichtige Stationen dieses Weges.27 Einige Zuhörer waren in der Lage, das von Steiner Gesagte mit dem Schicksalsweg seiner eigenen Individualität zu verbinden. Es ist daher durchaus denkbar, dass Steiner es Samweber zutraute, aus ihrer eigenen Einsicht zu dieser Perspektive zu gelangen.
*
Von Halle ist nicht die Einzige, die über Steiners Beziehung zu den Meistern Behauptungen aufstellt. Andere Autoren äußern die Meinung, dass Rudolf Steiner eigentlich der Meister Jesus sei.28 Ich werde mich nicht eingehend hiermit befassen, sondern lediglich dazu Stellung nehmen, insoweit es das Phänomen der anthroposophischen «Chinese Whispers» berührt.

Manche dieser Autoren finden «Indizien» für Steiners Identität mit Meister Jesus in der Tatsache, dass nach dem theosophischen Kongress in Budapest 1909 Alfred Meebold Rudolf Steiner gefragt haben soll: «Sind Sie der … ?», worauf Steiner geantwortet haben soll: «Ja, aber nehmen Sie es nicht persönlich. »29 Wenn das wahr sein sollte, dann muss die Frage doch wohl nicht den Meister Jesus betroffen haben, sondern das Thema, das gewissermaßen den ganzen Kongress überschattete, die Frage nach dem Bodhisattwa des 20. Jahrhunderts, der zu dem Zeitpunkt von Annie Besant und anderen mit dem
jungen Krishnamurti identifiziert worden war. Die mögliche Bedeutung der Worte «Nehmen Sie es nicht persönlich» ist von Elisabeth Vreede überzeugend erörtert worden.30 Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, haben manche dennoch dieses Zitat
dazu verwendet, andere davon zu überzeugen, dass Steiner bejahend auf eine Frage über seine Identität mit dem Meister Jesus geantwortet habe. Die zwei eklatantesten Beispiele von «Chinese Whispers» müssen wohl die folgenden, von Thomas Schickler und Werner-
Christian Simonis, sein. In Reinkarnationsfragen Rudolf Steiners schreibt Thomas Schickler, dass Monica von Miltitz gesagt hatte, dass zwei verschiedene Personen ihr erzählt hätten, dass ein «sehr vertrautes Mitglied» einmal zu Rudolf Steiner gesagt
hätte: «Herr Doktor, wir glauben, dass Sie Zarathustra sind». (!) Worauf Rudolf Steiner selbstverständlich geantwortet hätte: «Ja, das stimmt, und ich möchte, dass meine Schüler das wissen. »31 Wenn diese Art Forschung zulässig werden sollte, dann
wird es bald Hunderte von «Personen» und «sehr vertraute Mitglieder» geben, die Rudolf Steiner jede beliebige Frage gestellt und sofort darauf eine bejahende Antwort erhalten haben werden. Ohne sich solcher Umwege zu bedienen, berichtet Werner-
Christian Simonis uns einfach von einer «privaten Äußerung von Marie Steiner, in der sie ihren Kummer zum Ausdruck brachte, dass keines der Mitglieder der anthroposophischen Gesellschaft erkannt habe, dass Rudolf Steiner der ‹Meister Jesus›
sei.»32 Es ist schwer zu entscheiden, was hier mehr beleidigt wird: die Intelligenz der Leser oder die Kommunikationsfähigkeiten sowohl Rudolfs als auch Marie Steiners. Denn wenn Rudolf Steiner tatsächlich «gewollt haben soll, dass seine Schüler wissen
sollten», dass er der Meister Jesus sei, und wenn Marie Steiner es für so wichtig hielt, dass die Mitglieder das wissen sollten, ist es dann nicht verwunderlich, dass diese Tatsache solange unbekannt geblieben ist, bis Schickler und Simonis darüber
Auskunft gaben?
*
Rudolf Steiner selbst hat über den Meister Jesus in einer Weise gesprochen, die jede Möglichkeit einer Verwechslung ausschließt. Es war wiederum Friedrich Rittelmeyer, der Rudolf Steiner darüber befragt hat: «Auf eine Frage nach dem ‹Gottesfreund vom Oberland› habe Rudolf Steiner geantwortet, dass er der Meister Jesus gewesen sei, der seit dem Mysterium von Golgatha in jedem Jahrhundert inkarniert sei. Auf die weitere Frage, ob er auch jetzt inkarniert sei, wurde geantwortet: ‹ (...) derzeit hält er sich in den Karpathen auf ›, und Rudolf Steiner habe angedeutet, dass er mit ihm in rein geistiger Verbindung stehe».33 Walter Johannes Stein, der dies mit Rittelmeyer besprochen
hatte, bemerkte Weiteres über Steiners Beziehung zu dem Meister Jesus: «Rittelmeyer sagt: Als er eine Lebensskizze Dr. Steiners zu schreiben hatte, erzählte ihm Dr. Steiner im Beisein Frau Dr. Steiners: Er hätte zwei Initiatoren gehabt: Christian Rosenkreutz und den Meister Jesus (Zarathustra). Letzterer wies ihn auf Fichte. Ersterer wirkte durch ‹Felix Balde›.»34 Von denjenigen, die behaupten, dass Rudolf Steiner der Meister Jesus gewesen sei, haben einige es vorgezogen, diese Äußerungen Rittelmeyers und Walter Johannes Steins nicht zu beachten. Michael Heinen-Anders wählt eine andere Methode,
indem er behauptet, dass Rittelmeyer und Stein sie erfunden haben müssen: «Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, zu wem Rudolf Steiner zeitlebens ein engeres Verhältnis hatte, zu W. J. Stein, zu Friedrich Rittelmeyer oder – und das scheint mir in diesem Zusammenhang die treffende Antwort zu sein – zu Marie Steiner-von Sivers?»35
Von Wichtigkeit ist hier natürlich die Frage, wessen Beschreibung vertrauenswürdiger ist – Friedrich Rittelmeyers – von seinem Gespräch, bei dem Marie Steiner auch anwesend
gewesen sein soll – oder Simonis’ – von Marie Steiners «privater Äußerung», ohne Angabe von Ort und Zeit oder wem gegenüber sie gemacht worden sein soll.
Darüber hinaus behaupten fast alle Autoren, die Rudolf Steiner als den Meister Jesus darstellen, dass er gleichzeitig eine Reinkarnation von Jeshu ben Pandira, dem Bodhisattwa des 20. Jahrhunderts, gewesen sein soll. Das ist die genaue Wiederholung des «Grundirrtums der Theosophen», wie Emil Bock ihn bezeichnet: – der Verwechslung der Identitäten des Jesus von Nazareth und des Jeshu ben Pandira. Dieser «Grundirrtum» ist in erster Linie von H.P. Blavatsky und Annie Besant vertreten und ausdrücklich von Rudolf Steiner angesprochen und korrigiert worden: «Jeshu ben Pandira (...) ist weder mit dem Jesus des Lukas-Evangeliums noch mit dem Jesus
des Matthäus-Evangeliums zu verwechseln.»36 In Anbetracht dessen muss deutlich ausgesprochen werden, dass diejenigen, die Steiner als den Meister Jesus darstellen, in
höchstem Maße entweder die Opfer oder die Vertreter von Absichten sind, die Resultate geisteswissenschaftlicher Forschung bewusst zu verwirren.
*
Wir leben in einer verwirrenden Zeit, nicht zuletzt was Fragen
der spirituellen Identität betrifft. Zwei Bücher, die beide
die Frage «Wer war Demetrius?» behandeln und die beide
vom Verlag am Goetheanum herausgegeben worden sind,37
geben ganz verschiedene Antworten. Zwei Bücher bieten
auch ganz verschiedene Antworten auf die Frage: «Wer war
Marie Steiner?»38 Eine wachsende Anzahl Bücher oder Äußerungen
erscheinen, welche die früheren Inkarnationen von
bekannten Persönlichkeiten oder der Autoren selber behandeln.
Das ist nicht zu verhindern. Es ist ein unvermeidliches Risiko,
das mit unseren sich entwickelnden geistigen Fähigkeiten
einhergeht. Es bietet aber auch einen fruchtbaren Boden für
diejenigen, die tiefgreifende Verwirrung in die Ergebnisse der
Geisteswissenschaft bringen wollen. Wir können uns an keine
äußere Autorität wenden, die uns hier helfen könnte. Wir sind
alle aufgerufen, an der Schwelle zur geistigen Wahrheit unser
eigener Hüter zu sein, nur bewaffnet mit unserem gesunden
Denkvermögen und unserem wachsenden geistigen Unterscheidungsvermögen.

Natürlich kann es sich nicht darum handeln, irgendwelche
Forschungsergebnisse, auch nicht diejenigen von Steiner, als
eine Art unfehlbare Offenbarung hinzunehmen. Steiner selbst
hat dies sehr deutlich ausgesprochen: «Ich bitte Sie (…) nichts
auf Autorität und Glauben hinzunehmen, was ich jemals gesagt
habe oder sagen werde. (…) Ich bitte Sie, sich abzugewöhnen
das Autoritätsprinzip; denn von Übel würde das Autoritätsprinzip
für uns werden, (…) Nehmen Sie alles zu Hilfe, und
je mehr Sie zu Hilfe nehmen können, desto besser (…) prüfen
Sie, was ich über Geschichte gesagt habe, an allen Quellen, die
Ihnen zugänglich sind, (…) ich bin überzeugt, je genauer Sie
prüfen, um so mehr werden Sie das, was aus den Quellen des
Rosenkreuzermysteriums heraus gesagt wird, der Wahrheit
entsprechend finden.»39
Steiner war sicher, dass seine Forschungsergebnisse der
strengsten Prüfung standhalten würden. Das sollte uns aber
nicht davon abhalten, dass, wenn eine solche Prüfung Fehler
und Mängel in unserer eigenen Forschung aufdecken sollte,
wir sie erneut in Frage stellen und wo nötig, teilweise oder
ganz verwerfen müssen. All meine Versuche, Judith von Halles
Forschungsergebnisse zu prüfen, zeigen, dass sie in ihrer Darstellung
Rudolf Steiners als den siebenten Meister, als Serapis,
einen schwerwiegenden Fehler begangen hat. (Wir müssen natürlich
die Möglichkeit akzeptieren, dass jemand solch einen
Fehler macht – wie unerwünscht das auch sein möge – vorausgesetzt,
dass die Zuhörer nicht von vorneherein geneigt sind,
das Gehörte entweder gläubig anzunehmen oder zu verwerfen,
sondern sich der Notwendigkeit bewusst sind, es der strengen
inneren und äußeren Prüfung zu unterziehen, die Steiner empfiehlt).
*
Mit diesem Artikel habe ich durchaus nicht sagen wollen, dass
Forschung sich auf das beschränken sollte, was Rudolf Steiner
«gesagt hat». Aber selbstverständlich sollte er nicht in irre -
führender Weise zitiert werden oder, was noch schlimmer ist,
sollte sein Name nicht dazu missbraucht werden, falschen Behauptungen
Autorität zu verleihen. Noch sollten wir Ergebnisse,
die unserem eigenen Standpunkt widersprechen, einfach
ignorieren. Deutliche Beispiele für Letzteres sind die Behauptung,
dass Serapis der siebte Meister sei, unter Außerachtlassung
der Äußerungen Rittelmeyers über Skythianos, oder die
Behauptung, dass Rudolf Steiner der Meister Jesus sei, unter
Außerachtlassung von Steiners Bemerkung, dass der Meister
Jesus in den Karpathen inkarniert sei und dass er, Steiner, mit
ihm in geistiger Verbindung stehe.
Diese grundsätzliche Forschungsethik ist von der mutigen
und originellen Shakespeare-Forscherin Clara Chambrun passend
ausgedrückt und praktiziert worden: «Bevor ich das literarische
Feld betreten habe, habe ich das heilige Versprechen abgelegt,
nie irgendwelche Indizien zu unterdrücken oder zu
entstellen. Wo Tatsachen oder Schlüsse meiner eigenen Vorliebe
oder vorgefassten Meinung entgegenliefen, nahm ich mir
vor, lieber meine eigenen Vorstellungen zu ändern als Tatsachen
zu verfälschen.»40
1909 beschrieb Rudolf Steiner in Budapest einen gewissermaßen
höheren geistigen Aspekt eines solchen Ansatzes41,
demzufolge ein Tatbestand der geistigen Welt, der von jemandem
entdeckt worden ist, nicht wahrheitsgemäß von einem
späteren Forscher erforscht werden kann, solange dieser sich
nicht mit den ursprünglichen Forschungsergebnissen vertraut gemacht
hat:
«Wenn also im Jahre 1900 eine gewisse Tatsache erforscht
worden ist und im Jahre 1950 ein anderer Hellsichtiger ein Stadium
erreicht, die gleiche Sache erforschen zu können, kann
er nur erfolgreich sein, wenn er sich der Tatsache bewusst ist,
dass ein anderer vor ihm die Sache bereits erforscht und ergründet
hat. (...) Die geistige Welt sorgt dafür, dass niemand in
der Lage ist, eigenmächtig zu handeln und zu sagen: ‹Was
schon besteht, kümmert mich nicht. Ich werde nur für mich
allein forschen.› (...)
Vom jetzigen Zeitpunkt an werden innerhalb einer relativ
kurzen Zeit viele Menschen hellsichtig werden, aber sie würden
nur Unwirklichkeit und keine Wahrheit in der geistigen
Welt wahrnehmen können, wenn sie nicht von dem gehört
hätten, was bereits erforscht worden ist. (...) Dieses Gesetz bildet
das Fundament für eine innere, universelle Brüderlichkeit
der Menschen, eine wahre Bruderschaft der Menschen.»42
Man könnte das fast die «okkulte» Bedeutung des Gesellschaftsspiels
«Chinese Whispers» nennen. Es deutet darauf
hin, wie wichtig es manchmal sein kann, die ursprünglichen
Forschungsergebnisse neu zu entdecken, um dadurch manche
bizarren Aussagen, die gemacht werden, ins rechte Licht zu rücken.
Richard Ramsbotham, Stourbridge (GB)
Aus dem Englischen von Carlotta Dyson

1 Der Inhalt dieses Gesprächs zwischen Rittelmeyer und Rudolf
Steiner ist besser bekannt geworden in der von Walter Johannes
Stein wiedergegebenen Form, in der er direkter als Rittelmeyer
Skythianos als den siebten, vermittelnden Meister bezeichnet:
«Skythianos wandere zwischen den sechs anderen
Meistern. Er halte die Verbindung. Zwei im Osten, zwei im
Westen, Meister Jesus und Christian Rosenkreutz in der
Mitte». Zitiert in Thomas Meyer, D.N. Dunlop: Ein Zeit- und Lebensbild,
Basel 1996, Anmerkung 290.
2 Zur Geschichte und aus den Inhalten der ersten Abteilung der
Esoterischen Schule 1904 bis 1914, (herausgegeben von Hella
Wiesberger); GA 264. S. 201– 203.
3 Diese Meister werden oft von H.P. Blavatsky, Annie Besant,
C.W. Leadbeater und Alice Bailey erwähnt. In der New Age-
Bewegung sind sie in den sogenannten «Ascended Master
Teachings» bekannt geworden.
4 Dieses und die folgenden Zitate: GA 264, S. 246.
5 Indem sie Mitteleuropa als den «Weltwesten» beschreibt, bietet
Wiesberger sicher ein willkommenes Gegengewicht gegenüber
der üblichen Überbetonung des anglo-amerikanischen
Westens. Letzteren lässt sie vollkommen außer Acht! Bei
allem Verständnis dafür muss dies leider als eine etwas dras -
tische Überkompensierung angesehen werden.
6 Christian Karl, Handbuch zum Werk Rudolf Steiners, 1993,
S. 264 – 07, Online-Ausgabe (2007– 2010). www.rudolf-steinerhandbuch.
de
7 Dieses und die folgenden Zitate: Virginia Sease und Manfred
Schmidt-Brabant, Compostela: Sternenwege alter und neuer Mysterienstätten,
Verlag am Goetheanum, Dornach, 1999, 12. Vortrag.
Der Europäer Jg. 15 / Nr. 4 / Februar 2011
Serapis und Rudolf Steiner
19
8 Vortrag in Hamburg: «Christian Rosenkreutz und Rudolf Steiner:
Meister der Weißen Loge» auf einer Tagung der Sektion
für Schöne Wissenschaften der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft
im Oktober 2009; und ein Vortrag in Rengolds -
hausen am 28. Februar 2010. Meine Beschreibung der Vorträge
Judith von Halles beruhen auf meinen eigenen Notizen
und meiner Erinnerung an den Hamburger Vortrag sowie den
Notizen eines Zuhörers des Rengoldshausener Vortrags.
9 «Und diejenigen, welche begriffen haben, dass der Fortschritt
der Menschheit abhängt von dem Begreifen des großen Ereignisses
von Golgatha, das sind die, welche als die Meister der
Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen vereinigt
sind in der großen führenden Loge der Menschheit. Und
wie einstmals als in einem lebendigen Welten-Symbole die
feurigen Zungen herniederschwebten auf die Gemeinde, so
waltet das, was der Christus selber als den Heiligen Geist gesandt
hat, als das Licht über der Loge der Zwölf. Der Dreizehnte
ist der Führer der Loge der Zwölf.» (GA 107, Vortrag
vom 22. März 1909). Siehe auch die letzten Seiten des vierten
Kapitels in: Sergej Prokofieff, Der Osten im Lichte des Westens,
Teil III., Dornach, 1997.
10 «Durch Rudolf Steiner, als Meister Serapis, sprach der Sonnenlogos.
» (Nach schriftlichen Notizen des Rengoldshausener
Vortrags von Judith von Halle).
11 Ich habe von Halle so verstanden, dass Rudolf Steiner im Gegensatz
zu Christian Rosenkreutz im Laufe der Geschichte in
vollkommen öffentlichen Inkarnationen erscheint.
12 Anna Samweber, Aus meinem Leben: Erinnerungen an Rudolf
Steiner und Marie Steiner-von Sivers. Die Pforte, Basel, 1982,
S. 36.
13 Samweber nennt ihn einen Vortrag über «Das Michael-Mysterium
und die Mission Michaels». Das ist höchstwahrscheinlich
der Vortrag vom 23. Mai 1923 «Die Schaffung eines Michael-
Festes aus dem Geiste heraus – Die Rätsel des inneren
Menschen» (GA 224).
14 Rudolf Steiners «Letzte Ansprache» vom 28. September 1924
(GA 238, siehe «Ergänzende Bemerkungen zur letzten Ansprache
»).
15 Diese Unterlassung ist etwas so Extremes und Unvertretbares,
dass ich nur annehmen kann, dass Hella Wiesberger die Äußerungen
Rittelmeyers über Skythianos nicht bekannt waren,
und dass sie daher nicht auf sie verwiesen hatte, und dass
Christian Karl und Judith von Halle diese Unterlassung einfach
übernommen haben.
16 Der Orient im Lichte des Okzidents (GA 113), Vortrag vom 31.
August 1909. Zitiert in Thomas Meyer, D.N. Dunlop – Ein Zeitund
Lebensbild, S. 353 und Anmerkung Nr. 287.
17 GA 109, Vortrag vom 31. Mai 1909.
18 GA 158, Vortrag vom 9. November 1914.
19 Thomas Meyer, D.N. Dunlop – Ein Zeit- und Lebensbild, Anmerkung
Nr. 290, S.430.
20 Dieses und die folgenden Zitate: GA 113, Vortrag vom 31. August
1909. (Kursivschrift RR).
21 In GA 264, auf S. 251, sagt Hella Wiesberger, wenn Steiner gewisse
Eingeweihte «einmal Bodhisattva, einmal Meister»
nennt, dass in Bezug auf die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges
der Empfindungen und die Bodhisattvas,
«(...) wohl angenommen werden [darf], [dass] dieselben Rangstufen
gemeint sind.»
22 Viele Briefe von Serapis an Olcott trafen in frankierten Briefumschlägen
ein, was im Vergleich zu den Botschaften der
anderen theosophischen «Meister der Weisheit» ungewöhnlich
war. Letters from the Masters, Second Series, ed. C. Jinarajadasa,
(Adyar 1973), S. 22.
23 Zitiert in: Joscelyn Godwin, The Theosophical Enlightenment,
SUNY Press, NY, S. 298.
24 «The Diaries of HPB» in HPB: Collected Writings, Bd. 1, 1874 –
1878, S. 420.
25 Ebd. S. 431.
26 C.W. Leadbeater, The Masters and the Path, Abschnitt 919.
27 Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als
Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes, Vorträge während
der Weihnachtstagung 1923. (GA 233).
28 Karl-Heinrich Uhlenried, Rudolf Steiner und die Bodhisattva-
Frage, Basel, 2003; Herbert Wimbauer, Die Individualität Rudolf
Steiners, das offenbare Geheimnis der Anthroposophie, Selbstverlag,
1993. Diese Ansicht wird auch von Hermann Keimeyer
vertreten: www.hermannkeimeyer.de
29 Zitiert in: Werner-Christian Simonis, Im Schutze der Meister,
Freiburg 1977. S. 42 – 43.
30 S. Elisabeth Vreedes Vorträge vom 9. und 11. Juli 1930 in:
Thomas Meyer, Scheidung der Geister – Die Bodhisattwafrage als
Prüfstein des Unterscheidungsvermögens, Basel 2010. – Eine vermutete
Identität mit dem Bodhisattwa des 20. Jahrhunderts
verneinte Steiner klar, a.a.o. S. 9.
31 Thomas Schickler, Reinkarnationsfragen Rudolf Steiners, Novalis
Verlag, 2009, S. 105.
32 Werner-Christian Simonis, Im Schutze der Meister, Freiburg,
1977. S. 43.
33 Undatierter Bericht von Friedrich Rittelmeyer. Zitiert in GA
264. S. 238.
34 Notiz vom 9. Juli 1924. Zitiert in: Thomas Meyer, Rudolf Steiners
«eigenste Mission», Basel 2009, S. 92.
35 Aus einem Brief von Michael Heinen-Anders zitiert von
‹Gudrun Gundersen› in: Ist Rudolf Steiner in seinem höheren
Selbst Meister Jesus, ein Diskussionsbeitrag – in: www.hermannkeimeyer.
de
36 Das Matthäus-Evangelium (GA 123), Vortrag vom 4. September
1910.
37 Peter Tradowsky, Demetrius im Entwicklungsgang des Christentums,
Dornach 1992; Sergei Prokofieff, Das Rätsel des Demetrius,
Dornach 1992.
38 Hans Peter van Manen, Marie Steiner. Über ihre Stellung im Weltenkarma,
Dornach 1994; Wilfried Hammacher, Marie Steiner.
Lebensspuren einer Individualität, Dornach, 1998.
39 Die Mission einzelner Volksseelen ... (GA 121), Vortrag vom 17.
Juni 1910.
40 Clara Longworth de Chambrun, Shakespeare Rediscovered, London,
1938, S. 8. Chambrun beschreibt sogar am Anfang ihrer
Arbeit, wie dieses Gelübde «der Verteidigung meiner These
abträglich war.»
41 Wie Steiner im selben Vortrag sagt: «Das, was als moralisches
Gesetz auf dem physischen Plan angestrebt wird, das ist also
ein Naturgesetz der geistigen, der spirituellen Welt.»
42 «Theosophie und Okkultismus des Rosenkreuzers» (GA 109),
Vortrag vom 4. Juni 1909.


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