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vrijdag 1 maart 2013

Vernachlaessigung der Quellen


:Vernachlaessigung der Quellen

JUDITH VON HALLE: Die Templer, Band I: Der Gralsimpuls im Initiationsritus des Templerordens,
Verlag für Anthroposophie, Dornach 2012, 200 Seiten, 22 EUR.

In ihrem neuesten Buch Die Templer, Band 1,
schildert Judith von Halle nach einer einleitenden Überschau über das Wesen des heiligen Gral das Wiederhervortreten des Gralsimpulses
als »karmisch metamorphosierten Strom« im
Templerorden und schildert detailliert, wie die
Initiationsrituale des höchstens Einweihungsgrades aus diesem Impuls gespeist sind.
Im ersten Teil des Buches spannt die Autorin den Bogen vom ersten Hervortreten des
Gralsblutes auf Golgatha über die anfängliche
»Ätherisation« der menschlichen Physis weiter
zu Joseph von Arimathia, der als »Ortebereiter« das aufgefangene Blut des Erlösers nach
Europa brachte, um es in die europäische Erde
einsickern zu lassen, bis zum Untergang des
johanneischen Frühchristentums – als geistige
Quellen des Templerordens. Da diese Ausführungen als Erinnerung an ihr ausführliches
Buch dazu1 zu verstehen sind, soll dieser Teil
hier nicht weiter kommentiert werden.2
 Dieser Zusammenhang dürfte den Kenner der Ausführungen Steiners zum Thema (»Die Templer … werden dort vom heiligen Gral eingeweiht«)
nicht weiter überraschen.3
Sodann wird die geistige Struktur des Ordens
geschildert, wie er sich in verschiedene Grade
gliederte, »dem Stand der Geistesschülerschaft
entsprechend«. Weiter wird dargestellt, dass
im Templerprozess »den gefolterten Komturen,
aber insbesondere dem letzten Großmeister, Jaques de Molay, unter der Folter einige Aussagen über okkulte Rituale des Templerordens abgepresst worden« sind, welche verzerrte Bruchstücke von Einweihungszeremonien seien. Die
Einweihungsrituale vollzogen Templer einer
ausgesuchten kleinen Gruppe von zwölf Komturen mit dem Großmeister in ihrer Mitte, der die Zwölf leitete und inspirierte und dessen
»geistige Kompetenz ... gewissermaßen der
höhere Wille der Zwölf« war. »Die zwölf Komture trugen gemeinsam mit dem Großmeister die spirituelle Verantwortung für die gesamte
geistige und daraus resultierende praktische
Ordenstätigkeit. Die »Wahl« des Großmeisters
erfolgte daher nicht nach einem demokratischen System, sondern nach dem Kriterium,
wer der »im spirituellen Sinne am weitesten
fortgeschrittene und somit weiseste war«, denn
der Großmeister traf seine Entscheidungen »aus
einer rein übersinnlichen Quelle«. Die Initiation
habe an einem »genau dafür bestimmten Ort«
in einer Templerburg in Gebiet von Ariége in
den französischen Pyrenäen stattgefunden, wo
auch die »letzte rituelle Zusammenkunft aller
abgesandten Komture unter der Leitung des
Großmeisters Jaques von Molay im Jahre 1305
stattfand«, an einem Sonntag um Johanni. Es
folgt eine genaue Beschreibung der Räume, mit
Skizzen und architektonischen Details, und des
Ortes, welcher sich an einem ätherisch durchlässigem Kraftort um einen Gralsfels herum be- findet, und den eine »reinkarnierte Gruppe von
Johanneern, nämlich der Templer« als Bauplatz
erwählt hatte. Im zweiten Teil des Buches wird das sogenannte Morgenritual als Teil 1 des höchsten Grades der Templereinweihung ausführlich und erzählerisch geschildert, ab und an unterbrochen von Exkursen. Die Schilderung berührt tief, ist
wie ein innerer meditativer Weg zu lesen und
kann Anregung zu eigenem Erleben sein.
Der Großmeister wird geschildert, wie er die inneren Erlebnisse seiner Adepten über insgesamt sieben Stunden in geistiger Schau verfolgt, da
er »so tief in seinen eigenen Wesenskern hinabgedrungen war« und »wie ein irdischer Helfer des eigentlichen Hierophanten, nämlich Christus, betrachtet werden darf«. Eine Zeichnung auf Seite 93, welche die zwölf Komture am Boden liegend mit dem Großmeister in der Mitte zeigt, mag manche Leser, denen es nicht an
Vorstellungsvermögen und geistiger Erfahrung
mangelt, ebenso befremden, wie Formulierungen in der Art von »schwindelerregende[n]
geistige[n] Himmelshöhen«.
Der Verfasser dieser Besprechung kann den
beschriebenen Vorgang als solchen, auch in
seiner Stimmung, aufgrund eigener Studien
weitgehend so für Ende des 13. Jahrhunderts
(wie die Autorin richtig bemerkt) bestätigen.4
Besonders die Schilderung der Reinigung und
der Führung der Adepten mit verbundenen
Augen treppauf, treppab durch ein Labyrinth
von Gängen bis hin zum Orientierungsverlust
und das Betreten eines Saales mit Kreuzgratgewölbe, in absoluter Stille und Dunkelheit, kann detailliert bestätigt und noch ergänzt werden.
Eine Ergänzung besteht darin, dass die Art der
Treppenanordnung selbst Bedeutung hatte und
der Vorbereitung diente. Nach kurzer Schilderung des französischen Kö-
nigs Philipp IV. (der Schöne) hinsichtlich des mit
ihm verbundenen intellektuellen Materialismus
(was natürlich schon allein ein ausführliches
Kapitel wert wäre) folgt eine ausführliche Darstellung des Zusammenhangs zwischen dem geistigen Erdorganismus und dem eigenen
Leib.5 Nach der Schilderung des Abendrituals
im dritten Teil, wo Molay bei der »heiligen Messe« im purpurrotem Umhang mit weißem Kreuz bekleidet geschildert wird, im Gegensatz zum
Ornat der Komture, beschließt eine Analyse zur
Bedeutung des Templerkreuzes den ersten Band.
Die »unter Folter erpressten, angeblich häretischen Aussagen der Templer« beziehen sich
nach Überzeugung der Autorin auf das in Band 2
zu schildernde Mittagsritual. Trotz aller gebotenen Zurückhaltung, da uns der Band 2 bisher ja nicht vorliegt, kann aus der Quellenkenntnis aller Verhörprotokolle und den vorhandenen Untersuchungen dazu dies jedoch schon jetzt bezweifelt werden. Die einem bestimmten Schema folgenden »Geständnisse« der Templer (wie die
Verleugnung Christi, Bespucken des Kreuzes,
»unsittliche Küsse« und Idolverehrung), welche
keineswegs nur von Komturen stammen, werden stets in Zusammenhang mit dem Aufnahmeritual in den Orden beschrieben,6
 welches zum ersten Grad der Einweihung gehört.7
Insbesondere Molay hat an keiner Stelle okkulte
Rituale von Einweihungszeremonien verraten;
aus guten Grund. Denn Molay war weder eingeweiht (jedenfalls nicht in den dritten Grad), noch Leiter eines Initiationsritus und auch nicht
1305 in Frankreich in den Pyrenäen. Hier zeigt
sich die größte Schwäche des ansonsten sehr
lesenswerten Buches: die fehlende Historizität
und Vernachlässigung des »irdischen Quellenstudiums«. Von Halle kündigt im Vorwort einerseits »keine gängige Abhandlung über das
Wirken der Templer auf dem physischen Plan«
und »keine äußerlich auffindbaren Fakten …«
an. Trotzdem sei der »Beitrag in keiner Weise
weniger historisch zutreffend … als durch exoterische Quellen zutage geförderte Forschungsergebnisse«, sondern sie »berücksichtigt sie«
(die historischen Daten und Ereignisse) »und
nimmt zuweilen auch auf sie Bezug.« In den
Anmerkungen findet sich jedoch kein einziger
Hinweis auf historische Quellen; ein Quellenverzeichnis existiert nicht.
Aus guter Kenntnis und aufgrund des Studiums
der historisch greifbaren Fakten und Quellen
muss der Schilderung der Autorin hinsichtlich
des Ordens und seiner Strukturen, der Rolle der
Komture, des Großmeisters und in weiteren historischen Details fast durchgängig widersprochen werden. Die eindeutige und genügend
dichte Quellenlage8 zeigt, auch im Einklang
mit den wichtigsten Historikern, dass Molay
von 1296/1297 bis Herbst 1306 durchgängig im
Orient war und zwar zumeist auf Zypern. Von
ihm in Zypern gesiegelte Urkunden mit den Unterschriften weiterer Würdenträger belegen dies zweifelsfrei; eine kurze Reise zum Initiationsritual 1305 von Zypern nach Frankreich kann aus vielerlei Gründen9
 definitiv ausgeschlossen werden. Auch die Großmeisterwahl vollzog sich
keineswegs so, wie die Autorin schildert. Das
normale Wahlverfahren ist in den Artikeln 198
bis 223 der Ordensregeln festgelegt. Je zwei
Brüder wählten wiederum zwei Brüder und so
weiter, bis sich ein Kreis von zwölf Wahlmännern gebildet hatte, die dann in geheimer Wahl den Großmeis ter als »Erfahrensten« wählten.10
Molay, der schon 1291 auf dem Generalkapitel
des Ordens auf Zypern durch Kritik am Orden
auffiel und durchblicken ließ, dass er selbst gern
Großmeis ter wäre,11 hat bekanntermaßen die
Großmeis terwahl 1292 zu seinen Gunsten manipuliert,12 wozu es verschiedene Quellen und eine Zeugenaussage gibt.13 Dies führte zu einer
Spaltung im Orden; die Brüder im Okzident, welche eine Mehrheit bildeten, wollten Hugo von Pairaud als Großmeister.14 Papst Bonifatius VIII.
erlässt am 21. Juli 1295 sogar eine Bulle in der
die Erzbischöfe aufgefordert werden, Templer,
die sich gegen den Großmeister auflehnen, auf
den rechten Weg zu bringen. Molay übertrug
danach eine Reihe seiner originären Befugnisse
an Pairaud. Weitere dokumentierte »Besonderheiten« von Molay sind seine oft geschilderte Unzugänglichkeit und Verworrenheit, die Tatsache, dass er im Gegensatz zu den vorherigen Großmeistern bis 1292 kein bedeutendes Amt
bekleidet hatte, nach eigenen Aussagen nur wenige Brüder in den Orden aufgenommen hat, seine »sonderbare Gedächtnisschwäche« bei
Jahreszahlen und Rangverwechslungen sowie
seine Haltung im Prozess. Bei letzterem erwähnt
er 1312 selbst, dass er nicht »gelehrt« genug
sei, um den Orden zu verteidigen und zu bestimmten inneren Themen des Ordens nur wenig sagen könne. Es ist wichtig zu wissen, dass
der Großmeister grundsätzlich nicht eingeweiht
sein sollte oder, wie es die »Geheimstatuten des
Ordens« beschreiben (deren Echtheit allerdings
umstritten ist), nur bis in den zweiten Grad.
Seine Aufgaben waren weltlicher Art: Organisation und Leitung des Ordens, vor allem nach außen, die Verteidigung und Kampf im Orient,
wo er an vorderster Front mitkämpfte und wo
so mancher Großmeister sein Leben ließ. Auch
ohne tiefergehende okkulte Erkenntnisse wird
man verstehen, dass jemand, der tötet, Blut
fließen lässt und voll verantwortlich mit äußeren Angelegenheiten und Politik beschäftigt ist, nicht zugleich hoher Eingeweihter sein kann.
Um Molay herum befanden sich Würdenträ-
ger mit besonderen Aufgaben und ein Rat von
sogenannten »weisen Männer«.17 Die Struktur
des Ordens gestaltete sich viel differenzierter als
von Halle es schildert; es gab Ritter, dienende
Brüder und Priesterbrüder sowie verschiedenste
Ämter. Neben einzelnen Komturen (welche i.d.
Regel übrigens immer nur für vier Jahre gewählt waren) und Würdenträgern mit höheren
Ämtern gehörten auch einige Ordensgeistliche
zu denen, die nicht in Kämpfe involviert und
in den dritten Grad eingeweiht waren. Pierre
de Bologne zum Beispiel, der im Prozess eine
mutige Rede hielt, war anerkannterweise einer
der wichtigsten Verteidiger des Ordens und nicht
Molay. Der Templerstrom führt in »unsere Gegenwart
und Zukunft als vorbereitender Geistesstrom
für das wahre Rosenkreuzertum«, schreibt von
Halle bezugnehmend auf Steiner in der Einleitung und es solle deshalb Recht gesprochen
werden bezüglich der Templer; dieser Antrieb
ist ein unverzichtbares Gut nicht zuletzt für den
Geistesforscher, um nicht blind für die eigene
Zukunft zu werden. Eben deshalb fühlte ich
mich zu diesen Richtigstellungen verpflichtet.
Andreas Meyer

Anmerkungen:
1 Judith von Halle: Joseph von Arimathia und der
Weg des Heiligen Gral, Dornach 2011.
2 Ergänzend zum Gralsthema sei auf das bisher zu
wenig beachtete Buch hingewiesen: Athys Floride:
Die spirituelle Verwandlung der Liebeskräfte als Voraussetzung zur Weltverjüngung im Sinne von Novalis, Borchen 2011.
3 In Gäa Sophie sowie in: Rudolf Steiner: Die Tempellegende und die goldene Legende ... (GA 93) und
Das Johannes-Evangelium (GA 103).
4 Im Frühjahr 2014 wird ein Buch des Autors mit
seinen eigenen, auch geistigen Forschungen zu dieser Thematik und darüber hinaus erscheinen, zusammen mit einer fundierten Schilderung der historischen Fakten, der neuesten Forschungsergebnisse
und einer umfassenden Darstellung und Analyse der
Angaben Rudolf Steiners zum Thema.
5 Als Vertiefung auch dieses Themas sei hier nochmals auf Athys Floride in Anm. 2 hingewiesen.
6 Siehe bspw. Anke Krüger: Schuld oder Präjudizierung. Die Protokolle des Templerprozesses im Textvergleich, in: Historisches Jahrbuch, 117/11, 1997.
7 Auch Rudolf Steiner beschreibt die drei Einweihungsgrade Petrusgrad, Jacobsgrad und Johannesgrad in: Rudolf Steiner: Die Tempellegende und die
Goldene Legende (GA 93).
8 Siehe dazu bspw.: Allain Demurger: Der letzte
Templer, S. 161, DTV 2007.
9 Diese Fakten können hier leider, wie vieles andere
auch, aus Platzgründen nicht detailliert aufgeführt
werden. Es sei deshalb auf das im Frühjahr 2014 erscheinende Buch (siehe Anmerkung 5) hingewiesen,
sowie auf weitere Details in folgenden Artikeln des
Autors an anderem Ort.
10 Allain Demurger, S. 96 ff. sowie 102 ff.
11 A.a.O., S. 98f.
12 A.a.O., S. 100-106.
13 Jules Michelet: Le Procés des templiers, Bd. II,
Reprint Paris 1987, S. 224 f.; es handelt sich um die
Aussage des Templers Hugues de Faur am 12. Mai
1311 in Paris.
14 Siehe dazu u.a.: Krück von Poturzyn: Der Prozess
gegen die Templer, Dornach 2003.
15 Allain Demurger, a.a.O., S. 25 und S. 43.
16 Theodor Merzdorf (Hrsg.): Die Geheimstatuten
des Ordens der Tempelherren nach der Abschrift eines
vorgeblich im vatikanischen Archiv befindlichen Manuscriptes zum ersten Male, Halle 1877.
17 Allain Demurger, S. 47 und S. 182.

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