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zondag 21 mei 2006
Offizieller Abschlußbericht der Urteils-Findungs-Kommission
Offizieller Abschlußbericht der
Urteils-Findungs-Kommission
eingesetzt vom 21. Mai 2006 bis zum 10. Oktober 2008
durch die Mitgliederversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V.
Dr. Erhard Kröner / Alexander von der Geest / Rahel Uhlenhoff
Den Mitgliedern zur Urteilsbildung
Impressum:
Alexander von der Geest, Erhard Kröner, Rahel Uhlenhoff: Offizieller Abschlussbericht der Urteils-
Findungs-Kommission der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V., 2. überarbeitete
Auflage auf der Grundlage des von Rahel Uhlenhoff herausgegebenen unautorisierten
Abschlussberichts der UFK, lektoriert von Friedmut Kröner, Berlin/ Hamburg/ Hannover
10.Oktober 2008.
1. Auflage: Alexander von der Geest, Erhard Kröner, Rahel Uhlenhoff: Autorisierter
Abschlussbericht der Urteils-Findungs-Kommission, eingesetzt vom 21. Mai 2006 bis zum
30. Mai 2008 durch die Mitgliederversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft in
Deutschland e.V., Stuttgart 30. Mai 2008.
1. Auflage: Alexander von der Geest, Erhard Kröner, Rahel Uhlenhoff: Unautorisierter
Abschlussbericht der Urteils-Findungs-Kommission, in eigener Verantwortung hrsg. von
Rahel Uhlenhoff, eingesetzt vom 21. Mai 2006 bis zum 30. Mai 2008 durch die
Mitgliederversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V., Stuttgart
30. Mai 2008.
2. Auflage: Alexander von der Geest, Erhard Kröner, Rahel Uhlenhoff: Offizieller
Abschlussbericht der Urteils-Findungs-Kommission der Anthroposophischen Gesellschaft
in Deutschland e.V., 2. überarbeitete Auflage auf der Grundlage des von Rahel Uhlenhoff
herausgegebenen unautorisierten Abschlussberichts der UFK, Berlin/ Hamburg/ Hannover
10.Oktober 2008.
Inhaltverzeichnis
0. Anmerkungen von Karl-Dieter Bodack und Ingo Krampen X
1. Einleitung zur Entstehung des Abschlussberichts der Urteils-Findungs-Kommission 1
2. Die Vorgeschichte 5
2.1. Ursprung der Spaltung des Initiativkreises 5
2.2. Bodo Hamprechts Alleingang und die Reaktion der IK-Mehrheit 5
2.3. Wirkung auf und Bewertung durch die Beteiligten 10
2.4. Exkurs: Zur Unterschlagung von 1 Million 11
3. Personenkonstellation und Arbeitsweise des Initiativkreises 13
3.1. Tabelle der Personen und Organe 13
3.2. Organe der AAG, AGiD und des AZB im Verhältnis 14
3.3. Personalkonstellationen in Porträts 16
3.4. Mitglieder des Initiativkreises 17
3.5. Mitarbeiter des Arbeitszentrum Berlin 20
4. Die geistige Dimension des Arbeitszentrums Berlin 24
4.1. Das Auftreten der Stigmatisation von Judith von Halle 24
4.2. Die Bekanntmachung der Stigmatisation 28
4.3. Die Reaktionen auf die Stigmatisation 34
4.4. Exkurs: Die Differenz zwischen PT und WUK in Bezug auf die Stigmatisation 41
4.5. Die Differenz zwischen WUK und PT in Bezug auf die Freie Hochschule 44
4.6. Die literarische Fehde zwischen WUK und PT in Bezug auf die Stigmatisation 45
5. Die wirtschaftliche Dimension des Arbeitszentrums Berlin 48
5.1. Einleitung in den Konflikt zwischen IK-Mehrheit und IK-Minderheit 48
5.2. Konflikt um die Nominierung der Vorstandskandidaten 50
5.3. Differenzen in Arbeitsweise und Erfolg von MK und PT 53
5.4. Die schwierige Haushaltslage und die Einsparungsvorschläge 56
6. Die rechtliche Dimension des Arbeitszentrums Berlin 59
6.1. Mitgliederversammlung vom 12. März 2005 60
6.2. Mitgliederzusammenkunft vom 16. April 2005 62
6.3. Mitgliederzusammenkunft vom 7. Juni 2005 65
6.4. Die Passwort-Schloss-Affäre 71
6.5. Das Dornacher Schlichtungsgespräch 76
6.6. Vorbereitung der Kündigung durch den Vorstand 79
7. Die Kündungen von PT und JvH bzw. die Beurlaubung von EL 82
7.1. Die Vorbereitung der Kündigung durch die IK-Mehrheit 82
7.2. Die Durchführung der Kündigungen bzw. Beurlaubung 84
7.3. Die Reaktionen der Betroffenen auf die Kündigungen bzw. Beurlaubung 89
7.4. Die Konsequenzen der Kündigungen bzw. Beurlaubung 91
7.5. Gründung der Freien Vereinigung für Anthroposophie 93
7.6. Basisdemokratische versus vorstandsobrigkeitliche Versammlungen 94
8. Zusammenfassung und Ausblick 97
8. 1. Zusammenfassung der Krise 97
8. 2. Offen geblieben Frage 98
8. 3. Empfehlungen der UFK für die Behandlung gemeinschaftlicher Angelegenheit 100
8. 4. Empfehlung der UFK zur Rehabilitierung von PT 101
8. 5. Empfehlung der UFK zur Förderung von JvH 101
0. Anmerkungen von Karl Dieter Bodack und Ingo Krampen
Um in einigen strittigen Punkten Einvernehmen zu erreichen, die im Zuge der Autorisierung der
Aussagen zweier Interviewter und der Verbreitung des Abschlussberichts entstanden waren, baten
das Arbeitskollegium der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V. und die
Urteilsfindungskommission (UFK) uns um vermittelnde Gesprächsführung. In zwei Gesprächsrunden
wurde Einvernehmen in Bezug auf die Autorisierung einiger Aussagen, die Kommunikation
der Vermittlungsergebnisse, die Weitergabe des Abschlussberichts, die Archivierung der
Dokumente und die Honorierung der Arbeiten erreicht.
Das Arbeitskollegium hat den hier vorliegenden Abschlussbericht der UFK entgegen genommen.
Es sieht damit den Auftrag der Mitgliederversammlung des Jahres 2006 als erfüllt an. Der Bericht
erscheint geeignet, dazu beizutragen, den Mitgliedern die Beurteilung der Geschehnisse im
Arbeitszentrum Berlin von 2004 bis 2006 zu ermöglichen. Allerdings ist das Arbeitskollegium der
Auffassung, dass der Bericht methodische und inhaltliche Mängel aufweist und daher als Grundlage
für eine tragfähige Beurteilung der Berliner Problematik allein nicht ausreichend ist.
Die Arbeitsweisen, die Wahl der befragten Personen, Auswahl und Zusammenstellung der
Aussagen, Texte und Fakten liegen allein in der Verantwortung der UFK. Im Rahmen einer so
umfangreichen Arbeit können Fehler und Missverständnisse nicht ausgeschlossen werden;
übergreifend ist jedoch zu würdigen, dass die wichtigsten Geschehnisse aus verschiedenen
Sichtweisen dargestellt sind.
Judith von Halle bat, folgende Bemerkung aufzunehmen: Der vorliegende Bericht enthält unwahre
und persönlichkeitsverletzende Aussagen von einigen Interviewten über mich. Ich vertrete jedoch
die Auffassung, dass grundsätzlich alle von den Interviewten gemachten Aussagen unverändert
stehen bleiben sollten, um eine maximale Aufklärung der Vorgänge zu gewährleisten. Daher
verzichte ich auf die Tilgung der entsprechenden Aussagen.
Auch Peter Tradowsky erklärte, sich durch einige Aussagen verleumdet und diskriminiert zu sehen,
jedoch nichts dagegen unternehmen zu wollen, da jeder Mensch in vollem Umfang für seine
Aussagen vor der geistigen Welt verantwortlich sei.
Fünf Tatsachenbehauptungen, zwei davon aus Interviews, die die UFK in den Bericht zunächst
aufgenommen hatte, wurden auf Verlangen von Detlef Hardorp, Nana Göbel und Michael Wilhelmi
und auf Vorschlag der Vermittler aus dem Bericht herausgenommen. Klagen der Betroffenen
wegen übler Nachrede wurden dadurch abgewendet, dass die Mitglieder der UFK
Unterlassungserklärungen unterzeichneten. Detlef Hardorp, Nana Göbel und Michael Wilhelmi
machten in einem Gespräch mit den Vermittlern außerdem geltend, dass sich aus ihrer Sicht
wesentliche Gesichtspunkte in dem Bericht nicht wieder finden, nämlich
- dass sich der ursprüngliche Konflikt im Arbeitszentrum an der Zusammenarbeit zwischen Peter
Tradowsky und dem Initiativkreis entzündete, da Peter Tradowsky von einem bestimmten Zeitpunkt
an seine Geschäftsführung nicht mehr an den Initiativkreis gebunden sah,
- dass Judith von Halle in dem Konflikt nicht wegen der Stigmatisation, sondern nur am Rande
aufgrund ihrer Stellung als Sekretärin des Arbeitszentrums eine Rolle gespielt habe und
- dass die Rolle von Nana Göbel in dem Konflikt überbewertet erscheint und im Zusammenhang mit
ihrer Verantwortung als Vorstand der Landesgesellschaft – in Übereinstimmung mit den
Vorstandskollegen/innen – gesehen werden muss.
Der Bericht ist für die Urteilsbildung der Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft verfasst;
viele Aussagen sind nur vor dem Hintergrund der besonderen Verfasstheit und der speziellen
Arbeitsweisen des Arbeitszentrums Berlin verständlich.
Wir als Schlichter hatten nicht die Aufgabe, den Bericht selbst und die verschiedenen Sichtweisen
der Beteiligten zu beurteilen oder zu kommentieren. Uns oblag es nur, eine Verständigung aller
Beteiligten soweit herbeizuführen, dass der Bericht den Mitgliedern der anthroposophischen
Gesellschaft in verständlicher Form, d.h. ohne Schwärzungen o.ä., zugänglich gemacht werden
konnte und dass gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden wurden. Wir identifizieren uns
weder mit dem Bericht noch mit den verschiedenen Beurteilungen des Berichts.
1
Geleitworte
Detlef Hardorp: „Wer aber Selbsterkenntnis unterbindet, wirft immer den anderen
seine eigenen Fehler vor.“1
Wolf-Ulrich Klünker: „Immer mehr wird die Fähigkeit erforderlich, durch Worte
hindurch zu hören, durch Geschehnisse hindurch zu sehen und die Motive der
handelnden Menschen zu bemerken, vor allem aber jenen Punkt ausfindig zu machen,
an dem sich die von Michael vertretene geistige Vergangenheit mit Geistesgegenwart
verbinden kann.“2
1. Einleitung zur Entstehung des Abschlussberichts der Urteils-Findungs-Kommission
Die Berliner Krise vom Anfang dieses Jahrhunderts betrifft zunächst unmittelbar die
Mitgliedschaft der Anthroposophischen Gesellschaft in Berlin, mittelbar jedoch die gesamte
Mitgliedschaft in Deutschland, insbesondere aber den 2002 gewählten Vorstand. Der
Krisenzeitraum erstreckt sich im engeren Sinne auf die Jahre 2003 bis 2006 und reicht damit
bis an die Mitgliederversammlung vom 20./21. Mai 2006 in Kassel heran. Auf dieser wurde
auf Antrag von Peter Tradowsky von den anwesenden Mitgliedern die Urteils-Findungs-
Kommission (UFK) zur Untersuchung der Berliner Krise durch Akklamation eingesetzt.
Am 15. Dezember 2005 war vom Geschäftsführer der Anthroposophischen Gesellschaft in
Deutschland (AGiD) Dr. Richard Everett die telefonische Anfrage des Vorstands an Dr.
Erhard Kröner gerichtet worden, ob er für eine solche Untersuchung für die AGiD zur
Verfügung stehen könnte. Seine Zusage zur Bildung der UFK war an drei Bedingungen
geknüpft:
1. Er hat freie Wahl, sich zwei weitere Mitarbeiter für diese Arbeit zu suchen;
2. Er ist in seiner Arbeit keiner Gruppe, Parteiung oder Strömung verpflichtet, sondern
widmet sich der völlig unabhängigen Untersuchung der Fakten insgesamt, soweit ihm
das gelingt;
3. die AGiD übernimmt die damit verbundenen nicht unerheblichen Kosten.
Die zum Jahresanfang zugesagte Antwort durch die Generalsekretärin erfolgte nicht. Erst in
der besagten Mitgliederversammlung wurde die Bestätigung durch Hartwig Schiller
ausgesprochen, ohne eine vorangehende Fühlungnahme. Deshalb mussten die für die
Konstitution der Kommission erforderlichen drei Bedingungen in der Mitgliederversammlung
1 Detlef Hardorp: E-Mail Betreff: Lageeinschätzung nach der MV in Berlin. An: WUK, MO, JW,
AGiD.Deutschland@t-online.de; Ditlinde Thurm, Hartwig Schiller, Michael Schmock, NG, Bodo v. Plato, MW,
Froeydis Lutnaes Mast, Richard Everett. 12. September 2005.
2 Wolf-Ulrich Klünker: Anthroposophie als Geistesgegenwart. In: Mitteilungen Deutschland. Materialien zur
Mitgliederversammlung (Mai 2005) S. 1.
2
wiederholt werden. Zugleich stimmten Peter Tradowsky sowie die Mitglieder des Vorstands
der Kommissionsbildung zu. Die Aufgabe der Kommission besteht lediglich darin, soweit wie
möglich die Grundlagen für eine Urteils-Findung darzustellen (Teil I: Darstellung) und die
wesentlichen Dokumente zusammenzustellen (Teil II: Dokumente); die Beurteilung selber
obliegt dem einzelnen Mitglied der AGiD.
Am 1. Juli 2006 hat die Kommission ihre Arbeit begonnen und folgende Modalitäten des
Verfahrens vereinbart:
1) Alle drei Mitglieder arbeiten gleichberechtigt der Sache verantwortlich als Glieder
einer Gruppe, die stets einvernehmlich und unabhängig von allfälligen Beurteilungen
Dritter tätig ist.
2) Die vorgesehenen Gespräche und Befragungen (Interviews genannt) der an der Krise
Beteiligten unterliegen der Diskretion. Der gesprochene Wortlaut wird fixiert und von
einem neutralen Schreibbüro zu einem Interviewtext verarbeitet, der dem jeweiligen
Gesprächspartner und den UFK-Mitgliedern allein zugänglich ist. Von diesem Text
macht die UFK nur insoweit Gebrauch, wie er für den Abschlussbericht von den
Beteiligten autorisiert worden ist. Die Originalaufzeichnungen werden nach Erstellung
des Abschlussberichtes vernichtet.
3) Die unter 2) geschilderte Verfahrensweise wird mit jedem Gesprächspartner vor
Beginn der Befragung besprochen und nach seiner Zustimmung praktiziert. Der
Gesprächspartner hat die Möglichkeit zur nicht dokumentierten Äußerung.
4) Die nun folgende Darstellung basiert nicht nur auf den Interviews, sondern auch auf
den im Anhang beigefügten Dokumenten (Briefe, Protokolle, Prozessakten). Die UFK
bedauert, dass ihr die Dokumente ungleichgewichtig zur Verfügung gestellt wurden.
Von Seiten PT, JvH und EL herrschte eher Freigiebigkeit, auf Seiten der IK-Mehrheit
und der Vorstandsmitglieder eher Restriktivität.
5) Zur Begegnung mit den Gesprächspartnern gehört eine persönliche Vorstellung der
UFK-Mitglieder, sowie der Interviewten. Betontermaßen soll nichts gesagt werden,
was nicht mit den Kommissionsmitgliedern behandelt werden kann. Es gibt keine wie
auch immer geartete Verpflichtung zur Mitteilung oder Beantwortung von Fragen.
6) Die Kommissionsmitglieder erklären sich als irrtumsfähig und unablässig bemüht zur
größtmöglichsten Unparteilichkeit. Die allfälligen fehler- oder mangelhaften
Darstellungen entspringen aus Unvermögen, nirgends aus antisozialer Absicht.
3
7) Die Interviews finden in der Regel in einer Berliner Anwaltskanzlei statt, die
wochenends unentgeldlich zur Verfügung steht. Einige wenige Begegnungen fanden
im Rudolf Steiner Haus Berlin und im Rudolf Steiner Haus in Hannover statt.
Im Verlauf der Untersuchung ergab sich dann fernerhin folgendes Verfahren:
8) Die UFK erstellt für die Mitgliederversammlung der AGiD in Kassel (20./21. 5. 2007)
eine Zusammenfassung des Abschlussberichts, die allen Mitglieder der AGiD in den
Mitteilungen bekannt gemacht wird. Die Zusammenfassung enthält trotz aller
Bemühungen, die Standpunkte der Beteiligten und die verfügbaren dokumentierten
Fakten zur möglichst vollständigen und objektiven Darstellung zu bringen, erkennbare
Mängel. Deshalb ist die Zusammenfassung durch eine Summe von
„Richtigstellungen“ (Juni 07) in den Mitteilungen ergänzt worden. Außerdem gehen
weitere Ergänzungen noch in den Abschlussbericht ein.
9) Der Abschlussbericht gliedert sich in zwei Teile: I. Darstellung und II.
Dokumentation. Die Darstellung besteht im Wesentlichen aus chronologisch und
systematisch aneinander gereihten Zitaten. Sie genügt damit weder den
quellenkritischen Standards des Historikers, noch der investigativen Recherche des
Journalisten noch den Kriterien eines politischen Untersuchungsausschusses. Die
Dokumentation soll der Leserin und dem Leser dazu dienen, die Zitate im
Zusammenhang überprüfen zu können.
10) Der Abschlussbericht wird dem Archiv der AGiD übergeben, die Arbeitszentren
erhalten je ein Exemplar zur vorbehaltlosen Einsicht für alle Mitglieder der AGiD.
Eine weitere Veröffentlichung geschieht nur auf Anfrage des einzelnen Mitglieds auf
dessen eigene Kopierkosten. Eine entsprechende Anfrage ist entweder an das
Landessekretariat oder den Vertreter des AZB zu richten. Außerdem erhält der
Vorstand der AGiD sowie jedes Mitglied der UFK eine Kopie.
11) Die von vornherein als unabdingbar benannten „nicht unerheblichen Kosten“ betreffen
Sachkosten (Reise, Verpflegung, Material, Geräte und Schreibbüro) sowie personelle
Kosten (Honorare). Erstere werden anlassgebunden, letztere pauschal nach Abschluss
der Kommissionsarbeit 2008 erstattet.
12) Alle Vereinbarungen gelten solange, wie keine Änderung unter den Beteiligten
vereinbart werden.
13) Zusatz zur zweiten Auflage: Detlef Hardorp hat der UFK seine Emailkorrepondenz
mit dem Vorstand zur freien Verwendung in dreifacher Kopie zur Verfügung gestellt
und diese mündliche Autorisierung später widerrufen. Zur Mitgliederversammlung
4
2007 und 2008 haben Nana Göbel ihr ganzes Interview kategorisch und Wolf-Ulrich
Klünker sein Interview wegen angeblichen Zeitmangels nicht autorisiert. Beide haben
sich also einer Selbstzensur unterworfen, dadurch die Zitation ihrer eigenen Aussagen
blockiert und die Fertigstellung des Abschlussberichts verzögernd behindert. Aus
diesem Grund hat die UFK der Mitgliederversammlung 2008 einen „autorisierten
Abschlussbericht“ präsentiert, in dem die nicht autorisierten Zitate geschwärzt blieben.
Rahel Uhlenhoff hat zusätzlich einen „unautorisierten Abschlussbericht“ in eigener
Verantwortung herausgegeben, in dem die nicht autorisierten Zitate von Göbel und
Klünker ungeschwärzt erschienen. Sie hat damit bewusst gegen die unter Punkt 2
beschrieben Vereinbarung verstoßen, weil sie vor ihrem Gewissen den Auftrag der
Mitgliederversammlung zur Aufklärung und Dokumentation der Berliner Krise die
Priorität vor der Vertuschung durch und der Komplizenschaft zu den nicht
autorisierenden Vorstandsmitgliedern gab, wie sie in zwei Redebeiträgen auf der
Mitgliederversammlung 2008 und in einer an die Zweige versandten UFK-Broschüre
dargestellt hat. Ihr „unautorisierter Abschlussbericht“ bildet nun die Grundlage zu
dieser zweiten Auflage. Denn dank des Drängens von Seiten des neuen
Generalsekretärs Hartwig Schiller und der Schlichter Karl-Dieter Bodack und Ingo
Krampen haben Wolf-Ulrich Klünker schriftlich und Nana Göbel mündlich ihre
Interviews nachträglich autorisiert und Detlef Hardorp hat der Veröffentlichung von
Teilen seiner Emailkorrespondez zugestimmt. Klünkers Interview, das in der ersten
Auflage stilistisch geglättet wurde, wird hier in der von ihm autorisierten, zwar
stilistisch holprigen, aber dafür auf political correctnes hin geglätteten Form
wiedergegeben. Wie in den Anmerkungen von Karl-Dieter Bodack und Ingo Krampen
dargestellt, haben Nana Göbel, Detlef Hardorp und Michael Wilhelmi unter
Klageandrohung gegen die drei UFK-Mitglieder, die Interviewten Sebastian Boegner
und Judith von Halle sowie den Buchhändler Wolfgang Freitag und den Webmaster
von www.geistesschulung.de/anthro/ufk.htm Ralph Boes die Unterlassung von fünf, in
ihren Augen diskriminierenden Passagen gefordert. Diese Passagen sind aus der
zweiten Auflage herausgenommen und durch Weißlassung kenntlich gemacht worden.
Dann hat Judith von Halle ohne Klageandrohung ebenfalls um Herausnahme einer sie
betreffenden Passage sowie um Korrekturen im biographischen Teil über Hermann
Girke gebeten. Und schließlich hat Friedmut Kröner das Lektorat der zweiten Auflage
übernommen, wofür ihm die Mitglieder der UFK einen ganz herzlichen Dank
aussprechen möchten.
5
2. Die Vorgeschichte
2. 1. Ursprung der Spaltung des Initiativkreises
Die Berliner Krise eskalierte im Jahre 2005 in der Spaltung des Berliner Initiativkreises in
eine Mehrheit, zu der Nana Göbel (NG), Detlef Hardorp (DH) , Michael Wilhelmi (MW) und
Froydis Mast gehörten, und eine Minderheit, die aus Peter Tradowsky (PT) und Hermann
Girke bestand. Achtundzwanzig Jahre zuvor hatte sich schon einmal eine Spaltung des
Initiativkreises in eine Mehrheit, zu der damals Friedrich Domeyer, Herbert Dreißig, Ludwig
Köhler, Gerhard Schwarz, Peter Tradwosky, Lotte Volkmer gezählt wurden, und eine
Minderheit, die damals aus BH und Wolf-Achim Fingerhuth bestanden hatte, ereignet. Die
zweite Spaltung war gemäß Martin Kollewijn um die Achse des Mauerfalls gedreht „wie eine
Spiegelung der Vorgänge vor achtundzwanzig Jahren.“3 PT war während beider Spaltungen
Initiativkreismitglied. Die Verhältnisse kehrten sich für ihn allerdings um die
Jahrtausendwende langsam zu seinen Ungunsten um. Während er 1977 noch der
Mehrheitsfraktion angehört hatte, so gehörte er 2005 der Minderheitsfraktion an. MO war
1976 als Christengemeinschaftspfarrerin von Göppingen nach Berlin entsandt worden, aber
noch nicht Mitglied des Initiativkreises. Doch sie erlebte die erste wie auch die zweite
Spaltung als Mitglied des Arbeitzentrums Berlin mit. Die UFK hat MO und PT sowie Wolf-
Achim Fingerhuth daher als Zeitzeugen zu den Vorgängen um 1977/78 angehört und den
übrigen Verlauf aus den brieflichen Dokumenten rekonstruiert.
Die UFK hätte ihre Untersuchungen auf die Berliner Krise zwischen 2004 und 2006
beschränkt, wenn nicht sowohl die Mitglieder als auch die Initiativkreismitglieder des AZB
selbst diese historische Parallele in die Betrachtung miteinbezogen hätten und die langfristige
Spaltung im AZB das anthroposophische Leben in der durch den Kalten Krieg gespaltenen
Hauptstadt nicht stark bestimmt hätte. So soll nun die Personenkonstellation und der
Krisenverlauf der späten 1970er Jahre als Vorgeschichte der Berliner Krise dargestellt
werden.
2. 2. Bodo Hamprechts Alleingang und die Reaktion der IK-Mehrheit
Während der Initiativkreis vor 1977 mehr oder weniger einvernehmlich zusammengearbeitet
hatte, so entzweite er sich bei der Suche nach einem geeigneten Haus für das AZB. Bei der
Suche nach einer physischen Hülle für die anthroposophische Arbeit in West-Berlin
3 Martin Kollewijn: Autorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 5.
Im Folgenden nur noch „Interview“ bezeichnet.
6
kristallisierten sich nämlich zwei unterschiedliche Strömungen anthroposophischen Arbeitens
heraus.
BH, der als nobelpreisverdächtiger Physiker eine Professur an der Harvard University in den
USA ausgeschlagen hatte und somit als Professor für theoretische Physik an der Freien
Universität Berlin sowie als Geschäftsführer des AZB in Berlin geblieben war, suchte ein
Objekt für „eine Welt offene, großstadtgemäße Vertretung der Anthroposophie“4. Ein
mehrstöckiges Haus in der Schlüterstraße 38/39 in der Nähe des Kurfürstendamms im Wert
von 3,5 Millionen D-Mark schien ihm dafür geeignet, sowohl gemeinnützige als auch
gewerbliche anthroposophische Initiativen unter einem Dach zu versammeln und dadurch in
hoch frequentierter Lage die Anthroposophie auch nach außen sichtbar und allgemein
zugänglich zu machen. Als der Geschäftsführer für dieses ehrgeizige Vorhaben keine
Mehrheit im IK hinter sich bringen konnte, wandte er sich am 5. Dezember 1977 in einem
Brief ohne Rücksprache mit den IK-Mitgliedern unter dem Briefkopf des AZB an die
Mitgliederbasis:
„Liebe Freunde!
Der Initiativkreis hat Sie in den letzten Wochen nicht über den Fortgang der Suche nach neuen Räumen
unterrichtet, weil die Einschätzungen seiner einzelnen Mitglieder sehr stark voneinander abweichen und leider
auch gegenwärtig keine Einigung besteht.
Ich halte es aber für meine Pflicht, Sie jetzt endlich von unserer dadurch bedingten Handlungsunfähigkeit zu
unterrichten. Das Arbeitszentrum Berlin wird das Haus Schlüterstraße 38/39 nicht erwerben. Dieses bedeutet
zugleich, auf Gesellschaftsräume in der Innenstadt mit ausreichenden Wachstumsmöglichkeiten sowie mit einem
kleinen Saal und Bühne e n d g ü l t i g z u v e r z i c h t e n , es sei denn, man rechnet mit einem ganz
ungewöhnlichen Glücksfall.
Fehlende Bereitschaft, ein vernünftiges Risiko einzugehen oder auch nur die wirtschaftlichen Umstände ernsthaft
zu prüfen, Abneigung gegen die Atmosphäre am Kurfürstendamm und die Drohung anonymer Gruppierungen
sich gegebenenfalls vom Arbeitszentrums zu trennen, sind die drei hauptsächlichen Ursachen dieser
Entwicklung. Sie charakterisieren eine Geisteshaltung, auf die ich mich nicht einlassen möchte. Die Suche nach
weiteren Häusern habe ich eingestellt, da sie - wie die Dinge liegen - zwecklos ist.
Anders konzipierten Hauskäufen, die sich stärker an dem Bedürfnis der Mitglieder nach seelischer und geistiger
Erbauung orientieren und eine Welt offene, großstadtgemäße Vertretung der Anthroposophie hintanstellen,
werde ich nichts in den Weg legen, aber die Bewirtschaftung eines solchen Hauses kann ich angesichts der
mannigfaltigen Aufgaben der anthroposophischen Gesellschaft in einer immer schneller zugrundegehenden
Kultur nicht zu meiner Angelegenheit machen.
Im Initiativkreis wurde angeregt, Formen der anthroposophischen Arbeit, die nicht von allen getragen werden,
als Zweig-ähnliche Einzelinitiativen zu betreiben. Grundsätzlich erscheint das als ein der weiteren Überlegungen
werter Weg, wenn einmal von genügend vielen Menschen ein wirkliches Interesse daran bekundet wird.
4 Bodo Hamprecht: Brief an die Mitglieder! (mit Briefkopf des AZB). Berlin 5. 12. 1977.
7
Mit herzlichen Grüßen
(Unterzeichnet von Bodo Hamprecht)"5
Daraufhin sahen sich die übrigen IK-Mitglieder aufgefordert, die Mitglieder über ihre Version
ebenfalls in Kenntnis zu setzen und aus dem Alleingang BHs Konsequenzen zu ziehen:
„Liebe Freunde!
Der Initiativkreis des Arbeitszentrums Berlin hat seit seiner Gründung im Advent 1955 die gemeinsame Berliner
Anthroposophische Arbeit mit Ihrer Mithilfe gestalten und intensivieren können in dem Bestreben, Gegensätze
im Interesse des Ganzen zu mildern oder ganz aus dem Weg zu räumen.
Der Brief von Herrn Hamprecht vom 5. 12. 77 an die Mitglieder“ erweckt den „ganz falsche[n] Eindruck“, „dass
die einzelnen Mitglieder des Initiativkreises in der Hausfrage sehr stark voneinander abweichende Auffassungen
vertreten würden.“ Richtig ist aber, „dass sieben Mitglieder des Initiativenkreises sich in der Beurteilung der
Situation hinsichtlich des Hauses einig sind.“
Die IK-Mehrheit habe BH „(bereits im September 1977) gebeten, schriftlich einen nachprüfbaren
Finanzierungsplan und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung vorzulegen. Diese notwendigen Grundlagen zur
Bildung eines Urteils sind uns bis heute nicht vorgelegt worden.“ Darüber hinaus seien sie „nicht der Meinung,
dass wir eine zeitgemäße Öffentlichkeitsarbeit uns dadurch ermöglichen können, dass wir uns mit 3,5 Millionen
Deutsche Mark verschulden und uns die Verwaltung von 92 Mietern aufbürden. Hinzu kommt der schlechte
bauliche Zustand des Hauses Schlüterstraße und die Tatsache, dass der gewünschte Saal im 5. Obergeschoss
liegt und noch auf fünf Jahre fest vermietet ist.“
„Um den Kauf des Hauses Schlüterstraße 38/39 verwirklichen zu können, wäre wiederum eine volle
Einmütigkeit erforderlich gewesen, aber diesem Projekt standen wachsende Bedenken gegenüber. In mehreren
Sitzungen haben wir versucht, Herrn Hamprecht von seinem Vorhaben abzubringen, dass auch von einer großen
Zahl von Mitgliedern sowie Zweigen und Institutionen nicht akzeptiert wurde.“
„Für die Sitzung am 14. 12. 77 war die gemeinsame Abfassung eines Briefes an die Mitgliedschaft vorgesehen,
was durch den einseitigen Schritt von Herrn Hamprecht unmöglich geworden ist. Dadurch hat er das in ihn
gesetzte Vertrauen zerstört, zumal er auch nicht bereit ist, diesen Brief zurückzunehmen, so dass das für eine
Zusammenarbeit notwendige Vertrauensverhältnis sich nicht wieder hat herstellen lassen.“
„Da wir nach Darlegung von Herrn Hamprecht eine Geisteshaltung vertreten, auf die er sich nicht einlassen
möchte, hat er damit die Trennung vollzogen. Es ist die bedauerliche Tatsache festzustellen, dass zwei nicht
miteinander zu vereinbarende Willensrichtungen vorliegen.
Da Herr Hamprecht auf Grund dieser Tatsachen nicht die Konsequenzen gezogen hat, die Geschäftsführung
niederzulegen, haben wir beschlossen, ihm diese zu entziehen.
Wir werden weiter nach dem von uns erstellten Raumprogramm ein geeignetes Haus suchen. Mut zum Risiko,
dort wo es angebracht erscheint, fehlt uns nicht.
(Unterzeichnet von Lotto Volkmer, Gerhard Schwarz, Friedrich Domeyer, Ludwig Köhler, Herbert Dreißig,
Peter Tradowsky und Hermann Girke)“6
5 Bodo Hamprecht: Brief an die Mitglieder! (mit Briefkopf des AZB). Berlin 5. 12. 1977.
6 IK-Mehrheit: Brief an die Mitglieder! (mit Briefkopf des AZB), Berlin 21. 12. 1977.
8
Mit BH wurde zugleich seiner erst kurz zuvor eingestellten Sekretärin Eva-Maria Wahl
fristlos gekündigt. Frau Wahl schrieb, von den Ereignissen ganz überrumpelt, daraufhin am 2.
Februar 1978 einen Brief an den Vorstand der AGiD mit der Bitte um Mediation. Ihren Brief
beantwortete Heten Wilkens wie folgt:
„In der letzten Sitzung des Vertreterkreises haben wir aufgrund einer Darstellung von Peter Tradowsky eine
ausführliche Aussprache zum Thema gehabt. Diese führte zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass eine
dringende Bitte und Empfehlung der Freunde im Vertreterkreis und besonders auch der anwesenden Vertreter
des Vorstandes am Goetheanum ausgesprochen wurde, die volle Einheit des Initiativkreises - über alle
entstandenen Empfindlichkeiten hinweg - zu bewahren. Die Empfindungen, dass seitens der Landesgesellschaft
eine Art‚’Einmischung von außen‘ zur Wirksamkeit kommen könnte, ist schlicht unberechtigt - und man sollte
ihr entschieden entgegentreten. Für gravierende Entscheidungsprozesse bietet sich im Gegenteil immer der
‚runde Tisch‘ sowohl im Arbeitskollegium wie im Vertreterkreis, für freimütige Aussprachen an. Auch wurde
vorgeschlagen, um neue Ausgangspunkte zu gewinnen, gegebenenfalls den Initiativkreis durch einige
Persönlichkeiten zu erweitern. Manfred Schmidt-Brabant wurde gebeten, zu einem geeigneten Zeitpunkt
möglichst in Berlin selbst seinen Rat zu geben.
Es versteht sich von selbst, daß alle Entwicklungen in dieser Frage durch die Beteiligten in Berlin selbst initiativ
gestaltet werden müssen. Ratschläge aus sachlich entlegenen Bereichen der Gesellschaft können nur anregende
Qualität haben. Entscheidend ist der gestaltende Wille im Arbeitszentrum Berlin selbst, der sich aus der
Voraussetzung jener Gewissheit ergibt, die Steiner für das Grundsätzliche immer wieder betont hat: dass Streit in
dieser Gesellschaft [...] aus dem Zusammenhang mit der geistigen Welt herausführt.“7
Als Zwischenbilanz über die Krisenparallele von 1977/78 und 2005/06 ist folgendes Ergebnis
festzuhalten: Während der deutsche Landesvorstand von 1977/78 eine Konfliktlösung durch
Erweiterung des IK und Selbsthilfe der Betroffenen verschlug, forcierte der deutsche
Landesvorstand von 2005 die Spaltung, indem er durch Kündigung in das AZB eingriff und
den IK dadurch personell verkleinerte.
Auf der Generalversammlung des AZB am 22./23. April 1978 in der Rudolf-Steiner-Schule
Dahlem kam es dann zum endgültigen Bruch zwischen der IK-Mehrheit und der IKMinderheit
bestehend aus BH und Wolf-Achim Fingerhuth, Anwalt im Berliner
Kammergerichtsbezirk und junges IK-Mitglied. MO berichtet, „dass da schon ein großer
Knall am Anfang war. Ich bin 1976 nach Berlin gekommen und das war ungefähr die Zeit, als
7 Heten Wilkens: Brief an Eva-Maria Wahl. Berlin 2. Februar 1978.
9
Hamprecht aus dem IK rausflog. Und da [in der Generalversammlung] war ich dabei und
leider hatte mein Kollege Ludwig Köhler damals das Machtwort gesprochen.“8
Wolf-Achim Fingerhut meint sich zu erinnern, dass Herrmann Girke dem Physiker BH eine
„ahrimanische Arbeitsweise“9 unterstellt und deren Hineintragen in das AZB kritisiert habe.
Daraufhin habe, so präzisiert Eva-Maria Wahl das „Machtwort“, Ludwig Köhler BH als
Baum bezeichnet, der von einem „kranken Keim“10 angefressen, mit der Wurzel entfernt
werden müsse.11 Diese Metapher war gerade aus dem Munde eines Pfarrers in der
Christengemeinschaft gut 30 Jahre nach dem Holocaust in Deutschland eine überaus
kränkende Kritik. Die Kündigungsabsicht stand für den IK gegenüber BH bereits vor der
Generalversammlung fest und musste im Grunde genommen nur den Mitgliedern gegenüber
in einprägsamen Worten erläutert werden. Diese verfehlten auch nicht ihre Wirkung. BH
verließ den Saal und Wolf-Achim Fingerhuth folgte ihm nach. Diese Szene kann als der
Exodus des Kerns derjenigen Gruppierung bezeichnet werden, die bald darauf den Johannes-
Zweig gründete.
Im „Informationsbrief für die Mitglieder des Arbeitszentrums Berlin“ vom 16. Mai 1978
wurde BH mit keinem Wort mehr erwähnt, sondern lediglich die wiedergewählten IKMitglieder
aufgezählt:
„Lotte Volkmer, Gerhard Schwarz, Friedrich Domeyer, Ludwig Köhler, Herbert Dreißig, Peter Tradowsky,
Hermann Girke“. Ferner wurde bekannt gegeben: „Die Geschäftsführung wird von Frau Volkmer, Herrn
Tradowsky und Herrn Girke gemeinsam wahrgenommen werden. Die Schatzmeistertätigkeit übernimmt Herr
Tradowsky. Vertreter des Arbeitszentrums Berlin ist gegenüber der Anthroposophischen Gesellschaft in
Deutschland wie bisher Herr Tradowsky, der zugleich als Funktionär gegenüber der Allgemeinen
Anthroposophischen Gesellschaft in Dornach tätig ist. Außerdem wird der Initiativkreis als zweiten Vertreter
Frau Volkmer vorschlagen.“12
Man darf vermuten, dass die älteren IK-Mitglieder zwar die Leitlinie vorgaben, ihrem jungen
und dynamischen Kollegen PT aber gerne die Hauptarbeit überließen. Denn der 44jährige PT
vereinigte nun von 1978 an alle wichtigen Ämter des AZB in seiner Person: Geschäftsführer,
Schatzmeister, Vertreter gegenüber AGiD und AAG.
8 Mechtild Oltmann: Autorisiertes Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 1-
26, hier S. 1.
9 Wolf-Achim Fingerhuth: Gesprächsprotokoll von Rahel Uhlenhoff. Berlin 1. Februar 2007.
10 Wolf-Achim Fingerhuth: Gesprächsprotokoll von Rahel Uhlenhoff. Berlin 1. Februar 2007.
11 Eva-Maria Wahl: Gesprächsprotokoll von Rahel Uhlenhoff. Berlin 1. Februar 2007.
12 Initiativkreis: Informationsbrief für die Mitglieder des Arbeitszentrums Berlin. Berlin 16. Mai 1978.
10
2. 3. Wirkung auf und Bewertung durch die Beteiligten
PT schätzt retrospektiv die erste Spaltung und ihre Bedeutung für die zweite Spaltung
geringer ein als etwa sein heutiger Fraktionsgenosse Hermann Girke. Dieser äußerte sich über
die historische Dimension der Berliner Krise auf der Mitgliederzusammenkunft vom 11.
August 2005 folgendermaßen:
„Die eigentlichen Ursachen wurden m. E. hier nicht angesprochen. Der Johannes-Zweig hatte sich nach einer
ersten Auseinandersetzung im Arbeitszentrum Berlin um 1978 gegründet und hat danach fast nie mit dem
Arbeitszentrum im Rudolf Steiner Haus zusammengearbeitet. Er erhielt sogar eigene Lektoren, was schon
damals viele Mitglieder befremdete. Es herrschte jedoch im größeren Teil der Berliner Mitgliedschaft die
Hoffnung, dass die Zeit die Wunden heilen würde. Ruhige, stetige Arbeit wurde in beiden Strömungen durch
mehr als zwei Jahrzehnte geleistet, auch im Rudolf Steiner Haus, das durch das Architekten-Paar Lechner
gebaut, durch Peter Tradowsky für die Mitgliedschaft schuldenfrei geführt und durch die Mitglieder mit Leben
für Anthroposophie erfüllt wurde. Die Mehrzahl der Berliner Mitglieder und die anderen Zweige arbeiteten im
Rudolf Steiner Haus. Sogar Herr Dr. Wilhelmi wurde in den Initiativkreis aufgenommen. Wir erhofften eine
langsame Heilung der Situation. Mit den Erweiterungen des Initiativkreises kam es dann bald zur Eskalation. Die
Unterschiede zwischen beiden Strömungen brachen erneut auf, was dann durch das Partei-Ergreifen von Herrn
Kollewijn zum offenen Hass der sog. Initiativkreis-Mehrheit gegen die schon seit 1978 arbeitenden Mitglieder
des Initiativkreis’ führte. Nun wurde zunächst Peter Tradowsky nahegelegt nur noch Vorträge zu halten und sich
von der Geschäftsführung und Schatzmeistertätigkeit entlasten zu lassen. Er sei ja Rentner!“13
PT, dem als einem der wenigen noch im Amt befindlichen Zeitzeugen aus der ersten Krise
immer wieder ein Großteil der Schuld an der Spaltung gerade von Nicht-Augenzeugen wegen
des anschließenden Hauskaufs der Bernadottestraße 90/92 zur Last gelegt wurde, nimmt eine
andere Gewichtung vor:
„Ich halte das [die Spaltung des AZB in Johannes-Zweig und RSH] für etwas, was in Wirklichkeit keine Rolle
spielt. Es gibt einige Punkte, einige persönliche Probleme – vielleicht. Also die Situation war so: als Schmidt-
Brabant hier in Berlin war, erzählte dieser einmal, er hätte 120 verschiedene Objekte angeguckt und der
Anthroposophischen Gesellschaft vorgeschlagen. Doch das ist alles nichts geworden. 1975 ging er ja weg nach
Dornach und dann schmorte das Problem weiter.“14 PT berichtet weiter, „dass eben die Gruppe um Wilhelmi,
Hamprecht, Barkhoff und ein paar andre unbedingt meinten, man muss also in die Stadt ins Zentrum ziehen und
da irgendwas machen. Wobei ich also sagen muss: das wird immer dramatisch dargestellt, dass die anderen so
dagegen gewesen sind, das stimmt nach meiner Meinung nicht ganz. Sondern man fand diese Projekte eben
einfach nicht gut. Zum Beispiel ist unten in der Schlüterstraße 38/39 diese Weinhandlung gewesen, das fanden
13 Hermann Girke: Redebeitrage. In: Barbara Illemann: Protokoll der Mitgliederzusammenkunft AZ Berlin 11.
August 2005, S. 1–4, hier S. 3.
14 Peter Tradowsky: Autorisiertes Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin, 23. September 2006,
S. 1–63, hier S. 5. Im Folgenden nur noch Interview bezeichnet.
11
manche Mitglieder natürlich – besonders unsere alten Damen – nicht so wahnsinnig gut. Das wird jetzt so ein
bisschen stark vereinfacht. Die anderen waren natürlich der Meinung: wenn wir an den Kudamm gehen, dann
werden Hunderte, Tausende zu uns strömen usw., wobei ich in dieser Richtung immer eine gewisse Skepsis
hatte.“15 PT hatte vor der ersten Eskalation ein „Objekt in der Richard-Wagner-Straße“ in Augenschein
genommen, das „links hinter der Oper“ lag. Damit möchte er sagen: „Also ich habe überhaupt keine Probleme
mit der Stadt gehabt. Ich bin ja ein Großstadtkind. Also ich würde das nicht irgendwie ideologisch, sondern rein
pragmatisch sehen.“16
„Die Mehrheit,“ so PT weiter, „hat sich dafür entschieden, dass man das [den Kauf des Hauses Schlüterstraße
38/39] nicht verfolgen sollte und die Minderheit, das waren vielleicht 10 bis 15 Prozent der Mitglieder, war
damit nicht einverstanden. Daraufhin gab es eine Art Bruch, der eben dazu geführt hat, dass die Mehrheit dieses
Grundstück da [in Berlin-Dahlem] gefunden hat, wo heute das Rudolf-Steiner-Haus steht.“17 „Und da das Haus
in der Bernadottestraße 90/92 eben günstig war, haben wir [der Initiativkreis für das AZB] das dann gekauft und
die andren haben ja dann den Johanniszweig am Nollendorfplatz aufgebaut.“18
Auf die Frage: „Sie haben aber auch von sehr vielen Mitgliedern die Mitgliederbeiträge eingenommen, während
der Johanniszweig nur die Beiträge vom Johanniszweig hatte? Also von daher hatten Sie auch einen viel
größeren Finanzstock, auf den Sie zurückgreifen konnten?“, antwortet PT: „Ja, natürlich. Also ich sagte ja
ungefähr, dass das Verhältnis 85 zu 15“19 war. Das Mitgliederverhältnis zeigte also von 1978 an ein
Kräfteverhältnis, dessen Schwergewicht bei PT lag. „Ich möchte“, so verteidigt sich PT, „jetzt doch mal
klarstellen: es sind eben die Blütenträume [der Menschen im Johanneszweig] nicht gereift. Es hat sich nämlich
herausgestellt, dass es nach meiner Meinung überhaupt nicht darum geht, wo der Ort ist, sondern was es für
Leute sind. Und es ist ihnen weder am Nollendorfplatz noch in Kreuzberg der Durchbruch gelungen. Das ist
nämlich der Punkt. Während bei unserer Sache sehr viele Leute kamen, waren es bei ihnen weniger.“20
PT zieht daraus das Fazit: „Ich glaube, dass diese ganze Angelegenheit [von 1977/78] letztendlich doch der
Schnee von gestern ist und jetzt vorgebracht wird, um von dem Hauptproblem [der Stigmatisation von JvH]
abzulenken. Bodo Hamprecht ist ja vor 3 Jahren verstorben. Ich habe mich damals auch innerlich sehr damit
beschäftigt und ihn als Aufgebahrten noch besucht. Und glaube, dass man sich vollkommen zu Unrecht auf
diese Dinge bezieht. Also, das sage ich jetzt mal so spirituell.“21 BH ist überraschend am 20. April 2005 in
Berlin verstorben. Im Sommer 2005 ist die Krise im AZB eskaliert und im Herbst 2005 hat dann der Vorstand
der AGiD in das AZB eingegriffen.
2. 4. Exkurs: Zur Unterschlagung von 1 Million
Einige Mitglieder des Johannes-Zweiges, allen voran MW, haben behauptet, PT habe 1
Million Deutsche Mark, die BH als Spenden für das Haus Schlüterstraße 38/39 von der
Mitgliedschaft erhalten habe, für den Hauskauf und -Ausbau der Bernadottestraße verwendet.
15 Peter Tradowsky: Interview mit der UFK Berlin, 23. September 2006, S. 6.
16 Peter Tradowsky: Interview mit der UFK Berlin, 23. September 2006, S. 6.
17 Peter Tradowsky: Interview mit der UFK Berlin, 23. September 2006, S. 6.
18 Peter Tradowsky: Interview mit der UFK Berlin, 23. September 2006, S. 7.
19 Peter Tradowsky: Interview mit der UFK Berlin, 23. September 2006, S. 7.
20 Peter Tradowsky: Interview mit der UFK Berlin, 23. September 2006, S. 7.
21 Peter Tradowsky: Interview mit der UFK Berlin, 23. September 2006, S. 5.
12
Die UFK hat bei der Recherche in den noch vorhandenen Buchhaltungsunterlagen des AZB
weder im gewöhnlichen noch im außergewöhnlichen Haushalt Indizien für Spenden in Höhe
von 1 Million Deutsche Mark gefunden. EL hat als PTs Sekretärin MW am 26. Februar 2006
einen Brief geschrieben, in dem sie MW auffordert, von seiner Behauptung Abstand zu
nehmen, dass Mitglieder BH möglicherweise 1 Million DM Spendengelder zugesagt, aber
nicht auf das Konto des AZB eingezahlt hätten.
„Auf Ihre Frage vom Donnerstag (vorausgegangen war ja Ihre Behauptung, das Rudolf-Steiner-Haus wäre mit
unrechtmäßigen Geldern finanziert worden) möchte ich Ihnen wie folgt antworten: Nach einer Aufstellung, die
ich mir vor einiger Zeit gemacht habe, um herauszufinden, wie viel Darlehen später in Spenden umgewandelt
wurden, ersehe ich, dass überhaupt kein Darlehen aus der Zeit vor dem Kauf des Grundstücks und Hauses
Bernadottestraße (1978) vorhanden waren. Die ältesten Darlehen sind 1979, die meisten zwischen 1980 und
1983 und nur wenige noch später gegeben worden.“ D. h. während der Bauzeit des Rudolf Steiner Hauses.
„Somit bitte ich Sie, nun im Johanniszweig und auch anderswo, wo Sie die irrtümliche Aussage gemacht haben,
diese zurückzunehmen bzw. richtig zu stellen. Mir ist daran gelegen, möglichst viele falsche Informationen und
Gerüchte aufzuklären und damit einen Teil der enormen Spannungen abzubauen.
Unklar ist mir, wieso Sie und Herr Hardorp die Mitglieder des Johanniszweiges, die ja teilweise die uralte
‚Fehde‘ gar nicht erlebt haben, so gegen Herrn Tradowsky aufgebracht haben (erkennbar an merkwürdigen
Äußerungen von Johanniszweig-Mitgliedern in Versammlungen, auch an der Information, die zum Beispiel Herr
Schiller – und wahrscheinlich der übrige Vorstand der Landesgesellschaft – erhalten hatte, betr. Konflikt
zwischen Peter Tradowsky und Bodo Hamprecht, der längst keiner mehr war, etc).
Einige Mitglieder (auch vom Johanniszweig) äußerten in Gesprächen ihre Verwunderung über Ihr Verhalten,
schätzten sie doch Ihre Arbeit und Ihr freundliches Wesen. Meine Bekanntschaft mit Ihnen geht auf die
Teilnehmer am Freitagsseminar mit Peter Tradowsky zurück, und ich hatte nicht den Eindruck, dass es eine
Feindschaft oder eine Unzufriedenheit mit Ihnen gab. Im Gegenteil, die Tatsache, dass Sie seit so vielen Jahren
im Initiativkreis des Arbeitszentrums waren, ließ mich auf eine baldige noch bessere Zusammenarbeit mit dem
Johanniszweig hoffen. Ich hatte auch mehrmals Herrn Kollewijn gebeten, ein Gespräch zu vereinbarten, wo über
solche Fragen ein Austausch stattfinden sollte. Als seinerzeit der Standort Nollendorfplatz aufgegeben werden
musste, hatten wir spontan das Rudolf-Steiner-Haus für den Zweigabend angeboten, was nicht nur eine
freundschaftliche Geste, sondern ein ernst gemeintes Angebot war.“22
PT betont diesbezüglich später nochmals: „Die 1 Mio. DM bestand im Wesentlichen in
Spendenzusagen, nicht in Geld. Es ist eine durch nichts bewiesene Unterstellung, dass das
Grundstück Bernadotte Str. 90/92 in Berlin-Dahlem „zu einem Großteil von dem
verbliebenen Geld gekauft“ wurde.“23
22 Edda Lechner: (Brief an Michael Wilhelmi). Berlin 26. Februar 2006.
23 Peter Tradowsky/ Edda Lechner: Notwendige Richtigstellungen zu der Zusammenfassung des
Abschlussberichts der Urteils-Findungs-Komission über den Verlauf der Berliner Krise 2003 bis 2006. Berlin
ohne Datum.
13
3. Personenkonstellation und Arbeitsweise des Initiativkreises
3.1. Tabelle der Personen und Organe
Kürzel Name Tätigkeit / Funktion
AAG Allgemeine
Anthroposophische
Gesellschaft
Weltgesellschaft mit Sitz in Dornach/ Schweiz
AGiD Anthroposophische
Gesellschaft in
Deutschland e.V.
Landesgesellschaft der AAG mit Sitz in Stuttgart
AZB Arbeitszentrum Berlin Regionales Zentrum der AGiD mit Sitz im Rudolf-
Steiner-Haus Berlin
IK Initiativkreis Vorstand des AZB
NG Nana Göbel Sept.1999 – März 2006 Mitglied des IK,
seit 2002 Generalsekretärin der AGiD
BH Prof. Dr. Bodo Hamprecht
(† 20.April 2005)
Professor für theoretische Physik an der FU Berlin,
1976 –1977, Mitglied des IK und
Geschäftsführer des AZB,
Gründer des Johannes-Zweiges in Berlin
DH Dr. Detlef Hardorp 1996–März 2006 Mitglied des IK
JvH Judith von Halle 1.Jan. 2004 – 2. Aug./26. Nov. 2005 Sekretärin des
AZB
WUK Dr. Dr.Wolf-Ulrich
Klünker
Seit 2002 Vorstandsmitglied der AGiD
MK Martin Kollewijn Mai 1992 – März 2007 Mitglied des IK und
zeitweilig Vertreter des AZB
EL Edda Lechner 1. April 1984 – 31. Aug. 2005 Sekretärin des AZB
MO Mechtild Oltmann Juni 1985 – März 2004 Mitglied des IK,
seit 1976 Pfarrerin in der Christengemeinschaft in
West-Berlin
seit 2002 Vorstandsmitglied der AGiD
MW Dr. Michael Wilhelmi Juni 1989 – März 2006 Mitglied des IK,
Lehrer an der Waldorfschule Kreuzberg i. R.
Mitglied des Johannes-Zweiges und der
Arbeitsgruppe für soziale Dreigliederung in Berlin
PT Peter Tradowsky seit 1972 – März 2006 Mitglied des IK
Sept. 1978 – März 2006 Geschäftsführer und
Schatzmeister des AZB,
Lehrer und zeitweilig Geschäftsführer der Rudolf-
Steiner-Schule Berlin Dahlem i. R.
JW Justus Wittich seit 1992 Vorstandsmitglied und später
kommissarischer Schatzmeister der AGiD
14
3. 2. Organe der AAG, AGiD und des AZB im Verhältnis
Im Folgenden sollen die für den hier betrachteten Zusammenhang wesentlichen Organe von
der Weltgesellschaft über die Landesgesellschaft bis zum Berliner Arbeitszentrum in ihrem
Verhältnis zueinander dargestellt werden. Die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft
(AAG) hat als alle Landesgesellschaften geistig umfassende und administrativ übergeordnete
Weltgesellschaft ihren Sitz in Dornach in der Schweiz. Sie wird vom Hochschulkollegium
geleitet, das sich aus dem Vorstand der AAG und den Leitern der Fachsektionen der Freien
Hochschule für Geisteswissenschaft zusammensetzt. Die Leitung des Hochschulkollegiums in
Bezug auf die Exekutive liegt seit 2000 nicht mehr bei einer einzigen Person, sondern wird im
Rotationsprinzip von jeweils zwei Personen wahrgenommen. Die Anthroposophische
Gesellschaft in Deutschland e. V. (AGiD) steht als Landesgesellschaft durch die Konferenz
der Generalsekretäre in Verbindung mit den übrigen Landesgesellschaften und dem
Hochschulkollegium der Weltgesellschaft. Durch die Konferenz der Vertreter der regionalen
Arbeitszentren (AZ) steht sie in Verbindung mit den anderen Arbeitszentren Deutschlands.
Darüber hinaus verdichtet die Konferenz der Schatzmeister auf dem Felde der Finanzen und
die Konferenz der Lektoren auf dem Felde der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft die
sachliche Zusammenarbeit innerhalb der AGiD. Die AGiD wird administrativ vom Vorstand
geleitet, in dem drei Funktionen spezifiziert sind: Generalsekretär, Schatzmeister und
Geschäftsführer. Bis auf die derzeit amtierende Generalsekretärin Nana Göbel arbeiten alle
Vorstandsmitglieder ehrenamtlich. In der Vergangenheit hatte der Geschäftsführer anstelle
des Generalsekretärs eine voll bezahlte Stelle inne. Die Vorstandsmitglieder werden von der
Konferenz der Vertreter der Arbeitszentren, zu der der jeweils amtierende Vorstand auch
gehört, nominiert und von den Mitgliedern, die bei der Mitgliederversammlung anwesend
sind, alle vier Jahre gewählt.
Die AGiD umfasst als eingetragener und selbständiger Verein alle Arbeitszentren
Deutschlands, die selbst kein eingetragener Verein sind, aber vor Ort so autonom wie ein
selbständiger Verein handeln. Aus dieser Doppeldeutigkeit ist die sog. Autonomiefrage für
und von den Arbeitszentren entstanden, die der derzeit amtierende Vorstand in seiner
Legislaturperiode gewissermaßen von oben stärken wollte, und die einige Mitglieder nach
dem Eingriff des Vorstands in die Arbeitsverhältnisse im AZ Berlin gewissermaßen von unten
aus den Arbeitszentren heraus forderten. Das Arbeitszentrum Berlin (AZB) wurde 1955
gegründet und hat seither einen Initiativkreis (2006 umbenannt in Initiativenkreis) (IK), der
sich aus Vertretern anthroposophischer Einrichtungen Berlins, so etwa der
Christengemeinschaft und dem Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, durch Kooptation
15
rekrutiert und von der Mitgliederzusammenkunft durch Wahl bestätigt wird. Der IK, der
einmal im Monat vier Stunden zusammen kommt, hat formell die Funktion eines Vorstands
inne, entwickelte aber im Zeitraum von 1979 bis 2005 materiell kaum eigene Initiativen,
sondern erwies sich als Vor- und Nachbetrachtungsorgan der Berliner Ereignisse und
Veranstaltungen.24
Dem IK gegenüber erwies sich der sich einmal wöchentlich treffende Hauskreis im Rudolf-
Steiner-Haus als das eigentliche Exekutivorgan für die Planung und Durchführung der
Veranstaltungen. Ihm gehörte der Geschäftsführer und Schatzmeister PT, die Sekretärin
Marie Halberschmidt (bis 2003) und ab 2004 Judith von Halle, Edda Lechner sowie der
Hausmeister und Gärtner Niko Lechner, der Sohn von Frau Lechner, an. „Tradowsky und
ich“, so resümiert MK das Verhältnis zwischen Hauskreis und IK, „haben sozusagen das
Alltagsgeschäft gemacht, aber auch die ganzen Veranstaltungen und der Initiativkreis war da
so ein bisschen ein Klangbord, der Resonanz[körper des Hauskreises].“25
Der Mangel an Initiativen des IK mag in der oben dargestellten historischen Spaltung
begründet liegen, die man im IK personell zu überbrücken suchte. Zwei Ereignisse der
überbrückenden Zusammenarbeit sind hervorzuheben: 1. Die Karma-Tagung von 1997, die –
bezeichnend genug – in Berlin stattfand, weil in Dornach der Große Saal wegen der
Deckenrenovierung nicht genutzt werden konnte. 2. Im Zuge der Wiedervereinigung
Deutschlands und Berlins 1989/1991 schien die Spaltung Westberlins – hier Rudolf-Steiner-
Zweig, Rudolf-Steiner-Haus und Rudolf-Steiner-Schule und dort Johannes-Zweig in
Kreuzberg, Forum Kreuzberg und Waldorfschule Kreuzberg – durch die neuen Möglichkeiten
im Osten obsolet geworden zu sein. Besonders MK und PT verfolgten die Initiative zu einer
neuen Zusammenarbeit, möglicherweise in der neuen Stadtmitte, die aber dann doch im
Berliner Sande verlief.26
24 „Martin Kollewijn: stellte dar, wie das Arbeitszentrum Berlin vor fünfzig Jahren gegründet und von den
Gründern ein Initiativkreis gebildet wurde. Der Initiativkreis hat sich seitdem durch Kooptation weitergebildet
und ist bei den Mitgliederversammlungen durch die Mitglieder bestätigt worden. Wie andere Arbeitszentren,
Zweige und Gruppen ist das Arbeitszentrum Berlin ein rechtlich unselbständiges, aber geistig und wirtschaftlich
autonomes Glied der gemeinnützigen Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e. V. Es hat keine
geschriebene Satzung; es gestaltet sich in mancher Hinsicht analog zu einem Verein, wobei dem Initiativkreis
eine Vorstandsfunktion zugeschrieben wird. Es gehört zu den Aufgaben des Initiativkreises, anthroposophische
Arbeit in Berlin zu ermöglichen und zu initiieren aufgrund von einer vertieften Erkenntnis davon, was an der
Zeit ist.“ Siehe Judith von Halle/ Martin Kollewijn/ Edda Lechner/ Peter Tradowsky: Protokoll der
Mitgliederzusammenkunft vom 16. April 2005, erstellt nach Notizen und Gedächtnisaufzeichnungen der
Mitarbeiter, Berlin 24. Mai 2005, S. 1.
25 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 21. November 2006, S. 1–50, S. 3.
26 Vgl. Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 1–50, S. 2.
16
3. 3. Personalkonstellationen in Porträts
Im Folgenden sollen nun die für die hier in Betracht kommende Untersuchung wesentlichen
Persönlichkeiten vom Vorstand der Landesgesellschaft über den Berliner IK bis hin in den
Hauskreis in ihrem Verhältnis zu einander dargestellt werden.
PT steht zu einigen Mitgliedern des Landesvorstandes in einem Spannungsverhältnis, das sich
anhand eines Briefes vom 16. Januar 2005 aufzeigen lässt, den PT MK zur Vorbereitung der
Konferenz der Arbeitszentrumsvertreter zur Nominierung der Vorstandsmitglieder mitgab.27
In diesem Brief heißt es:
1. „Frau Göbel und Frau Oltmann haben sich disqualifiziert aus zwei Gründen [bezüglich des Umgangs mit JvHs
Stigmatisation], die Dir wohl bewusst sind. Fr. G.[öbel] habe ich das zweimal geschrieben, außerdem ist sie ein
klassischer Fall der Ämterhäufung Generalsekretärin (früher eine Aufgabe für sich), Vorstand der AGiD,
Freunde [der Erziehungskunst e.V.], Forschungsfonds, Initiativkreis[mitglied] des AZB, Kaspar Hauser Forum
und Therapeutikum, usw.). Das ist für mich einfach absurd, abgesehen von allem ist ihr menschlicher Umgang
das entscheidende Kriterium.“28
2. „Justus Wittich könnte sich erst durch eine umfassende Prüfung und Klärung [der Finanzen der AGiD]
eventuell wieder qualifizieren, ich habe ihm in diesem Sinne geschrieben, er hat nicht reagiert bisher, aber den
von mir kommentierten Artikel geschrieben, für mein Verständnis ein dreistes Stück, denn wenn er [von dem
Finanzgebaren bezüglich der VVV GmbH] nichts bemerkt hat als früheres Vorstandsmitglied, ist es schlimm,
wenn er etwas bemerkt hat, ist es aber fast noch schlimmer.“29
In einem Brief vom 10. Januar 2005 an die Vertreter und Schatzmeister der Arbeitszentren der
AGiD führt PT die Kritik an Justus Wittich, seinem ehem. Schüler, genauer aus:
„An dem Artikel ‚Zum Stand der Finanzkrise bei der VVV GmbH’, den Justus Wittich in Anthroposophie
(Weihnachten 2004) über die Finanzprobleme der AGiD geschrieben hat, ist nur das interessant, was er
n i c h t
geschrieben hat. Er hat nicht geschrieben,
- dass der Schreiber des Artikels – nämlich Justus Wittich selbst – als früheres Vorstandsmitglied
zumindest mitverantwortlich ist, [...]
- dass der derzeit amtierende Vorstand per Gesetz verpflichtet ist, die Missstände der Vergangenheit
aufzuklären, wenn er nicht zurücktreten will, [...]
- dass es eine fundamentale Fehlentscheidung der Verantwortlichen war, zu beabsichtigen, durch
Immobiliengeschäfte Gelder für die AGiD und das Goetheanum zu gewinnen,
27 Vgl. Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 11.
28 Peter Tradowsky: (Brief an Martin Kollewijn für die Konferenz der Vertreter der Arbeitszentren der AGiD),
(Berlin) 16. Januar 2006.
29 Ebenda.
17
- dass Dieter Pommerening die AGiD mit Bürgschaften belastete, von denen er als Vorstandsmitglied
und Schatzmeister wissen musste, dass sie unrechtmäßig waren (Untreue),
- dass der derzeitige Vorstand auf der Mitgliederversammlung 2004 die Mitglieder nicht über die
bevorstehende Zahlungsunfähigkeit der VVV GmbH informiert hat.“30
3. PT steht zu Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker (WUK), dem promovierten Philosophen und
Theologen, bezüglich des Umgangs mit den Klassenstunden im Rahmen der Freien
Hochschule für Geisteswissenschaft in einem Spannungsverhältnis. Während WUK für einen
liberaleren Umgang mit den Klassentexten und Zugang zu den Klassenstunden plädiert, will
PT konservativ die von Rudolf Steiner gegebene Form gegenüber jeglicher Verwässerung
wahren. Daher heißt es in dem oben bereits zitierten Brief:
„Die von [Dr.]Dr. Kl.[ünker] und N.[ana] G.[öbel] angestoßene Hochschulinitiative hat – soweit meine
Wahrnehmungen reichen – zu keiner Veränderung der Arbeit geführt. Dr. Kl.[ünker] hat in dem Kasseler
Lektorenkreis, in dem er neu ist, keinen besonderen Rückhalt.“31
Sebastian Bögner, derzeitiger Vertreter des AZB, fasst die Kernaussagen und die
Auswirkungen von PTs Kritik gegenüber dem Landesvorstand so zusammen:
„Und dann hat er 2005 offenbar auch noch mal, wo es ja wieder um die Neuaufstellung des Vorstandes ging,
Herrn Kollewijn ein Schreiben übergeben, dass er von den einzelnen Vorstandsmitgliedern nichts und warum er
alle für nicht wieder aufstellbar hält. Mit so etwas macht man sich natürlich auch nicht gerade beliebt.“32
3 .4. Mitglieder des Initiativkreises
Nana Göbel (NG) (geb. 1955), gelernte Bankkauffrau, ist seit 1996 geschäftsführender
Vorstand der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e. V., die sich weltweit der
Förderung der Waldorfpädagogik widmen. Sie zog 1998 nach Berlin und wurde im
September 1999 in den IK kooptiert, dessen Mitglied sie bis März 2006 blieb. Sie machte
ihren Kollegen im IK gleich zu Beginn deutlich, dass sie durch ihren Beruf mehr im Ausland
unterwegs als in Berlin sein würde und daher vor Ort wenig eigene Initiative entwickeln
könne. Ein Anliegen habe sie jedoch im IK: MK vor Mobbing im Rudolf-Steiner-Haus seitens
30 Peter Tradowsky: (Brief) An die Vertreter und Schatzmeister der Arbeitszentren der AGiD, Berlin 10. Januar
.2005, S. 1f.
31 Peter Tradowsky: (Brief an Martin Kollewijn für die Konferenz der Vertreter der Arbeitszentren der AGiD),
16. Januar 2006.
32 Sebastian Bögner: Autorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 26. November 2006, S.
1–31, hier S. 4. Im Folgenden nur noch Interview bezeichnet.
18
der Sekretärin Marie Halberschmidt und PT zu schützen, um ihm die Entfaltung seines
geistigen Talents zu ermöglichen:
„Wir hatten andere Auffassungen darüber, wie man mit Martin Kollewijn umgeht. Das war ein längerer
Auffassungsunterschied, weil ich weiß, dass er viel kann. Und ich weiß, dass seine Potenz in diesem
Arbeitszusammenhang nicht zur Entfaltung kommen konnte.“33
Was sie verschweigt, was aber von mehreren IK-Mitgliedern berichtet wurde, ist, dass NG die
alte, Tradowsky loyale Mitarbeiterschaft im Rudolf-Steiner-Haus durch eine neue und vor
allen Dingen junge Mitarbeiterschaft ersetzen wollte. „Da hätte ich mich bestimmt drüber
[nämlich eine Verjüngung der Mitarbeiterschaft] gefreut. Aber ich habe da keine strategischen
Aktionen unternommen.“34 Mit dem Sekretärinnenwechsel von Marie Halberschmidt zu JvH
Anfang 2004 gelingt ihr das nur teilweise, weil JvH (geb. 1972) zwar jung und intelligent,
aber PT seit ihren Jugendjahren als Teilnehmerin seines Arbeitskreises bekannt und ihm
gegenüber loyal ist.35
NG wirft PT mit dem Verweis auf das mangelnde Vier-Augen-Prinzip seiner
Geschäftsführung und Schatzmeistertätigkeit in einer Peson implizit Ämterkumulation vor.36
Sie selbst ist Mitglied des IK, seit 2002 auch des Vorstandes der AGiD und dessen
Generalsekretärin. Zum Dornacher Vorstand, insbesondere zu Paul Mackay und Bodo v.
Plato, steht sie in engem Kontakt.
Mechtild Oltmann (MO) (geb. 1938) ist seit 2002 Vorstandsmitglied der AGiD. Sie nahm
ihre Tätigkeit als Pfarrerin in der Christengemeinschaft 1971 in Göppingen auf und kam 1976
dann in die Gemeinde Ruhrstraße im West-Berliner Bezirk Wilmersdorf. In dieser Funktion
folgte sie im Juni 1985 dem verstorbenen Pfarrer Ludwig Köhler in den IK nach.37 Herr
Köhler hatte in der Generalversammlung vom 22. April 1978 das „Machtwort“ gegen BH
gesprochen und damit den Exodus des Johannes-Zweiges aus dem AZB mit verursacht, was
ihre Akzeptanz im Johannes-Zweig und in Kreuzberg langfristig jedoch nicht wirklich
33 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 8.
34 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 8.
35 „Dann hatte er [PT] ein Mädchen [JvH], was relativ flott [war], da sie ja eine ausgeprägte Intellektualität hat,
die Sachen begriffen und sich innerlich auf die Anthroposophie zubewegt hat.“ Siehe Nana Göbel:
Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 20.
36 Vgl. das Kapitel: Die wirtschaftliche Dimension des AZB. Differenzen in Arbeitsweise und Erfolg, S. 37ff.
37 Vgl. Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 1.
19
beeinträchtigt habe.38 Sie selbst schildert ihre Arbeit im Spannungsfeld zwischen Dahlem und
Kreuzberg wie folgt:
„Ich habe auch sehr lange an der Kreuzberger Schule Religionsunterricht gegeben und ich habe immer mit
Kreuzberg merkwürdigerweise zu tun gehabt, obwohl das zu mir eigentlich gar nicht passt. Ich habe im Forum
Kreuzberg, im Kindergarten, im Theater Vorträge gehalten und dort die Menschen alle gekannt und sehr viele
Taufen und Trauungen vollzogen. Ich habe das auch immer sehr geliebt. Und konnte von daher so eine Art
kleine Brücke auch bilden zwischen Dahlem und Kreuzberg, obwohl das nie richtig akzeptiert wurde von denen,
die in Dahlem wohnten. Umgekehrt war es aber genauso gnadenlos. Immer die Villa im Grünen, die wir nie
gewollt haben und was soll denn die Anthroposophie da sein, sozusagen da in diesem bürgerlichen Umkreis und
in der Idylle usw. Menschlich kann ich nur sagen, habe ich mich da völlig frei in beiden Kreisen immer bewegt.
Und außer der Tatsache, dass Hamprecht da eine Spannung hatte mit der Christengemeinschaft wegen Ludwig
Köhler, war das mir gegenüber nicht der Fall. Ich war da eigentlich ganz natürlich und frei in beiden Kreisen
tätig.“39
MO bilanziert die Möglichkeiten einer Brückenbildung nüchtern: „Aber zwei Dinge sind, solange
ich in diesem Initiativkreis war, nie gelungen: ein wirkliches Interesse zu bilden für das, was im Johanneszweig
vor sich ging und auch nicht, muss ich leider sagen, ich glaube, das ist auch nach der Wende heute noch so.“40
MO versuchte nicht nur eine räumliche Brücke zwischen Dahlem und Kreuzberg zu bauen,
sondern vollzog diese Brückenbildung selbst in ihrer Biographie durch eine geistige Wende
um 2000 von der eher konservativen „Partei für Tradowsky/Girke“41 zu der eher liberaleren
Gruppierung um NG, WUK und Bodo v. Plato.
Als sich dann in den Jahren 2003/04 die Haushaltslage im AZB verschlechtert und der IK viel
Zeit und Kraft für Gespräche über die Gehälterkürzung verwendet, entscheidet MO, sich im
März 2004 nach 20 Jahren aus dem IK zu verabschieden; nicht zuletzt um jüngeren
Mitgliedern Platz zu machen.42 Just einen Monat darauf, im April 2004, tritt bei JvH das
Phänomen der Stigmatisation auf, das sowohl ein anthroposophisch-menschenkundliches
Forschungsproblem als auch eine christologische Interpretationsherausforderung darstellt.
Dr. Michael Wilhelmi (MW) (geb. 1935) war zunächst Lehrer im Beamtenstatus bis er sich
entschied, Oberstufenlehrer an der Waldorfschule Kreuzberg zu werden. Sein Anliegen ist,
die Anthroposophie aus dem privaten Engagement in die Öffentlichkeit zu tragen. Aus diesem
38 Vgl. Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar, S. 2.
39 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 2.
40 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar, S. 3.
41 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar, S. 4.
42 Vgl. Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar, S. 4.
20
Impuls heraus ist MW Mitbegründer des Johannes-Zweiges am Nollendorfplatz und des
Instituts für Dreigliederung des sozialen Organismus e.V. sowie Mitglied des Direkten
Demokratie e. V. geworden. Kurz vor der Wende, im Juni 1989 wurrde er Mitglied des IK
und blieb dies auch bis März 2006. Darüber hinaus ist MK weiterhin Lektor der Freien
Hochschule für Geisteswissenschaft.
Dr. Detlef Hardorp (DH) (geb. 1955) wurde in Princeton zum Ph. D. in Mathematik
promoviert, arbeitete als Mathematiklehrer an Waldorfschulen in Hessen und Bayern und ist
seit längerem als Bildungspolitischer Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Waldorfschulen in
Berlin-Brandenburg tätig. Als solcher wurde DH 1996 in den IK kooptiert. Aus der
Gesamtschau der Interviews werden zwei Arbeitsrichtungen von DH im IK deutlich: die eine
nach außen betrifft sein Engagement für die Öffentlichkeitsarbeit und die andere nach innen
die personelle Veränderung im Rudolf-Steiner-Haus.
Hermann Girke (HG) (geb. 1926) war Heilpädagoge im Caroline von Heydebrand Heim in
Berlin und während seiner IK-Mitgliedschaft seit den 1970er Jahren bis 2006 PT besonders
verbunden. Im Zuge der Spaltung des IK 2004/05 bildete er mit PT die Minderheit des IK.
Matthias Girke (1954), Sohn von Herrmann Girke, ist Stellvertretender Ärztlicher Leiter im
Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe bei Berlin.
3. 5. Mitarbeiter des Arbeitszentrum Berlin
Peter Tradowsky (PT) (geb. 1934) soll hier nicht ausführlich porträtiert, sondern seine Vita
lediglich in wesentlichen Eckdaten skizziert werden, da seine Person in diesem Kapitel im
Spiegel seiner Kollegen bereits zur Darstellung kam. PT war beruflich Oberstufenlehrer und
zeitweilig auch Geschäftsführer der Rudolf-Steiner-Schule Berlin-Dahlem, wo er ab 1972
auch ein Anthroposophisch-Pädagogisches Seminar aufbaute und leitete. PT war
ehrenamtlich von 1972 bis 2006 als Mitglied des IK und von 1978 bis 2006 als Schatzmeister
des AZB tätig; als Geschäftsführer des AZB war er als Teilzeitmitarbeiter (50 %) bei der
AGiD angestellt.
Darüber hinaus verfasste PT eine Reihe von Büchern. Unter diesen ist seine Biographie von
Kaspar Hauser (1984) sowohl für sein Lebenswerk wie auch für den hier betrachteten
Untersuchungszusammenhang besonders hervorzuheben. Er wirkte als Lektor der Freien
Hochschule für Geisteswissenschaft und hielt zahlreiche Vorträge zu anthroposophischen,
21
aber auch zu zeitgeschichtlichen Fragen; insbesondere seine auf das Jahr zurückblickenden
Silvester-Vorträge erfreuen sich eines regen Zulaufs. In diesem Sinne schildert MO:
„Wenn er [PT] also seine Silvesterreden immer hinter uns [der Christengemeinschaft] her hält, dann ist es so: ich
steige immer Silvester 18:00 Uhr auf die Kanzel und darf nicht länger als eine Stunde reden, weil ich weiß, dann
gehen die Leute in die nächste Veranstaltung. Er ist der Einzige, der – abgesehen von externen Gastrednern wie
Sergej Prokofieff – das Haus noch voll kriegt.“43
Doch trotz oder vielleicht gerade wegen seines Erfolgs wird seine Vormachtstellung in Berlin
von einigen Mitgliedern und IK-Mitgliedern kritisch hinterfragt.
Martin Kollewijn (MK) (geb. 1953) studierte Philosophie und Linguistik in Amsterdam,
West-Berlin und Heidelberg, wo er auch am Friedrich von Hardenberg Institut tätig war. In
Berlin hatte Karl Bögner, anthroposophischer Buchhändler, von 1978 bis 1988 Mitglied des
IK, die Idee: „So eine Art Hardenberginstitut in Berlin zu machen, und da sollte Kollewijn
sozusagen der Kristallisationspunkt sein“44, berichtet der Sohn, Sebastian Bögner.
Möglicherweise hätte er eine halbe Stelle im Hardenberg Institut und eine halbe Stelle im
AZB bekommen, um einerseits seinen philosophisch geisteswissenschaftlichen Forschungen
nachzugehen und diese andererseits im AZB in Form von Vorträgen und Seminaren
einzubringen. „Und da ist dann aber nichts daraus geworden“, so Bögner junior weiter,
„vielleicht auch deswegen, weil mein Vater dann bald [im Oktober 1988] gestorben ist.“45
MK wusste von diesem Plan nichts, als er nach dem Tod Karl Bögners unter anderem von
Herrmann Girke nach Berlin geholt wurde. Er erinnert sich:
„Es hat ein Gespräch gegeben, in so einem Umkreis, den es damals um den Initiativkreis gab. Und Tradowsky
hatte sich ja auch beworben, die Tätigkeit von Bögner zu übernehmen. Man hat gesagt: es ist gut, wenn du [PT]
das machst, aber du vertrittst nicht die gesamte Mitgliedschaft in Berlin, wir brauchen noch jemand anders [z.B.
MK].“46
PT meinte zunächst, dass das Geld für eine weitere Stelle gar nicht vorhanden sei, aber wenn
die Mitgliedschaft MK in Berlin haben wolle, dann werde sie auch bereit sein, dessen Stelle
zu finanzieren. Daher schlug PT eine neuartige Spendenaktion vor: die Mitgliederbeiträge
43 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 6.
44 Sebastian Bögner: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 26. November 2006, S. 5.
45 Sebastian Bögner: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 26. November 2006, S. 5.
46 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 1.
22
einfach zu liberalisieren. Und siehe da, es klappte: die Mitglieder spendeten über Gebühr, was
PT fortan das „Wunder von Brandenburg“47 nannte.
Aber PT und andere IK-Mitglieder waren der Ansicht, „Martin ist ja hier nicht so ganz richtig
am Platze, und er soll also in die akademische Laufbahn übergehen. Und dazu braucht er
einen Doktor[-Titel].“48 Und um zu promovieren, besorgten PT und Dieter Pommerening ein
Stipendium in Höhe von 40.000 Deutsche Mark für MK.49
„Ich will auch hier ganz ehrlich sagen“, gesteht PT freimütig ein, „es war so ein bisschen die Aktion: wegloben.
Es hieß, ach, wenn er einen Doktor hat, dann kann er vielleicht an der Wittener Universität“50 arbeiten. Doch „er
hat die Doktorarbeit nicht zustande gebracht.“51 „Wir wollten ihm helfen, damit er in eine andere Lebenssphäre
hineinkommt, wo es nicht immer Ärger mit Marie [Halberschmidt, der Sekretärin des AZB,] gibt.“52
Von 1991 bis 1997 hatte er eine volle Stelle und von 1997 bis 2007 eine halbe Stelle im
AZB.53 MK war seit Mai 1991 Gast im IK und wurde ein Jahr darauf in den IK kooptiert.
Doch die Spannungen in seinem Arbeitsumfeld im Rudolf-Steiner-Haus blieben bestehen. PT
und MK arbeiteten solange gütlich neben einander her, wie die Haushaltslage dies zuließ.
Doch als der ordentliche Haushalt ab 2000 defizitär wurde, wurde die explizite Frage nach
Gehaltskürzungen und die implizite Frage nach dem die Finanzen deckenden Arbeitserfolg
gestellt. Während PTs Vorträge eher an das Gefühl und den Willen in Abgrenzung
problematischer Gesellschaftszustände appellieren und eine breite Zuhörerschaft anziehen,
richten sich MKs Vorträge eher an das Denken und philosophische Erkennen, was einen
kleineren Menschenkreis anspricht. Hinzu kommt, dass PT seine Aufgaben auch gelegentlich
im Alleingang anpackt, während MK mit der Erfüllung organisatorischer Aufgaben bisweilen
hinterherhinkt. Den Sekretärinnenwechsel von der bisweilen cholerischen Marie
Halberschmidt zu der intelligenten und im Grunde genommen überqualifizierten Judith v.
Halle sieht MK zunächst sehr positiv:
„Und ich hatte eine Zeit lang die Hoffnung, als dann Frau Halberschmidt aufhören musste und die Judith von
Halle engagiert wurde, auf Vorschlag von Peter Tradowsky: ja, das ist eine Frau, mit der könnte ich anders
zusammenarbeiten, weil die Architektin ist, versteht sie die Sachen auch dreimal so schnell.“54
47 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 1.
48 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November, S. 52.
49 Vgl. Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 52.
50 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 52.
51 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 53.
52 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 52.
53 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 1.
54 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 10.
23
Wie MK vom behutsamen Begleiter der stigmatisierten JvH zu ihrem Kritiker wurde, wird
später noch deutlich werden.
Edda Lechner (EL) (1940) arbeitete vom 1. April 1984 bis 31. August 2005 an der Seite PTs
als Sekretärin des AZB.
Judith von Halle (JvH) (geb. 1972) wurde in eine jüdische Familie hineingeboren. Auf
eigenen Wusch besuchte sie ein christliches Gymnasium: das Canisius-Colleg in Berlin.
Anschließend studierte sie Architektur in Berlin und den USA. Die Diplom-Ingenieurin lernte
über den Architektur-Professor Carl-August von Halle, ihren späteren Ehemann, die
Anthroposophie kennen. Geistige Wahrnehmungen, die sie von Kindheit an hatte, aber wegen
Unverständnis der Mitmenschen verschwieg, konnte sie nun offen ansprechen und durch das
von Rudolf Steiner gelegte Fundament geisteswissenschaftlich vertiefen und begründen. Herr
v. Halle ist mit PT bekannt und besorgte im Auftrag des AZB den Bibliotheksausbau im
Rudolf-Steiner-Haus. Auf diese Weise lernte JvH auch PT kennen, besuchte einen seiner
Arbeitskreise und begann selbst ab 2001 im Rudolf-Steiner-Haus Vorträge über den
esoterischen Zusammenhang von christlichen und jüdischen Jahresfesten sowie über die
Apokalypse des Johannes zu halten. Unter den zahlreichen Zuhörern waren auch der
Philosoph MK und die Pfarrerin MO, die gemäß MK von den Vorträgen folgende Eindrücke
mitnahmen:
Als Marie Halberschmidt in Rente ging, schlug PT dem IK als nachfolgende Sekretärin JvH
vor. Bei ihrem Vorstellungsgespräch im IK machte sie einen guten, frischen, auf NG gar
einen überqualifizierten Eindruck, so dass sie zum 1. Januar 2004 nicht angestellt, sondern
nach eigenem Wunsch als Honorarkraft beschäftigt wurde. Als Vortragsrednerin galt sie als
24
externe Gastrednerin, die nach Berliner Tradition von den Vortragseinnahmen 10 % dem
AZB zur Raummiete abgeben musste und 90 % als Honorar für sich selbst verbuchen konnte,
was sie dem AZB allerdings meist spendete, so dass ihre Stelle auch durch die eigene
Vortragstätigkeit mitfinanziert wurde. Der Geschäftsführer der AGiD, Dieter Pommerening,
meldete als letztinstanzlicher Arbeitgeber resp. ihr Auftraggeber vor dem Vertragsabschluß
Bedenken bezüglich der Zahlung der Sozialabgaben an, die JvH aber durch
rechtsanwaltlichen Rat entkräften konnte. NG bedauert später als Mitglied im IK und dem
Vorstand der AGiD, das Arbeitsverhältnis von JvH „schief eingestielt“55 zu haben.
Im Rudolf-Steiner-Haus arbeiteten also im Juni 2005 für das AZB MK als Teilzeitmitarbeiter
(50 %) für 1.381 Euro Bruttolohn, PT als Teilzeitmitarbeiter (50 %) für 1.200 Bruttolohn, JvH
als Teilzeitmitarbeiterin (50 %) mit 1.250 Euro Honorar, Edda Lechner, ebenfalls Sekretärin,
als Teilzeitmitarbeiterin (50 %) auf 354-Euro-Basis, wobei ihr Sohn, Niko Lechner, als
Hausmeister auf Teilzeitbasis 800 Euro verdiente.56
4. Die geistige Dimension des AZB
4. 1. Das Auftreten der Stigmatisation von Judith v. Halle
JvH war ab dem 1. Januar 2004 als Sekretärin auf Honorar-Basis im AZB angestellt, wo sie
mit PT, EL und MK im Büro des Rudolf-Steiner-Hauses in Berlin arbeitete. Vier Monate
nach Anstellung in der AGiD traten in der Passionszeit 2004 an ihr die Stigmata auf, sie
erlebte die Kreuzigung Christi wie durch eine Zeitreise in die Zeitenwende zurückversetzt
erstmals sinnlich-physisch mit und ihr Körper begann jegliche Nahrungsaufnahme zu
verweigern. Im Folgenden soll nun dargestellt werden, wie JvH und ihr Lebensumfeld mit
dieser neuen Situation umgingen und wie die Nachricht über die Stigmatisation nach und nach
immer größere Menschenkreise erreichte.
JvH beschreibt: „Peter Tradowsky war der Erste, der das [die Stigmatisation] gesehen“57 und
als solches erkannt hat. „Ich habe etwas geschrieben und er saß mir so schräg gegenüber und
hat dann etwas auf dem Handrücken gesehen. Das war zunächst mal so wie eine Art
Bluterguss. Er sagte: das sieht aus wie ein Stigma. Das entwickelte sich dann über die
55 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S 12.
56 Vgl. Dieter Pommerening: Honorarvertrag Frau von Halle, Stuttgart 22. Januar 2004.
57 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 1–102, hier S. 1.
25
nächsten zwei Wochen etwa so, dass man sagen konnte, er hatte Recht.“58 JvH selbst hatte
zunächst gedacht, sie habe von der handwerklichen Arbeit mit einer „Papageienzange“ an den
Fliesen ihres neuen Badezimmers in der rechten Handinnenfläche einen Bluterguss
bekommen. Doch „später kam dasselbe in der linken Hand und dann auf der Rückseite und an
den Füßen usw. Und da war dann natürlich klar, dass es das wohl nicht sein konnte.“59
„In der Karwoche hat sich der gesamte Organismus umgestellt. Es war dann von einem auf
den anderen Tag keine Nahrungsaufnahme mehr möglich. Mich hat das nie wirklich besorgt,
weil ich mich auch nicht schlecht dabei gefühlt habe, aber ich machte mir schon Gedanken
darüber, wie so etwas überhaupt gehen kann.“60 Sie habe dann versucht, sich leichte Kost zu
zubereiten: Bioblattsalat. Doch „das war wirklich wie Gift. Der Körper hat mit extremen
Übergiftungserscheinungen auf jedwede Zufuhr von äußeren Stoffen reagiert.“61 „Und in
punkto Alkohol ist es ganz extrem. Ich musste die Zahnpasta wechseln, weil ich auch diese
extremen Mentholstoffe nicht mehr so gut vertragen habe. Daraufhin empfahl mir jemand, die
Kinderzahncreme Calendula von Weleda zu benutzen, bei der man annehmen müsste, das
diese das Sanfteste ist, was der Markt zu bieten hat. Doch da die Calendula-Extrakte in
Alkohol konserviert waren, führte ihre Benutzung zu einem Delirium, bei dem ich vier bis
fünf Stunden zwischen Leben und Tod schwebte.“62 Ihren außergewöhnlichen
Gesundheitszustand erläutert JvH so: „Ich habe mein Gewicht im Ganzen gehalten und nur in
der ersten Woche wohl wegen des Flüssigkeitsausgleichs 1 Kilo verloren.“63 Sie leide nicht an
Hunger oder Nahrungsmangel, da sie ihre Nahrungslosigkeit nicht künstlich durch eine
Fastenkur herbeigeführt, um sich etwa von Lichtnahrung zu ernähren, sondern die
Nahrungslosigkeit sich vielmehr von selbst eingestellt habe.64
In ihrem 33. Lebensjahr hat JvH „drei Tage von Karfreitag bis Ostersonntag erstmals eine Art
Blindheitszustand“ gegenüber der physischen Umwelt ihrer Gegenwart durchgemacht,
währenddessen sie mit all ihren Sinnen eine Art „Zeitreise“ in die Vergangenheit der
Zeitenwende vollzogen und damit Christi Kreuzigung und Auferstehung wie am eigenen
Leibe miterlebt habe.65 Über die Neuartigkeit und Unbegreiflichkeit dieser Erlebnisse sagt sie
58 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 1f.
59 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 1.
60 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 2.
61 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 2.
62 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 2.
63 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 5.
64 Vgl. Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 4–6.
65 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 2.
26
selbst: „Wenn man mir das vorher erzählt hätte, hätte ich das auch nicht so ohne Weiteres
geglaubt. Das gebe ich frei und frank zu. Doch es ist nun einmal eine Tatsache.“ 66
Nach den Osterferien ging JvH wieder im Rudolf-Steiner-Haus, jetzt allerdings mit
verbundenen Händen, zur Arbeit. „Die Leute denken natürlich“, so JvH, „nach ein paar
Monaten: die Frau hat einen Spleen, weil sie immer Handschuhe trägt.“67 Sowohl im
Familien- als auch im Bekannten- und Arbeitskreis sei immer mehr unangenehm aufgefallen,
dass sie den selbstgebackenen Kuchen oder den gemeinsamen Brötchen-Teller verschmähte.68
Doch das Problem besteht in ihren Augen darin, dass „dieses Versteckspiel eine absolute
Lüge mir selbst und den anderen Menschen gegenüber war. Mir war klar, je länger ich dieses
einschneidende Erlebnis verheimliche, das mir eine ganz besondere Berührung zu den
Verhältnissen um die Zeitenwende und zur Christuswesenheit gebracht hat, desto verlogener
wird mein Handeln. Daher reifte in mir im Laufe eines halben Jahres der Entschluss, in die
Integrität der Menschen zu vertrauen und die Geschichte offen zu legen, indem ich einfach
sage: liebe Leute, ich bin so wie ich bin, ich kann es auch nicht ändern. Entweder ihr nehmt
mich so an oder ihr lasst es bleiben.“69
So überlegte sie gemeinsam mit PT, wie man das Unbegreifliche den Menschen im näheren
Umfeld begreiflich machen könne. Sie entschieden, zunächst den Mitarbeiterkreis im Rudolf-
Steiner-Haus, namentlich EL und MK und darauf ihren Arbeitskreis von 12 Teilnehmern in
die Sache unter dem Siegel der Verschwiegenheit einzuweihen.70 MK, der dabei anwesend
war, berichtet: „Und da hat sie auch die Wundmale gezeigt und alles erzählt. Tradowsky hat
es auch erzählt. Es war eine unglaublich intensive Fassung in einer brühwarmen Stimmung.“71
Zwei Teilnehmer haben sich an das vereinbarte Schweigegebot nicht gehalten, was JvH durch
übersinnliche Schau wenig später bemerkte.
Darüber hinaus wollte sich JvH der Pfarrerin MO anvertrauen und bat MK, dieser die
außergewöhnliche Situation der Stigmatisation einleitend zu erklären, was er auch tat.72 MO
berichtete über dieses Begegnung „etwa 1 ½ Monate nach Fronleichnam“73 detailliert: „Am
14. Juni 2004 erschien Martin Kollewijn bei mir zu einem Gespräch, erzählte mir die
Geschichte mit der Stigmatisation und sagte nach ungefähr 20 Minuten: sie kommt übrigens
66 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 2, vgl. auch Judith
von Halle: „Und wäre Er nicht auferstanden...“. Die Christus-Stationen auf dem Weg zum geistigen Menschen,
mit Beiträgen von Peter Tradowsky, Dornach: Verlag am Goetheanum 2005.
67 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 3.
68 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 2.
69 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 12.
70 Vgl. Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 20.
71 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 20.
72 Vgl. Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 20.
73 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 21.
27
gleich. In dem Moment klingelte es zum zweiten Mal an der Tür und Judith erschien. Und
dann haben wir stundenlang geredet. Wir hatten in derselben Konstellation schon einmal
zusammen gesessen, als wir über den Apokalypsevortrag gesprochen hatten.“74
„Ich habe“, so MO, „einen Vortrag über die Apokalypse von ihr gehört und sie kam mit ihrem
Mann zu meinen Apokalypsevorträgen. Im Gegenteil zu heute kamen zu ihr damals zehn
Zuhörer: ein paar alte Damen. Ich habe nur bemerkt, dass sie das völlig anders macht als ich:
sie sprach sehr intellektuell über die geistigen Inhalte“, was auch MK auffiel.75 Doch im
persönlichen Gespräch vertieften sie ihre Verbindung. „Wir hatten sehr nahe menschliche
Verbindungen miteinander.“76 „Judith von Halle und Frau Oltmann“, so erzählt MK, „haben
sich darüber [über die Apokalypsevorträge] ja eigentlich angefreundet, denn sie waren per du.
Und das ist bei Oltmann etwas Seltenes.“77
MO führt weiter aus:
„Nach dieser Begegnung war ich tief beeindruckt von der ganzen Angelegenheit, richtig tief berührt. Und ich
habe da gesessen, mir Gedanken und Vorstellungen gemacht, was ich sie alles würde [über das Christus-
Ereignis] fragen können, was mich schon immer interessiert hat. Diese Bezauberung, so würde ich das heute
nennen, hat genau drei Tage und drei Nächte gedauert. Nach der dritten Nacht bin ich morgens aufgewacht und
habe gefragt: was machst du hier eigentlich? Wenn du so [persönlich] reagierst, kannst du diesem Menschen
[seelsorgerisch] überhaupt nicht helfen. [Doch genau] das ist deine Aufgabe.
Und im selben Moment brach die Faszination in sich zusammen und eine ganz tiefe Sorge trat auf: wird sie das
überhaupt überleben? Stellen Sie sich mal vor, es kommt jemand zu Ihnen, der sagt im Juni: ich habe seit April
nichts mehr gegessen. Da haben Sie die Verantwortung sich zu fragen: oh Gott, wie lange hält sie das eigentlich
noch aus? Ist sie vielleicht magersüchtig? Und dann hat mir das Schicksal einen Ausweg geboten. Am Samstag
dieser Woche hatten wir Pastoralmedizin im Rudolf-Steiner-Haus. Ich habe mich an diesem Abend im Anschluss
an das Treffen einem der dort anwesenden Ärzte anvertraut, indem ich ihn fragte: können Sie mir helfen? Ich
trage da etwas auf den Schultern, mit dem ich nicht zurechtkomme. Für mich war die Sache völlig in Ordnung
und auch nicht neu. Ich habe gerade auch mit diesem Arzt schon oft ‚meine Schweigepflicht’ gebrochen, was
man im Fall eines Pflegegesprächs zwischen Priester und Arzt über Patienten meiner Ansicht nach gar nicht so
nennen darf.
Am Montagabend danach hatte ich einen Brief von Judith v. Halle im Briefkasten, wo sie mir in ganz liebevoller
Art mitgeteilt hat, dass sie dafür Verständnis hätte und mich nicht anklagen wollte, aber übersinnlich
wahrgenommen hätte, dass ich nicht geschwiegen hätte. Daraufhin habe ich mich sofort mit ihr in Verbindung
gesetzt, eine Verabredung mit ihr gehabt und es ihr so erklärt, wie ich es Ihnen eben erklärt habe. Da ist sie von
ihrem Stuhl aufgestanden und mit ausgebreiteten Armen auf mich zugekommen. Sie hat gesagt: das ist in
74 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 11.
75 Vlg. Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 19.
76 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 11.
77 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 19.
28
Ordnung, woraus ich schließen musste, dass sie das als Sorge um sie und nicht als Angriff gegen sie akzeptiert
hatte.“78
MK erinnert sich, „wir haben verabredet, keiner darf das [etwas über das Auftreten der Stigmatisation]
wissen, wir schweigen also. Und als Frau Oltmann hörte, dass das doch schon weitererzählt wurde, fand sie das
nicht so toll. Und dann passierte es, dass Judith von Halle ihr bei einem wiederholten Gespräch sagte: zwei
Menschen haben es doch weitererzählt, das hätte sie [hellsehend] wahrgenommen. Die eine Person hat es später
auch weinend gestanden. Also es war wirklich so. Und die andere, das war die Frau Oltmann.“79 „Ja, sie hat
darüber mit jemand geredet, um sich sozusagen zu beraten.“ „Und dann hat Judith von Halle Frau Oltmann
darauf angesprochen, dass sie das weitergesagt hat. Das war natürlich eine hochbrisante Situation. Zwischen
Oltmann und Judith von Halle haben dann zwar noch ein paar Gespräche stattgefunden, aber der Gesprächsfaden
war irgendwie abgebrochen. Und zwar eben deswegen, weil Frau Oltmann sagte: bitte, das soll jetzt nicht weiter
groß bekannt gemacht werden“80, aber selbst das Schweigen gebrochen hat. „Nachdem ich Mechtild Oltmann
mein Stigmatisationsschicksal mitgeteilt hatte,“ sagte JvH, „hat sie einige Zeit später – und jetzt kommt eben das
Lustige an der Sache, wenn es nicht so zum Weinen wäre – vehement von mir verlangt, die Stigmatisation
weiterhin geheim zu halten. Und es ging dann soweit, dass sie in einem internen Kreis von acht Menschen gesagt
hat, ich solle aus Berlin wegziehen. Die Begründung dafür, welche sie in mehreren Gesprächen wiederholte,
lautete: das nimmt mir meine Freiheit.“81 „Sie wollte die Bekanntmachung langsam angehen lassen und mich
davor behüten, den Wölfen zu Fraß vorgeworfen zu werden. Doch da kommen mir wirklich Ekelgefühle hoch,
wenn ich höre, wie jemand unter dem Deckmäntelchen der Sorge diesen Aktionismus verkauft.“82
Auf die Frage, ob sie sich nicht wie ein inquisitorischer Pfarrer verhalten habe, der während
der Beichte erst die Beichtende ausfragt und bei evtl. Verlust der geistigen Deutungshoheit
dann zum rigorosen Schweigen rät und es darüber selbst noch bricht, antwortet MO:
„Ja, das hat mir Herr Tradowsky auch vorgeworfen, dass ich als mittelalterliche Inquisition auftrete, was
natürlich überhaupt nicht meine Absicht ist. Ich wollte einen Menschen schützen, weil ich ja wusste, wie das auf
ihre Sensibilität wirken würde, wenn das [der Medien- und Mitgliederrummel] erstmal richtig losginge, was
dann ja auch passiert ist. Weder die Inquisition noch Neid [haben mich zu meinem Handeln motiviert], wie
vermutet wurde. Nein, ich habe mich noch nie einen Moment danach gesehnt, stigmatisiert oder auf diese Weise
hellsichtig zu sein. Das ist überhaupt nicht mein Ziel. Also der Vergleich hinkt hinten und vorne, oben und
unten.“83
4. 2. Die Bekanntmachung der Stigmatisation
Da die Nachricht über die Stigmatisation nun informell durchzusickern begann, entschloss
sich JvH zu einer offiziellen Bekanntmachung, „um zu verhindern, dass in unwürdiger Weise
78 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 20 f.
79 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 21.
80 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 21 f.
81 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 12 f.
82 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 13.
83 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 15.
29
eine sensationelle, unsachliche Darstellung an Sie [die Mitglieder] herantritt.“ Am 23.
September 2004 versandten EL, JvH, MK und PT, also die Mitglieder des Hauskreises, unter
dem Briefkopf des AZB einen Informationsbrief an den IK, an die Vertreter der deutschen
Arbeitszentren, an den Vorstand der AGiD und an das Hochschulkollegium am
Goetheanum.84
„[MK:] Phänomenologische Darstellung
Die Stigmata wurden zunächst an den Innenflächen der Hände, dann an den Handrücken, an der Ober- und
Unterseite der Füße, schließlich unterhalb der rechten Brust sichtbar. Die Stigmata entsprechen dem
Auferstehungsbild Mathis Grünewalds (Isenheimer Altar in Colmar). Die Wunden brachen am Karfreitag auf,
bluteten insbesondere in der Karwoche, am Karfreitag sowie an allen übrigen Freitagen bis zur Pfingstfest.
Seitdem treten Blutungen nur noch sporadisch, bei besonderen Anlässen auf. Die Male, die mehr oder weniger
immer schmerzen, sind seitdem nahezu unverändert.
Die Stigmata zeigen eine radikale Verwandlung des ganzen Blutsystems an, das als physisch geistiger Ausdruck
des Ich alle Organbereiche durchdringt und verbindet. Das bedingt z.B. für alle Sinneswahrnehmungen und
insbesondere für die Ernährung gravierende Veränderungen. Nicht als Ergebnis irgendeiner Askese, sondern
durch die Unmöglichkeit irdische Stoffe aufzunehmen, ergibt sich seit Sichtbarwerden der Stigmata die völlige
Nahrungslosigkeit. Der grundlegend veränderte Organismus wehrt jede irdische Nahrung wie Gift ab, auch
Wasser kann nur in begrenzten Mengen aufgenommen werden.
Mit der Stigmatisierung ging am Karfreitag und an allen folgenden Freitagen eine gewisse
Bewusstseinsveränderung einher. Wie allgemein bekannt, gibt es keinen physischen oder historischen Beweis
für die Tatsache des Mysteriums von Golgatha. Es zeigt sich nun aber, dass alle Ereignisse der Kar- und
Osterzeit in ihrem physisch-sinnlichen Verlauf bis ins letzte Detail bewahrt sind und wie ein gegenwärtiges
Geschehen als Wirklichkeit erlebt werden können. Durch die Stigmatisation vollzieht sich nicht nur ein
Miterleben, ein Mitleiden. Es ist ein leiblich-seelisch-geistiges Mitvollziehen, so dass das gewöhnliche Sinnes-
Verstandes-Bewusstsein für die Dauer des Miterlebens der historischen Vorgänge in Palästina verlassen wird.
Am physischen Leib werden während dieses Miterlebens die Misshandlungen Jesu Christi und deren Folgen
physisch offenbar, bis hin zum Todeskampf.
84 Dazu MK retrospektiv: „Dann haben wir diesen Brief geschrieben. Frau Lechner und ich wurden gebeten,
diesen als Zeugen der Stigmata mit zu unterschreiben. Das habe ich auch gemacht, obwohl ich mit dem Stil und
Inhalt des Briefes nicht so ganz einig war. Aber ich hatte gesagt, das [die „persönliche Erklärung“] ist ihre
[JvHs] Sache, dort will ich nicht reinreden. Die Interpretation kann man als reale Denkmöglichkeit, aber nicht als
ein Faktum darstellen, wie ich das in meinem [in Das Goetheanum erschienenen] Aufsatz getan habe.“ „Aber
Judith von Halle war es unendlich wichtig, dass diese Schlusspassage aus dem Brief auch drin steht. Jeder der
das liest, möge empfinden, dass sich durch mich jetzt unmittelbar der Christus an ihn wendet. Ich habe
eingewendet: auf keinen Fall sollen wir das da reinschreiben. Obwohl man natürlich sagen kann, das ist
eigentlich die Haltung des Paulus: ‚nicht ich, sondern Christus in mir‘. Aber gerade wenn du das so empfindest,
dann musst du es nicht schreiben. Denn wenn du es schreibst, wirkt es genau umgekehrt.“ Siehe Martin
Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 23, 26.
30
Die Erfahrung des Miterlebens haben zwar in dem Sterben Christi ihren Höhepunkt, sie erstrecken sich aber
auch auf das, was die Höllenfahrt genannt wird und insbesondere auf die Auferstehung ‚in der Morgenfrühe des
ersten Tages der Woche‘.“85
„[PT:] Geisteswissenschaftliche Erläuterung
Der Apostel Paulus hat immer wieder betont, dass das Christentum mit der Tatsache und dem Verstehen der
Auferstehung Christi steht und fällt. Das moderne, naturwissenschaftlich bestimmte agnostische Bewusstsein
kann konsequenter Weise die Auferstehung nicht verstehen, ja es muss sie leugnen. Darin besteht die Krise und
Tragik des konfessionellen Christentums, dass es aus dem gewöhnlichen Zeit- und Wissenschaftsbewusstsein zu
einem Verstehen des eigenen Fundaments nicht kommen kann.
Erst durch den Zyklus ‚Von Jesus zu Christus’(GA 131, Karlsruhe, Oktober 1911) ist von Rudolf Steiner für die
Auferstehung Christi als einer Grundtatsache der Geisteswissenschaft der Weg zum Verständnis eröffnet. Auf
die besondere Bedeutung dieses Zyklus hat Rudolf Steiner verschiedentlich hingewiesen. Rudolf Steiner hat als
geisteswissenschaftliche Erkenntnis der Auferstehung immer die Wiederherstellung, die Wiederaufrichtung der
verlorenen Prinzipien des Menschen, des ‚Phantoms’ dargestellt.“
‚Dieses Phantom ist die Formgestalt des Menschen, welche als ein Geistgewebe die physischen Stoffe und Kräfte
verarbeitet, so dass sie in die Form hineinkommen, die uns als der Mensch auf dem physischen Plan
entgegentritt.’ (6. Vortrag). Das Phantom ist ‚als der reale Gedanke in der Außenwelt’ vorhanden.
Dieses Phantom ist durch die luziferische Verführung mehr oder weniger zerstört worden, die
Menschenwesenheit hat sich in die Materie, in die Sichtbarkeit, in die Sterblichkeit verstrickt. In der
Auferstehung ist durch Christus ein neues Phantom, ein unverweslicher Leib geschaffen worden. Indem Paulus
den Christus mit der Christus-Tat identifiziert, nennt er ihn auch den zweiten Adam, den jeder Mensch als Christ
in einem immer währenden Streben ‚anziehen’, d. h. sich zu eigen machen kann.
‚Und es ist möglich, daß der Mensch in seiner Organisation jene Kräfte, die damals auferstanden sind, so erhält,
wie er durch seine physische Organisation im Erdenanfang in Folge der luziferischen Kräfte die
Adamorganisation erhalten hat.’ (GA 131, 7. Vortrag).
Im letzten Vortrag dieses Zyklus werden von Rudolf Steiner die Empfindungen auf dem Weg der christlichen
Einweihung beschrieben, die so stark entfaltet werden können, dass sie bis zum physischen Leib vordringen.
‚Vielleicht ist es noch nicht allen von Ihnen, welche die früheren elementaren Zyklen gelesen haben und dadurch
der christlichen Einweihung mit ihren sieben Stufen begegnet sind, aufgegangen, dass durch die Intensität der
Empfindungen, welche dabei durchgemacht werden sollen, wirklich hineingewirkt wird bis in die physischen
Leiber.’ ...
‚Sie dringen ja auch wirklich bis zum physischen Leib vor; denn es kommen die Stigmata, die von Blut
durchtränkten Stellen der Wundmale des Jesus Christus hervor, das heißt also: bis in den physischen Leib
treiben wir die Empfindungen hinein und wissen, dass wir uns von unserer Wesenheit mehr ergriffen fühlen als
etwa bloß Astralleib und Ätherleib. Es ist also im Wesentlichen so zu charakterisieren, dass wir durch einen
solchen Vorgang mystische Empfindungen bis in unseren physischen Leib hineinwirken. Wenn wir das tun,
machen wir nichts Geringeres, als dass wir uns bereit machen, in unserem physischen Leib das Phantom zu
empfangen, das ausgeht von dem Grabe auf Golgatha. Wir arbeiten deshalb in unseren physischen Leib hinein,
85 Martin Kollewijn: Phänomenologische Darstellung [der Stigmatisation Judith von Halle]. Berlin 23.
September 2004.
31
um denselben so lebendig zu machen, dass er eine Verwandtschaft, eine Anziehungskraft fühlt zu dem Phantom,
das sich auf Golgatha aus dem Grabe erhoben hat.’ (GA 131, 10. Vortrag)
Erst hier verknüpft Rudolf Steiner das Auftreten der Stigmata während des christlichen Einweihungsweges mit
dem ‚Anziehen des Phantoms’. In früheren Darstellungen hat Rudolf Steiner davon gesprochen, dass auf der
vierten Stufe der christlichen Einweihung, der Kreuztragung, ‚im Verlauf seiner (des Menschen) Meditation die
Stigmata auf seiner Haut’ hervorgerufen werden können. (GA 94, S. 58) Da sich diese Stigmata, wie es an
anderer Stelle heißt, ‚vorübergehend zeigen können’ (GA 94, S. 178), ist offensichtlich, dass die während der
Meditation auftretenden Stigmata von den unwillkürlichen, schicksalhaft dauernden durchaus zu unterscheiden
sind.
Das dauerhafte Auftreten der Stigmata ist hingegen als Umwandlungsprozess, als Ergebnis des
Einweihungsweges anzusehen. Es ist aus der ‚Empfindung’ eine physisch leibliche Tatsache geworden. Die
Ausbildung des Phantoms kann zweifelsohne auch ohne das Sichtbarwerden der Stigmata erfolgen. Die Anlage
zur Ausbildung des Phantomleibes geht zwar immer vom auferstandenen Christus aus, passt sich aber dem
jeweiligen Ich in einem individuellen, über Inkarnationen gehenden Entwicklungsweg an.
Das bleibende Erscheinen der Stigmata ist als ein noch über das persönliche Karma hinausreichender Prozess
anzusehen, der vor allem für die Umgebung von Bedeutung ist.
Um zu einem Verständnis der völligen Nahrungslosigkeit zu kommen, kann man sich in Erinnerung rufen, dass
die gewöhnliche Ernährung tatsächlich Ausdruck der Degeneration des Phantoms, der Urgestalt des Menschen
ist. Daher sagt Rudolf Steiner:
‚Wir können diese Degenerierung in einer gewissen Weise so auffassen, dass eigentlich vom Anfang der
menschlichen Entwicklung an dieses Phantom dazu bestimmt war, unberührt zu bleiben von den materiellen
Teilen, die aus dem Mineral-, Pflanzen- oder Tierreich vom Menschen als Nahrungsmittel aufgenommen
werden. Davon unberührt sollte das Phantom bleiben. Es war aber nicht unberührt geblieben.’(8. Vortrag)
In diesem Sinne ist es wesentlich, die durch die Stigmatisierung auftretenden Phänomene nicht als Krankheit,
sondern als Zeichen einer werdenden, zukünftigen Gesundheit des Menschen zu verstehen. Das erneuerte
Phantom, der Auferstehungsleib, ist die Essenz aller Gesundheits-, Heilungs- und Kindheitskräfte. Es wird
derjenige Leib sein, der den Menschen über die Erdentwicklung hinaus in das Jupiter-Dasein trägt.
[Unterzeicher: Peter Tradowsky/ Judith von Halle]“86
„[PT:] Kurze Vita
Judith von Halle, geborene Behrend, wurde 1972 in Berlin in einer jüdischen Familie geboren. Als Schülerin
lebte sie längere Zeit in Tel Aviv / Jerusalem und Houston (Texas). In Berlin genoss sie eine humanistische
Schulbildung. Sie ist Dipl.-Ing. Architektin. Verheiratet mit dem Architektur-Professor C. A. von Halle. Neben
der Leitung des Sekretariats des Arbeitszentrums Berlin im Rudolf Steiner Haus ist sie auch als Architektin tätig.
Sie ist Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. In den
Jahren 2001 und 2003 hielt sie im Rudolf Steiner Haus Berlin vier Vorträge über das esoterische Judentum und
über die Offenbarung des Johannes.
Als Judith von Halle vor etwa sieben Jahren die Geisteswissenschaft kennenlernte, waren ihr die Inhalte sofort
bewusst und lebendig, sie waren ihr in anderer Form bereits vertraut, es bedurfte nur eines geringen Anstoßes,
86 Peter Tradowsky: Geisteswissenschaftliche Erklärung [der Stigmatisation]. Berlin 23. September 2004.
32
die anthroposophischen Begriffe ihren Erfahrungen zuzuordnen. Das Auftreten der Stigmata kann nicht auf das
Verfolgen des christlichen Schulungsweges in dieser Inkarnation zurückgeführt werden. Was aufgetreten ist,
kann nur als Frucht früherer Erdenleben angesehen werden, obwohl sie seit Kinderjahren eine besondere
Vertrautheit mit der Christus-Wesenheit verbindet. Im Nachhinein erscheint die Biographie auf das Ereignis der
Stigmatisation hinorientiert. So erscheint einerseits die Stigmatisation als Ausdruck einer über Inkarnationen
gehenden höchst individuellen Entwicklung, andererseits als ein Vorgang, der sich nur durch den Willen
geistiger Wesen vollziehen kann.
Von Kindheit an ist Judith von Halle die Fähigkeit eigen, mit Bewusstsein in beiden Welten zu leben; in der
Welt des gewöhnlichen Tagesbewusstseins, sowie in derjenigen, die Rudolf Steiner als die geistige Welt
bezeichnet. Was damit gemeint ist, kann durch ein Wort von Novalis erläutert werden:
‚Das willkürlichste Vorurteil ist, dass dem Menschen das Vermögen außer sich zu sein, mit Bewusstsein jenseits
der Sinne zu sein, versagt sei. Der Mensch vermag in jedem Augenblicke ein übersinnliches Wesen zu sein. ... Es
ist kein Schauen, Hören, Fühlen; es ist aus allen dreien zusammengesetzt, mehr als alles dreies: eine
Empfindung unmittelbarer Gewissheit, eine Ansicht meines wahrhaftesten eigenen Lebens.’ (Fragmente,
Blütenstaub)
Da Judith von Halle für Andeutungen diesbezüglicher Erlebnisse in ihrem damaligen Umfeld keinerlei
Verständnis fand, zog sie sich in Bezug auf diese ganz in sich zurück und behandelte ihre Erfahrungen als einen
im inneren Heiligtum zu hütenden Erkenntnisschatz, als Verbindung mit der geistigen Heimat. In der Begegnung
mit der Geisteswissenschaft fand sie, dass Rudolf Steiner in der Anthroposophie gedankenklar alles das
dargestellt hat, was in einer gewissen ‚Kontinuität des Bewusstseins’, wie es Rudolf Steiner in dem
gleichlautenden Kapitel in ‚Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten’ bezeichnet, schon immer in ihr
gelebt hat.
Ihr Bewusstseins- und Erkenntniswerdegang verdeutlicht, dass das oben beschriebene Bewusstsein jenseits der
Schwelle nicht in einem direkten Zusammenhang mit der Stigmatisation steht. [Unterzeichner: Peter
Tradowsky]“87
[JvH:] Persönliche Erklärung
Wir wollten uns heute mit einer Darstellung des oben behandelten Ereignisses an Sie wenden, die in einer ganz
bestimmten Weise vorgebracht werden sollte. Ich möchte deutlich machen, dass mir die Form, mit der dieser
Text behandelt wurde und vor allem aufgefasst und entgegengenommen werden soll, von größter Bedeutung ist.
In keiner Weise wird leichtfertig mit diesem Thema umgegangen, sondern mit der sich aus der Situation
ergebenden Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit.
Es sei betont, dass der Entschluss, Ihnen dieses mitzuteilen, keinesfalls überstürzt gefasst wurde, dass hingegen
es mir nicht leicht fiel, Ihnen – von denen ich die Wenigsten persönlich kenne – diese doch teilweise sehr
intimen Informationen anzuvertrauen. Dies soll geschehen aus einem Impuls, den ich ohne die Bekräftigung der
geistigen Welt nicht in dieser Weise hätte entwickeln können. Und doch ist das physische Auftreten des
Geistigen so evident und kraftvoll, dass dessen Darstellung für denjenigen, der die Sache in unangemessener
Weise auffasst, fragwürdig erscheinen kann. Mir bleibt nur zu hoffen, dass der heutige Versuch, die gegebenen
Umstände in wirklich geisteswissenschaftlich objektiver Weise darzustellen, solche Missverständnisse von
vornherein ausschließen möge. Es sollte sich aus den Erläuterungen ergeben haben, dass diesem Phänomen ein
87 Peter Tradowsky: Kurze Vita [von Judith von Halle]. Berlin 23. September 2004.
33
wenn auch zukünftiger, aber durchaus normaler Umgestaltungsprozess des menschlichen Organismus zugrunde
liegt, der allein durch die erkenntnisdurchdrungene Arbeit an der Aufnahme des Christus-Mysteriums im
Menschen reifen kann.
Das Leben der vergangenen sechs Monate hat eindeutig gezeigt, dass die Existenz als stigmatisierter Mensch in
völliger Heimlichkeit und Abgeschiedenheit unmöglich ist. So unangenehm die Entblößung meiner innersten
Entwicklung für mich persönlich sein mag, so ist es doch durch ihr Sichtbarwerden unvermeidlich, sie nach
außen in angemessener Weise darzustellen. Die nach außen sichtbar wirkende Geistigkeit verlangt durch diesen
Umstand danach. Gerade als ein Mensch, der von den Inhalten der Anthroposophie zutiefst erfüllt ist, wird mir
die damit verbundene Aufgabe zu einer Verantwortung gegenüber den geistigen Welten, die eben durch die
Anthroposophie bewusst aufgegriffen und verarbeitet werden kann.
Abschließend möchte ich aussprechen, was mir besonders am Herzen liegt: Schauen Sie bitte nicht mich als
einen Menschen an, an dem ein schier unerklärliches Wunder wirkt. Bitte schauen Sie auf die geistigen
Tatsachen, die diesem Phänomen zugrunde liegen. Jede Darstellung über die Ereignisse soll nicht meine Person
in den Vordergrund rücken. Da sich diese Ereignisse an mir vollziehen, sind sie mit meinem Wesen verknüpft.
Doch es ist stets Christus selbst, der Sie ganz persönlich – in Liebe – anspricht, wenn Sie sich mit diesem
Stigmatisations-Ereignis auseinandersetzen, das innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft aufgetreten ist,
indem Er durch Seine Gnade, durch die Lenkung und Stützung Ihres Karmas, Sie selbst zu Zeugen werden lässt
von Seinem Gang durch die Erdenwelt, von Seiner Authentizität, von Seiner Allgegenwart. [Unterzeichnerin:
Judith von Halle]“88
Nach Versand dieses Informationsbriefes luden sie zum 27. September 2004 die Mitglieder
des Rudolf-Steiner-Zweiges und des Pastoralmedizinischen Kreises: namentlich EL, JvH,
MK, PT, E-M. Vögler, Herrmann und Matthias Girke und MO zu einem Informationsabend
ein. MK berichtete darüber:
„Judith von Halle wollte eigentlich, dass man Tradowskys und ihrer Interpretation der Sache beipflichtet, doch
Frau Oltmann war dazu nicht bereit. Sie sagte: ich will das erstmal in aller Ruhe prüfen und auch deswegen bin
ich nicht damit einverstanden, dass das jetzt weiter bekannt gemacht wird. Und da war dann kein großes
Gespräch mehr möglich. Ich war in der Position, dass ich zu Frau Oltmann gegangen bin und versucht habe, sie
dazu zu bringen, doch das Gespräch weiterzuführen. Und sie sagte, ich bin gerne bereit, aber die Judith von
Halle will nicht mehr.“89
MO erklärt: „An diesem Abend hat sich viel Schicksal zwischen Judith v. Halle und mir entschieden. Ich war
über diesen Brief, der da an die ganzen Institutionen geschickt wurde, aus zwei Gründen sehr erschrocken.“90
Der eine Grund war, dass Tradowsky gleich die anthroposophischen GA-Angaben zu den Phänomenen lieferte
und mir jetzt gleich bedeutet wurde, es handelt sich um den Auferstehungsleib; das durchchristete Phantom. So
88 Judith von Halle: Persönliche Erklärung [zur Stigmatisation]. Berlin 23. September 2004.
89 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 22.
90 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 11.
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kann man meiner Ansicht nach mit Anthroposophie nicht umgehen. Diese Erklärungen zum Phänomen der
Stigmatisierung konnten nicht die einzigen sein, mit denen sich das Ganze ungeprüft und sensationell
auszubreiten begann. Deshalb hat dann der Vorstand das Seine dazu veröffentlicht.“91 Der zweite Grund war in
MOs Augen, dass JvH mit der Persönlichen Erklärung eine Schwelle unbotmäßig übertreten habe: „Auf der
einen Seite zu behaupten: ich bin ganz bescheiden und guck bitte nicht auf meine Person. Auf der anderen Seite
zu sagen: Ihr Karma hat was ganz Besonderes für Sie im Gepäck, wenn es Sie mit mir zusammenbringt, weil Sie
dadurch eine Christusbegegnung haben. Das kann man heute entweder von fast jedem Menschen sagen oder man
sagt es lieber nicht. Ich habe Verständnis dafür, dass sie so geschrieben hat. Aber wer den Brief mitgeschrieben
hat, hätte sie davor bewahren müssen so etwas zu schreiben.“92
4. 2. Die Reaktionen auf die Stigmatisation
Für das Hochschulkollegium der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft antworteten
Nikolai Fuchs und Sergej Prokofieff zeitnah und freundlich:
„Die vorsichtige und behutsame Art[,] wie Sie versuchen umzugehen mit dem, wovon Sie berichten, scheint uns
allen richtig und angemessen in dieser Situation zu sein. Denn vor allem Frau von Halle braucht eine schützende
Hülle, die sie vor jeglicher Art sensationslustiger Menschen bewahren kann. [...] P.S. Es kann sein, dass noch
jemand vom Vorstand oder Hochschulkollegium Sie [PT] oder Frau von Halle persönlich anschreiben wird.“93
Und in der Tat bedankte sich kurz darauf Michaela Glöckler, Leiterin der Medizinischen
Sektion am Goetheanum, für die offenherzige Information und suchte JvH bei ihrem nächsten
Aufenthalt in Berlin persönlich auf.94 Bei einem zweiten Besuch in Berlin um Weihnachten
2004 versuchte Michaela Glöckler, JvH und MO nochmals zusammenzubringen und ihre
gegenseitigen Missverständnisse auszuräumen. Bei diesem Treffen soll MO nochmals die
Argumente wiederholt haben, dass sie sich durch JvHs Stigmatisation in ihrer Freiheit
eingeschränkt fühle und dass die AGiD in der öffentlichen Wahrnehmung gefährlichen
Schaden nehmen könnte. Doch Michaela Glöckler versuchte diese Ängste zu entkräften,
indem sie folgende Taktik vorschlug: „Das ist doch genial, wenn solche Angriffe kommen,
dann kannst du [MO] doch in Berlin und ich in Dornach dagegen arbeiten.“95
Der Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland reagierte nach innen
uneinig und daher nach außen lange gar nicht. Auf die Frage, ob die Nicht-Beantwortung
eines solch brisanten Briefes aus der Mitgliedschaft nicht unhöflich sei, antwortet NG
91 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 11.
92 Mechtild Oltmann: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. Januar 2007, S. 12f.
93 Sergej Prokofieff/ Nikolai Fuchs: Brief des Vorstandes und des Hochschulkollegiums der Allgemeinen
Anthroposophischen Gesellschaft an Peter Tradowsky. Dornach 30. September 2004.
94 Vlg. Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 22.
95 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 22.
35
zustimmend: „Ja. Aber das war nicht die einzige Stelle, wo wir unhöflich waren. Höflich wäre
es gewesen zu sagen, wir haben den Brief bekommen. Doch man darf nicht verkennen, dass
Oltmann und ich noch in der Zeit im Initiativkreis relativ nah dran waren.“96 Erst nachdem
sich die Deutung der Stigmatisation zu einem Element der Berliner Krise ausgewachsen hatte,
veröffentlichte der deutsche Landesvorstand eine Stellungnahme Zum Berliner
Stigmatisationsphänomen in den Mitteilungen vom September 2005 auf Seite 3:
„Im Arbeitszentrum Berlin der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland ist es in den vergangenen
Wochen und Monaten zu erheblichen Beunruhigungen gekommen. Diese ergaben sich aus dem Phänomen der
Stigmatisation von Judith von Halle, der Sekretariatsmitarbeiterin des Arbeitszentrums einerseits, aus den
Bestrebungen Peter Tradowskys, das Arbeitszentrum als eigenständigen Verein aus dem rechtlichen
Zusammenhang der Landesgesellschaft herauszulösen, andererseits. Judith von Halle und Peter Tradowsky
haben gemeinsam verschiedene Veranstaltungen geplant und durchgeführt, die die Folgen und Wirkungen der
Stigmatisation zum Thema haben.
Der zur Darstellung gekommene geisteswissenschaftlich-anthroposophische Hintergrund der bezeichneten
Phänomene kann als durchaus fragwürdig betrachtet werden. Die Ursache der – fraglos vorhandenen –
Stigmatisation muss als ungeklärt gelten. Deutlich wahrnehmbar jedoch ist, dass die Intention und die Art der
Darstellung der Phänomene und ihres gemeinten spirituellen Hintergrunds emotionalisierende und letztlich die
Anthroposophische Gesellschaft auseinander divergierende Wirkungen haben. Diese zeigen sich beispielsweise
in der erkennbaren Intention, die anthroposophische Bedeutung der Stigmatisation herauszustellen und mit der
Entwicklung in der Gesellschaft zu verbinden.
Der Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland distanziert sich von den beschriebenen
Überzeugungen, Interpretationen und Bestrebungen. In michaelischer Perspektive zeigt sich die Gefahr, ein
altspirituelles, körpergebundenes Geistverhältnis zu betonen, das heute nur unzeitgemäß sein kann. Die
persönlichen und sozialen Folgen einer solchen Geisteshaltung zeigen sich u. a. auch in Formulierungen von
Judith von Halle und Peter Tradowsky, die schriftlich in Umlauf gebracht wurden. Dort wird behauptet, Christus
offenbare sich selbst in dem vorliegenden Stigmatisations-Geschehen: ‚Doch es ist stets Christus selbst, der Sie
ganz persönlich – in Liebe – anspricht, wenn Sie sich mit diesem Stigmatisations-Ereignis auseinandersetzen,
das innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft aufgetreten ist, indem Er durch seine Gnade[,] durch die
Lenkung und Stützung Ihres Karmas, Sie selbst zu Zeugen werden lässt von Seinem Gang durch die Erdenwelt,
von Seiner Authentizität, von Seiner Allgegenwart.’“97
Da im Berliner IK bis zum Versand des Informationsbriefes nur MK, MO und PT über das
Phänomen im Bilde waren, fühlten sich die übrigen IK-Mitglieder von der plötzlichen
Information etwas überrumpelt, gegenüber den Nachfragen seitens des Dornacher und
deutschen Vorstandes zu desinformiert und von der unabgesprochenen Benutzung des AZB-
96 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S 23.
97 Vortand der AGiD: Zum Berliner Stigmatisationsphänomen. Eine Stellungnahme des Vorstands, in:
Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland, (September 2005) S. 3.
36
Briefkopfes durch den Hauskreis schlicht übergangen. MK meint dazu retrospektiv: „Der
Fehler, den ich gemacht habe, ist, dass ich nicht darauf bestanden habe, dass wenigstens die
Berliner Mitglieder des Initiativkreises vorher davon wissen.“98 Um sich also auch die nötigen
Kenntnisse über das Phänomen zu verschaffen, vereinbarte der IK zum 5. Oktober 2004 ein
„Gespräch mit Judith von Halle“99.
MK bemerkt: „Es gibt es kein Protokoll“ von dieser Sitzung, in der „Judith von Halle zuerst
ausführlich erzählt und Nana Göbel dann diese drei Bemerkungen gemacht hat, die
anschließend von Peter Tradowsky bei jeder Gelegenheit ausposaunt wurden.“100 NGs
Aussagen lauten nach einer Zusammenfassung PTs wie folgt: „1. ‚Das hat mit
Anthroposophie nichts zu tun.’“ 2. ‚Wenn Sie wollen, können Sie das wieder wegmachen.’ 3.
‚Das ist gefährlich und schädlich für die Anthroposophische Gesellschaft.’“101 NG habe sich
„ganz aggressiv“ in einem Sinne geäußert, der PTs Erachtens„von Frau Oltmann und Herrn
Klünker [geistig] vorbereitet war.“102 Aus Sicht JvHs stellte sich das Gespräch
folgendermaßen dar:
„Es war so, dass ich vom Initiativkreis eingeladen wurde, um den Mitgliedern Rede und Antwort zu stehen. Die
durften mir sozusagen in einem ‚Verhör’ viel intimer auf den Zahn fühlen, als ich das [Phänomen] je in
irgendwelchen Vorträgen dargestellt habe.“103 „Es war trotz der Moderationslosigkeit eine ganz angenehme
Runde, in der alle – von DH bis MW – reihum Fragen gestellt haben“, „außer Nana Göbel.“ „Die Einzige, die
mir gegenüber saß, immer roter wurde und innerlich zu kochen begann, war Nana Göbel. Nach Ablauf einer
Frist explodierte der Vulkan.“ „ und
dabei fielen übrigens noch andere Bemerkungen als die drei genannten Kernaussagen: (1.) ‚Das schadet der
Anthropsophischen Gesellschaft.’ (2.) ‚Das hat mit Anthroposophie nichts zu tun.’104 (3.) ‚Wenn Sie wollen,
dann können Sie das wieder wegmachen.’“ „Es war dann schwierig, darauf zu antworten, weil die Stimmung
derart eskaliert war.“ „Detlef Hardorp hat damals noch sehr für mich gesprochen und auch NG zu bewegen
versucht, sich bei mir zu entschuldigen.“ Doch „wenn sie mal in so einem Rausch drinnen ist, dann bringt kein
Mensch des Initiativkreises diese Cholerikerin sofort wieder herunter. Sie war dort schon die Nummer 1.“105
98 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 23.
99 MK: (Tagesordnung) für die nächste Initiativkreissitzung, Dienstag, den 5. Oktober 2004, von 16.00 bis 19.30
Uhr im Rudolf-Steiner-Haus. Berlin 30. September 2004, Tagesordnungspunkt: „3. Gespräch mit Judith von
Halle“.
100 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 26.
101 Peter Tradowsky: Meine Darstellung der Gründe und Hintergründe der von dem Vorstand der
Landesgesellschaft hervorgerufenen Krise. Berlin 7. September 2005, S. 1–6, hier S. 2.
102 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 23.
103 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 28.
104 Zu (2.) fügt JvH an: „Was ich auf der einen Seite auch nie behauptet habe. Auf der anderen Seite ist jedes
Phänomen anthroposophisch anzuschauen: Wenn der Regenwurm ein Löchlein gräbt, dann kann man das
anthroposophisch betrachten.“ Siehe Judith von Halle: Unautorisiertes Interview mit der UFK Berlin, Berlin 22.
Juli 2006, S. 29.
105 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 28 ff.
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MK versuchte die Situation zu retten, weil er fand: NGs Reaktion war in der Form der „Cholerik nicht
angemessen und im Inhalt ebenfalls nicht so überzeugend. Nachdem sie das gesagt hatte, habe ich den Brief von
Michaela Glöckler aus der Tasche gezogen“ und vorgelesen, wie diese „gleich reagiert und sich sehr
anerkennend“ in dem Sinne geäußert hat: „wie toll, dass jetzt einmal gleich berichtet wird, wenn etwas
Wichtiges“106 vorgefallen ist. PT meint: „Detlef Hardorp hat sich sogar später mit Nana Göbel – wohl auch
außerhalb der Sitzung – furchtbar angelegt.“107 „Nana Göbel hat mir“, so JvH, „nachher den Vorwurf gemacht,
ich hätte zwei Stunden lang gesprochen und sie sei dabei nicht zu Wort gekommen. Das ist zwar einerseits
richtig, anderseits auch wieder eine Halbwahrheit. Denn ich habe ja nur deshalb zwei Stunden gesprochen, weil
mich sechs bis sieben Leute zwei Stunden lang befragt haben.“108
Sesbastian Bögner, der heutige Vertreter des AZB, wird NGs Verhalten später mit den
Worten bewerten: NG hat
„ihre Urteile einfach hingepfahlt. Zur Urteilsbildung ist sie als freier Mensch auch berechtigt. Aber sie sollte sie
um Gottes Willen nicht gerade in anthroposophischem Zusammenhang auf eine zutiefst verletzende Art und
Weise vorbringen und dazu nicht einmal auf phänomenologischer und ideenmäßiger Ebene irgendwie
begründen. Zu diesem, in meinen Augen, mehrfachen Totschlagargument, einer wirklichen Ungeheuerlichkeit,
kam kein Wort [der Begründung oder Entschuldigung]. Das geht nun wirklich nicht, nicht als einfaches Mitglied
und schon gar nicht als Generalsekretärin und Vorstandsmitglied.“109
Sie selbst rekapituliert die Sitzung folgendermaßen:
„Sie [JvH] hat eine Stunde lang einfach [über ihre Stigmatisation, Nahrungslosigkeit und die Zeitreise] erzählt.
Danach sollte ein Gespräch sein. Und als ich in dem Gespräch an die Reihe kam und etwas sagen wollte, da fiel
sie mir ins Wort. Daraufhin habe ich weitergeredet, da fiel sie mir [abermals] ins Wort, woraufhin ich sie
angebrüllt habe: Ich hätte ihr jetzt eine Stunde lang zugehört und sie hätte mir jetzt gefälligst auch zuzuhören.
Und das war im Prinzip alles. Und dann habe ich noch ein paar Bemerkungen gemacht, die Frau Lechner und
Herr Tradowsky auf eine bestimmte Art mitgeschrieben haben, inhaltlich stimmt das sicher, ob ich es so gesagt
habe, das weiß ich nicht, weil ich meine Aussagen nicht mitschreibe. Ich habe in diesem Zusammenhang erstens
gesagt, dass der Zusammenhang mit der Anthroposophischen Gesellschaft für mich nicht evident ist; zweitens,
dass es sich um ein Phänomen handelt, dessen Verursachung ich nicht kenne und bei dem sich die Frage stellt,
ob das modern [oder atavistisch] ist; drittens stellt sich die Frage, ob sie das behalten oder wegkriegen will.“110
NG präzisiert die erste Aussage im Verlauf des Interviews: „Bei dem Gespräch habe ich die Vermutung
ausgesprochen, dass die Wirkungen an der Anthroposophischen Gesellschaft nicht heilsam sein werden. Und das
bestätigt sich auch: das Phänomen führt zur Polarisierung in Ja oder Nein, Entweder-Oder, aber nicht zu
irgendeiner Art von Brückenbildung.“111
106 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 24.
107 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 23.
108 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 28.
109 Sebastian Bögner: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 26. November 2004, S. 13.
110 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 15 f.
111 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 19.
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Mit der letzten Frage rekurriert NG auf den angeblichen Rat Rudolf Steiners gegenüber dem
stigmatisierten Richard Pollack:
„Sie kennen sicherlich diese Geschichte mit dem Stigmatisierten am Ersten Goetheanum. Da hat Steiner ihm ja
Übungen empfohlen, mit denen er die Stigmatisierung wegkriegen könne.“112 „Rudolf Steiner hat jedenfalls“, so
NG weiter, „mit allen möglichen atavistischen Sachen Umgangsweisen gehabt und deshalb habe ich ihr
gegenüber das auch so formuliert: man müsse gucken, ob das [wirklich] der moderne Schulungsweg sei. Denn
aus diesem [Informations-]Brief geht ja hervor, dass sie das für ein integrales Phänomen [der Anthroposophie]
hält. Daran habe ich meine Zweifel. Ich finde, so etwas muss man besprechen können. Wenn nicht alle sofort in
die Anbetungshaltung fallen ist das völlig in Ordnung. Doch wenn man damit dann Politik macht, dann wird es
schief. Und Herr Tradowsky hat damit Politik gemacht, wobei ich sagen würde, Herr Tradowsky hat die Politik
gemacht und sie ist eher das Opfer [seiner Politik].“113
NG fährt fort, indem sie den Umgang mit dem Stigmatisations-Phänomen in historischer
Dimension beleuchtet:
„In dieser betreffenden Sitzung habe ich auch gemeint: ich hätte mich am liebsten wie die katholische Kirche
verhalten. D. h. jetzt wird erst einmal drei Jahre darüber geschwiegen. Und in diesen drei Jahren wird geprüft,
handelt es sich um eine echte Stigmatisierung, handelt es sich um eine Psychose, handelt es sich um schwarze
Magie oder was ist es. Das muss man doch rauskriegen können. Und da finde ich die katholische Kirche
vorbildhaft. Die hatte nämlich öfter solche Dinge zu untersuchen und hat dadurch einen gewissen Stil gefunden.
Und deshalb war ich von Vornherein dafür, dass zunächst darüber nicht geredet wird. Sodass man eine
Untersuchungsphase macht, um rauszukriegen, wie man dieses Phänomen zu qualifizieren hat.“114
Darauf erwidert PT:
„Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass Leute diese Meinung vertreten. Auch wenn mehrere päpstliche
Kommissionen schon festgestellt haben, dass das, was da mit der Autosuggestion erzählt wird, Unfug ist. Das ist
auch schon in der normalen Wissenschaft und Schulmedizin längst zu den Akten gelegt worden.“115
JvH schlägt dazu, wie vor ihr schon der stigmatisierte Pater Pio, ein Experiment vor:
„Konzentrieren Sie sich jetzt mal bitte zwei Wochen ganz intensiv auf einen Ochsen. Und Sie
werden merken, es wachsen Ihnen Hörner.“116
112 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 16.
113 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 16.
114 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 17.
115 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 25.
116 Judith von Halle: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 22. Juli 2006, S. 30.
39
Im Unterschied zur Katholischen Kirche hat die Anthroposophie, NGs Einschätzung nach,
„in der Regel mit materiellen Beweisen des Geistes nichts am Hut. Deshalb ist auch eine Folge des
anthroposophischen Schulungswegs in der Regel keine Stigmatisation. Das heißt, wenn einer stigmatisiert wird,
dann ist das erstmal auf einem anderen Feld.“ „Entweder jemand hat mit der Stigmatisation in der Menschheit
eine irgendwie sinnvolle Aufgabe oder er hat sie nicht. Das kann man vorher nicht wissen.“117
Die Generalsekretärin der AGiD äußert sich fernerhin über die Wirkungen auf die Mitglieder
sehr besorgt:
„Für die Anthroposophische Gesellschaft finde ich das keine einfache Kiste, weil ich die lieben Anthroposophen
kenne und weiß, wie sie reagieren, wenn einer sagt: ich weiß jetzt wirklich was. Und ich weiß, wie oft Dinge
geglaubt werden, und wie wenig die Leute sagen, was Rudolf Steiner schon empfohlen hat: ich prüfe erst
einmal.“118 Wenn JvH in der anthroposophischen Öffentlichkeit verkünde, „Einsicht in die Akasha-Chronik“ zu
haben, dann erziele sie „damit natürlich Wirkungen auf bestimmte Menschen. Und ich hatte große
Befürchtungen in bezug auf diese Wirkung.“119 NGs Ansicht nach komme hinzu, dass JvH „eine sehr lockere Art
hat, damit umzugehen. Und es war auch klar, dass sie sich der weiblichen Reize ihrer Person bewusst ist und
diese sehr bewusst einsetzen kann.“120 „Und alles Weitere, was zu meinem moralischen Urteil führte, z. B. die
Frage, ob sie damit [mit den Vorträgen und Publikationen] Geld verdienen will, hat sich dann im Laufe der Zeit
bestätigt.“121
Bei der nächsten IK-Sitzung vom 2. November 2004 stand auf der Tagesordnung unter Punkt:
„3. Erkenntnisgespräch im Anschluss an das Oktobergespräch mit Judith von Halle.
Rückblick auf [ihren und PTs] Vortrag vom 10. 10. [2004].“122 PT und JvH beabsichtigten
nämlich, kurz nach dem Informations-Gespräch im IK nun auch gemeinsam drei
Informations-Vorträge für die Mitglieder über das Stigmatisationsphänomen zu halten. Doch
nachdem die IK-Mitglieder bei dem Versand des Informationsbriefes vom 23. September
2004 nicht informiert worden waren, wollten sie nun wenigsten über die Informationsvorträge
vorher informiert werden und die etwaigen Konsequenzen dieses ebenso brisanten wie
heiklen Phänomens untereinander abwägen. Aber PT glaubte sich dadurch seiner geistigen
117 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 17.
118 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 17.
119 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 17.
120 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 19.
121 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 19.
122 Martin Kollewijn: [Tagesordnung] zur nächsten Initiativkreissitzung am Dienstag, den 2. November 2004,
von 16.00 bis 19.30. Uhr. Berlin 28. Oktober 2004.
40
Autonomie als Vortragsredner beraubt und erwog deshalb, die Vorträge anstatt im Rahmen
des AZB im Rahmen des Rudolf-Steiner-Zweiges zu veranstalten.123
Die ersten zwei Vorträge fanden zunächst noch ohne Abstimmung mit dem IK statt: 1. „Von
der Erkenntnis und der Wirklichkeit der Auferstehung Christi. Vortrag vom 10. Oktober
2004“; 2. „Die menschenkundliche Bedeutung des Phantoms, des Auferstehungsleibes.
Vortrag vom 7. November 2004“. Beide Vorträge haben die Referenten später in dem Buch
„Und wäre Er nicht auferstanden ...“ (2005) veröffentlicht.124
MK berichtete:
„Detlef Hardorp erzählt, er war auf einem Treffen von Öffentlichkeitsarbeitern und er hat erfahren, dass [die
Redakteure von] Info3 von der Sache auch Wind bekommen haben und darüber etwas schreiben wollen. Wir
haben gesagt: um Gottes Willen, was sollen die denn schreiben, die wissen doch gar nicht, was hier passiert
ist.“125 MK fuhr fort: „Ich und wir alle hatten ein bisschen die Befürchtung, es kommt gleich in die Bildzeitung
123 Siehe dazu die Korrespondenz zwischen DH und PT:
„Lieber Herr Hardorp,
zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich es grundsätzlich ablehne, meine Vortragstitel bzw. den Inhalt
meiner Vorträge vorab im Initiativkreis zur allgemeinen Diskussion zu stellen. Für ein solches Vorgehen, gibt es
weder in den Statuten noch in den Strukturen unserer Gesellschaft eine Rechtsgrundlage. [...] Um diese
Angelegenheit [die Mitglieder-Vorträge über JvHs Stigmatisation] nicht im Initiativkreis zu einem großen
Konflikt werden zu lassen, werde ich eine freie anthroposophische Initiative von dem Mittwochskreis aus ins
Leben rufen. [...] Ich beziehe mich hier ausdrücklich auf den § 11 der von Rudolf Steiner gegebenen Statuten,
der die Initiative und die Autonomie der Gruppen bzw. Zweige verankert. Nana Göbel hat gestern mit Recht
festgestellt, dass die Landesgesellschaft die Autonomie der Arbeitszentren zu achten und in der Struktur kein
Eingriffs- oder Weisungsrecht hat. [...] Ich werde den Rudolf-Steiner-Zweig und den Alexander-von-Humboldt-
Zweig ansprechen, sich als Veranstalter dem Mittwochskreis anzuschließen, da viele Mitglieder wiederholt den
Wunsch geäußert haben, weitere Vorträge zu dem Thema zu hören. Im übrigen ist wie immer bei solchen
Fragen, speziell aber beim Thema Stigmatisation, die sachliche Kompetenz eines solchen Gremiums in Frage zu
stellen.“ Siehe Peter Tradowsky: Brief an Detlef Hardorp. Berlin 09. Dezember 2004.
„Lieber Herr Tradowsky, Ihrem Brief vom 9. 12. entnehme ich, dass Sie immer noch nicht verstanden haben,
was mein Anliegen ist.
Es geht mir lediglich darum, dass in wichtigen und delikaten Angelegenheiten des Arbeitszentrums der
Initiativkreis nicht übergangen wird. [...] Es geht weder darum, die ‚Inhalte Ihrer Vorträge zur allgemeinen
Diskussion zu stellen’, noch darum, ob der Initiativkreis beim ‚Thema Stigmatisation die sachliche Kompetenz’
besitzt. Es geht um eine viel banalere Ebene. Sie haben (zusammen mit anderen) ein ausführliches Schreiben mit
Briefkopf des Arbeitszentrums an diverse Gremien vor einigen Monaten verschickt und Vorträge zu dem darin
beschriebenen Thema angekündigt, ohne vorher das Thema im Initiativkreis auch nur angedacht zu haben.
Nachträglich haben Sie das gerechtfertigt (es hätte die Gefahr bestanden, dass das Thema im Initiativkreis
‚zerredet’ würde). Mit anderen Worten: Sie haben an dieser Stelle mit Vorsatz den Initiativkreis übergangen.
Martin Kollewijn, der den Brief mit unterzeichnete, hat eingesehen, dass das so nicht korrekt war. Von Ihnen
kommt seitdem nur Selbstrechtfertigung. [...] Und letztens kündigten Sie fast beiläufig am Schluss der
Initiativkreissitzung am letzten Dienstag an, dass ein Brief an die Mitglieder über eine Fortsetzung der
Vortragsreihe P. Tradowsky/J. v. Halle an die Mitglieder demnächst verschickt werden solle. Abgesehen von
Ihnen und Herrn Girke [...] waren alle Anwesenden davon schon erstaunt, wenn nicht vor den Kopf gestoßen.
Jetzt liegt mir der Brief vor, der an die Mitglieder verschickt werden soll. Ich habe nichts dagegen, dass er wie
vorgeschlagen verschickt wird. [...] Es ist nach wie vor meine Einschätzungen [sic.], dass Sie die
Polarisierungstendenzen dadurch gefördert haben, indem Sie damals mitentschieden, den IK per Brief von den
Ereignissen um JvH in Kenntnis zu setzen.“ Siehe Detlef Hardorp: Brief an Peter Tradowsky. Falkensee 16.
Dezember 2004, S. 1-2.
124 Judith von Halle: „Und wäre Er nicht auferstanden ...“. Die Christus-Stationen auf dem Weg zum geistigen
Menschen, mit Beiträgen von Peter Tradowsky, Dornach: Verlag am Goetheanum 2005.
125 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 25.
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usw. Was ja offenbar nicht ganz berechtigt war, aber es hätte ja passieren können.“126 „Dann hat der
Initiativkreis gesagt: Versuchen wir doch selber etwas zu schreiben, und er hat entschieden, dass ich das
übernehmen soll, weil ich der Sache mit einer gewissen Objektivität gegenüberstand. Ich habe mich dazu
bereiterklärt und gleich angemerkt: ich mache das natürlich nur mit dem Einverständnis von Judith von Halle.
Und wir sind dann zu der Ansicht gekommen: das soll eigentlich erst einmal nur in der Mitgliedschaft bekannt
werden und nicht darüber hinaus. Berichten wir doch lieber in Das Goetheanum anstatt bei Info3.“127
MK liefert also, diesmal in Absprache mit dem IK, den deutschsprachigen Mitgliedern in Das
Goetheanum am 12. Dezember 2004 einen Bericht und am 19. Dezember 2004 eine
Interpretation der Stigmatisation von JvH. „Martina-Maria Sam [die Leiterin der Sektion für
Schöne Wissenschaften an der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum]
hat für die Wochenschrift die Redigatur übernommen.“128
4. 4. Exkurs: Die Differenz zwischen PT und WUK in Bezug auf die Stigmatisation
PT ist der Ansicht, der promovierte Theologe WUK sei in bezug auf die Atavismus-Deutung
des Stigmatisationsphänomens der Spiritus rector von MO und NG gewesen. „In diesem
Knäuel spielt auch die Geschichte zwischen Judith [von Halle] und Frau Oltmann eine große
Rolle. Frau Oltmann ist ganz eng an Klünker attachiert. Daher hat sie das [Phänomen]
offenbar sehr intensiv mit Klünker besprochen und Nana [Göbel] hat sich dann auch
angehängt.“129 WUK hat von JvHs Stigmatisation schon vor dem Informationsbrief „von
Martin Kollewijn [...-] aber damals noch positiv“130 - erfahren. „Also die Sache war ja
bekannt. Ich habe das auch von Kollewijn nicht das erste Mal gehört. Dass dieser Hauskreis,
der war nicht dicht[;] und so war das [die Stigmatisation] auch nicht [als Geheimnis]
gemeint.“131 „Und ich habe ihr damals gesagt, bzw. habe immer gesagt auch, sage auch heute
noch zu allen, ich weiß nicht, ob das zu Frau Oltmann war, oder zu sonst wem, ich würde das
Phänomen als solches [...] nur im Hinblick sozusagen auf geisteswissenschaftliche
Zukunftsrelevanz angucken und menschlich würde ich es immer so angucken, wie steht
jemand im Lebenszusammenhang.“132 „Das ist eine Haltungsfrage. Das ist eine
126 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 22 f.
127 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 25.
128 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 26. „Bei dieser
Gelegenheit habe ich ihr auch die Geschichte von Judith von Halle erzählt. Daraufhin haben sich die beiden, wie
man jetzt weiß, angefreundet.“ MK: „Als sich dieser Konflikt im nächsten Jahr im AZB entwickelte, musste ich
erleben, dass sich Martina-Maria Sam vollständig auf die Seite von Judith von Halle gestellt hat.“ Siehe Martin
Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 26, 28.
129 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 42.
130 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 1–12, hier S. 4.
131 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 5.
132 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 6.
42
Entwicklungsfrage. Das ist eine Dignitätsfrage. Auch das ist heute eine Frage von Ich-
Dignität, nicht der Offenbarungshöhe und nicht des wirtschaftlichen Erfolgs“133
„Es waren ja auch Nachfragen natürlich an mich, weil ich aus dem Sektor komme. Ich komme
aus der Theologie, ich habe mich viel geisteswissenschaftlich mit christologischen
Fragestellungen beschäftigt. Ich habe immer gesagt, ich würde gar nicht so sehr aufs
Inhaltliche gucken, sondern ich würde darauf gucken, wie lebt das real.
“134
„Ja, das stört mich zutiefst und das [der Informationsbrief über die Stigmatisation] hat mit
meinem Verständnis [...] von Christologie überhaupt nichts zu tun, sondern das ist eine
Beziehungsfrage, das ist auch eine Frage von Geltung usw., usf. Und das hat mich schon in
dem Brief gestört.“135 „Also [...] ob das [Stigmatisationsphänomen] was mit Christus zu tun
hat, weiß ich nicht. Ob man daraus machen kann, Christus spricht durch mich [, halte ich für
fragwürdig].. Also wir waren bei der Frage, wie ich darauf reagiert habe. Ich habe innerlich
gar nicht reagiert, weil mich das wirklich nicht interessiert. Ich habe Interesse und da arbeite
ich seit Jahrzehnten dran an der Zukunft des Christentums und nicht nach irgendwelchen
Vergangenheitsgeschichten.“ 136 Wenn ich erzähle, was vor 2000 Jahren geschah, dann ist das
vergangenheitsbezogen.“137 Auf die Frage, ob Rudolf Steiner auch vergangenheitsbezogen
gewesen sei, als er das Fünfte Evangelium vortrug, antwortet WUK: „
Aber ich will noch mal
sagen, die Sache persönlich, kann sein wie sie will, das interessiert mich nicht. Es ist von
Anfang an Politik damit gemacht worden, auch in diesem Brief, bis hin eben zu ihrer
Krankmeldung jetzt und über die Tagung in Dornach [Februar 2006] und das stört mich. Da
ist eine Verbindung von sachlich und menschlich, die ich nicht okay finde, die mich stört.“138
Zu JvHs persönlicher Erklärung139 im Informationsbrief meint WUK: Aber [sich] bloß nicht
wichtig nehmen. Aber allein indem man das so sagt [, der Christus wirkt durch mich], und
133 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 11.
134 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 6.
135 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 3.
136 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 4.
137 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 4.
138 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 8.
139 JvH: „Schauen Sie bitte nicht mich als einen Menschen an, an dem ein schier unerklärliches Wunder wirkt.
Bitte schauen Sie auf die geistigen Tatsachen, die diesem Phänomen zugrunde liegen. Jede Darstellung über die
Ereignisse soll nicht meine Person in den Vordergrund rücken. Da sich diese Ereignisse an mir vollziehen, sind
sie mit meinem Wesen verknüpft. Doch es ist stets Christus selbst, der Sie ganz persönlich – in Liebe –
anspricht, wenn Sie sich mit diesem Stigmatisations-Ereignis auseinandersetzen, das innerhalb der
Anthroposophischen Gesellschaft aufgetreten ist, indem Er durch Seine Gnade, durch die Lenkung und Stützung
Ihres Karmas, Sie selbst zu Zeugen werden lässt von Seinem Gang durch die Erdenwelt, von Seiner
Authentizität, von Seiner Allgegenwart.“ Siehe hier S. 32.
43
das nicht wichtig nehmen, ist schon meines Erachtens etwas Pseudomäßiges drin, weil das
zwar formal wieder oder verbal das eine sagt, aber real und psychologisch das Gegenteil.“140
(S. 3) „Also der war formal gesehen sozusagen Information von einer Sache, die nicht mehr
unter der Decke hatte gehalten werden können, aber real ging da schon die Publicity-
Maschine mit los. “141 „Real und seelisch war es eine totale
Selbstdarstellung. Und das geht mir persönlich gegen den Strich.“ 142
„Dieses Schreiben hat mich nicht überrascht. Das hat mich aber von der Vermischung von
persönlichen und Bedeutungsbehauptung gestört. Und auch gestört, also sagen wir mal so,
diese, ich sag das auch ganz offen, diese Einbindung in die Aura Tradowsky. [...] Sie wissen
genau, dass ich geisteswissenschaftlich woanders stehe als er, ganz klar.
Ich bewerte das überhaupt
nicht moralisch, aber es ist mir immer auf den Geist gegangen. Was weiß ich, wie lange. Und
dass in Verbindung mit dieser, sagen wir mal, geisteswissenschaftlichen Grundhaltung und
dass die sozusagen offenbarungssehnsüchtig ist, das wundert mich nicht. Aber auch das kann
ich alles akzeptieren. Auch [sein Buch über] Kaspar Hauser und so, [das] kann ich alles
akzeptieren. Es gibt verschiedene Stimmungen und so [...]“143
Dazu gibt PT im Hinblick auf sein Schicksal zu bedenken: „Jetzt sage ich mal etwas zu
meinem Schicksal: Also es hat Leute gegeben, die haben mein Kaspar-Hauser-Buch von 1980
gelesen und darin Spuren entdeckt, die zum Phänomen der Stigmatisation hinführen. Es gibt
eben noch aufmerksame Leser! In allen einschlägigen Seminaren habe ich die Frage der
Stigmatisation, der Nahrungslosigkeit und der Stoffbildung behandelt und mich dadurch vom
Schicksal her geistig vorbereitet. Daher war es für mich gar nicht so überraschend, als die
Stigmatisation dann auftrat und Judith [von Halle] sagte: pass mal auf, das ist so und so zu
betrachten. Ich hatte mich schon ungefähr 20 oder 30 Jahre wissenschaftlich mit der Frage
beschäftigt. Ich war also bestens vorbereitet.“144 „Wir“, PT und JvH, „haben ja auch immer
angeboten und bieten noch heute dem Vorstand an, ein wissenschaftliches Symposium über
die Fragen der Stigmatisation und Nahrungslosigkeit zu veranstalten.“145 Auf dieses Angebot
sind bisher weder der deutsche noch der Dornacher Vorstand eingegangen. Ein Grund dafür
liegt sicherlich darin, dass die die Differenz zwischen PT und WUK in materiell
geisteswissenschaftlichen und formalen Hochschulfragen zu groß ist.
140 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 7.
141 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 6.
142 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 9.
143 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 5.
144 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 40.
145 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 40.
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4. 5. Die Differenz zwischen WUK und PT in Bezug auf die Freie Hochschule
PT erklärt seine Position in der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland und der
Freien Hochschule für Geisteswissenschaft: „Wenn einmal so eine unheimliche
Gruppendynamik losgeht, dann trauen sich nur die Wenigsten überhaupt einmal etwas
Kritisches zu sagen. Ich muss leider sagen: in dieser Anthroposophischen Gesellschaft als
einer Michaelischen Gesellschaft ist die Feigheit eine ganz weit verbreitete Eigenschaft. Ich
könnte eine lange Liste von Sachen aufstellen, wo ich immer die Speerspitze war und wo
andere vorher zu mir sagten: du sagst das und wir stehen wie ein Mann hinter dir. Aber sie
können sich darauf verlassen, dass alle umfallen und sie im Ernstfall absolut alleine
dastehen.“146 Ein Beispiel: „Auf der Mitgliederversammlung in Stuttgart [2002] bin ich als
Sprecher einer Reihe von Lektoren gegen die Wahl von Dr. Dr. Klünker zum
Vorstandsmitglied aufgetreten. Bald danach haben N. Göbel und M. Oltmann mit anderen
Berliner Initiativkreismitgliedern versucht, mich als Schatzmeister und Geschäftsführer des
Arbeitszentrums abzulösen; die offizielle Begründung dafür war mein Alter. Das Vorhaben
scheiterte, weil der vorgesehene Kandidat absagte, nicht zuletzt wohl wegen des in Aussicht
stehenden minimalen Honorars.“147
Wie PT sich zur Liberalisierung der Klassenstunden ein Urteil bildete, beschreibt er wie folgt:
„Ich bin einmal extra nach Hamburg gefahren, um mir selber ein Urteil darüber zu bilden. Da
haben Herr Stockmar und Herr Klünker zusammen zwei Klassenstunden gehalten. Erst der
eine, dann der andere. Was schon fragwürdig ist, außerdem wurde die Form nicht eingehalten.
Es hieß: sie würden jeden kennen, der in Hamburg zu den Klassenstunden kommt. Doch in
der Versammlung, an der ich teilnahm, haben die Lektoren keineswegs an der Tür gestanden
und kontrolliert. Denn ich kenne jemanden aus München, der da auch einfach reingegangen
ist.“148 „Ich will ehrlich sagen, ich halte es für ungeheuer schwer, in der Substanz der Sache
irgendwas zu machen. Und die [Liberalisten] können das genauso wenig wie wir
[Traditionalisten]. Aber dann sollen sie auch nicht den Anspruch erheben, dass man durch
irgendwelche liberalen Maßnahmen, durch die jeder in die Klassenstunde kommen kann,
mehr Substanz erreicht.“149 „Also mein Eindruck war: die kochen auch bloß mit Wasser,
manchmal mit ganz dünnem Wasser, obwohl diese Maßnahmen vorher schon in der
Anthroposophie weltweit als Siegesmeldungen verkündet wurden. Ja, kaum hat das Huhn ein
Ei gelegt, wird schon in der ganzen Welt rumgegackert. Und nachher stellt sich heraus, an der
146 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 27.
147 Peter Tradowsky: Meine Darstellung der Gründe und Hintergründe der von dem Vorstand der
Landesgesellschaft hervorgerufenen Krise. Berlin 7. September 2005, S. 1–6, hier S. 1.
148 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 39.
149 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 35.
45
ganzen Sache ist gar nicht furchtbar viel dran. Das finde ich unmöglich.“150 Während PT in
der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft also für die Bewahrung der Form einsteht, tritt
WUK für die Modernisierung durch Liberalisierung der Form ein. Über ihre Differenz zum
adäquaten Umgang mit den Klassenstunden schildert PT weiter: „In der Angelegenheit der
Freien Hochschule trafen sich einige Lektoren einen Tag lang in Kassel mit Klünker. Doch es
war unheimlich schwierig im Gespräch da irgendwie weiterzukommen.“151
Trotz der Auseinandersetzung mit „Klünker in der Hochschule habe ich etwas gemacht, was
man vielleicht auch nicht machen sollte, nämlich auf Klünkers Artikel [„Anthroposophie als
Geistesgegenwart“] eine Glosse geschrieben, in der ich ironisch fragte: was mag der Autor
wohl gemeint haben? Also es war schon ein bisschen süffisant ihm zu sagen: eigentlich
meinst Du Judith von Halle. Das hat er intern vehement von sich gewiesen. Und ich habe
daraufhin an Justus [Wittich] geschrieben: ‚Lieber Justus, druck das doch mal!’.“152 Dadurch
entwickelte sich, wie PT pointiert zugesteht, die geisteswissenschaftliche Differenz zu einer
„literarischen Fehde. Er [WUK] schreibt so, ich schreibe so. Er wird gedruckt, ich werde
natürlich nicht gedruckt. So läuft ja die Informationspolitik [des Vorstands]. Wir können gar
nichts durchbringen. Es wird ja alles abgewürgt.“153 Über die zensierende Informationspolitik
bemerkt PT später kritisch: „Die ‚Mitteilungen’ werden als Sprachorgan des Vorstands
benutzt, was noch zu akzeptieren wäre, wenn wenigstens auch kritische Leserbriefe oder
Richtigstellungen der Verleumdungen bereitwillig abgedruckt würden. Auch hier ist eine
Ämterhäufung Auslöser für die geübte Zensur, denn das Vorstandsmitglied Justus Wittich ist
gleichzeitig Chefredakteur des Blattes. Den ständigen Verleumdungen in diesem Blatt können
wir nur noch durch eigenfinanzierte Briefsendungen an Sie – einen zahlenmäßig äußerst
geringen Teil der „Mitteilungen“-Leserschaft – begegnen oder durch die Zuhilfenahme eines
Rechtsbeistands.“154 „Meine Glosse ist nur unter der Hand weitergegeben worden. Doch wenn
die [Vorstandsmitglieder] Schneid hätten, hätten sie gesagt: na dann drucken wir mal den
etwas süffisanten Artikel von dem Tradowsky und dann wird es öffentlich.“155
4. 6. Die literarische Fehde zwischen WUK und PT in Bezug auf die Stigmatisation
WUK bietet in seinem Artikel „Anthroposophie als Geistesgegenwart“ eine anti-katholische
Lesart der Stigmatisation an, die gerade wegen ihrer anthroposophischen Antithese noch
150 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 34.
151 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 35.
152 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 34.
153 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 36.
154 Judith von Halle/ Edda Lechner/ Peter Tradowsky: Informationsbrief zur Situation im Berliner
Arbeitszentrum. Berlin 10. Oktober 2005.
155 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 36.
46
massiv vergangenheitsbezogen an diejenige katholische These rückgebunden ist, welche
besagt: dass sich die Existenz des Geistes erst durch sein Erscheinen im Physischen beweise.
PT repliziert auf WUKs angedeutete Stigmatisationsdeutung zunächst mit einer harmlosen
Glosse und dann mit einer harschen Erwiderung.
WUK schreibt in den Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland unter
der Rubrik Materialien zur Mitgliederversammlung zur geistigen Vorbereitung der Mitglieder
im Mai 2005 auf S. 1 über „Anthroposophie als Geistesgegenwart“ das Folgende:
„Alle geistigen Bewegungen stehen in der Gefahr, statt geistige Signaturen zu verstehen und eine
Symptomatologie des Geschehens auszubilden, moralisierende, formalisierende oder mumifizierende Irrwege zu
beschreiten. Solche Fehler können und sollen nicht vermieden werden, unterliegen aber idealerweise einer
dauerhaften Korrektur durch situative Urteilsbildungen. [...] Geistesgegenwart kann nicht durch moralische
Urteile ersetzt werden; die Perspektive, was ‚eigentlich’ spirituell erreicht sein könnte und müsste, entspricht
eher dem Geisteserleben des Mittelalters.156 [...] Ein geistiger Leib, etwa derjenige der Anthroposophie, kann
auch nicht mumifiziert werden. Anthroposophisches Leben hängt von der Geistesgegenwart des Ich ab;157 würde
der Leib der Anthroposophie, der Anthroposophischen Gesellschaft und Bewegung, mit einer dauerhaft
gemachten Vergangenheit verwechselt werden, so würde ein Geisterleben reproduziert, das eher dem Verhältnis
von Lehre und Leben im alten Ägypten entspricht.“158 „Michael-Zeitalter sind demgegenüber Epochen, in denen
gegenwartsbezogenes Geistbewusstsein und Naturerleben eng zusammengehören, beispielsweise im
Griechenland der klassischen Antike. Die Verbindung von individuellem Geisterleben mit seiner Resonanz im
seelischen und elementaren Naturzusammenhang wäre eine der verschiedenen michaelischen Signaturen der
Gegenwart. Als deren Gegenbild können massive elementare Erscheinungen im Blutzusammenhang (auch sog.
vermeintlich geistige ‚Erlebnisse’) auftreten, die ungemein spirituell erscheinen, aber eher dazu angelegt sind,
die Verwirrung jenseits der Schwelle noch zu steigern. Denn [als] michaelisch gilt nach wie vor die simple
Aussage, dass der Geist sich durch nichts beweisen lässt, auch nicht durch massive spirituelle Erscheinungen,
dass er auch nicht aus den Geistwirkungen der Vergangenheit verbürgt und belegt werden kann, sondern dass er
lediglich in den oft gar nicht spektakulären Schritten eigenverantwortlicher geistiger Selbstveränderung
erscheint.“159
Peter Tradowsky antwortet daraufhin mit einer Glosse (unveröffentlicht) unter dem Titel Was
mag der Autor wohl gemeint haben [?] das Folgende:
156 Wolf-Ulrich Klünker: Anthroposophie als Geistesgegenwart. In: Mitteilungen Deutschland. Materialien zur
Mitgliederversammlung (Mai 2005) S. 1.
157 Die Stigmata traten am physischen Leib von JvH, das Phänomen der Stigmatisation aber trat im sozialen
Kontext der Anthroposophischen Gesellschaft auf und Christus – wie JvH im Informationsbrief mitteilte –
wendet sich durch sie an die Mitglieder derselben.
158 Wolf-Ulrich Klünker: Anthroposophie als Geistesgegenwart. In: Mitteilungen Deutschland. Materialien zur
Mitgliederversammlung (Mai 2005) S. 1.
159 Wolf-Ulrich Klünker: Anthroposophie als Geistesgegenwart. In: Mitteilungen Deutschland. Materialien zur
Mitgliederversammlung (Mai 2005) S. 1.
47
„Im Lesen des Beitrags zur Mitgliederversammlung ‚Anthroposophie als Geistesgegenwart’ von Wolf-Ulrich
Klünker kommt mir die Frage: Was mag der Autor wohl gemeint haben? Was mögen ‚moralisierende,
formalisierende oder mumifizierende Irrwege’ sein? Befinden sich Mitglieder unserer Gesellschaft auf solchen?
Wie soll ich das herausfinden, da mir der Autor keinen Hinweis gibt? Vielleicht fehlt mir die ‚situative
Urteilsbildung’. Dann frage ich mich, was denn ein ‚Gegenbild’ zu einer ‚der verschiedenen michaelischen
Signaturen der Gegenwart’ sein könnte. Was sind ‚massive elementare Erscheinungen im Blutzusammenhang’?
Gehört eine aufgetretene Stigmatisation dazu? Das kann nicht gemeint sein, denn es steht mir Giottos Bild von
der Stigmatisation des Franz von Assisi vor Augen, das zeigt, wie Christus als sechsflügeliger Seraph die
Stigmata auf den Körper von Franz überträgt. Wenn ich mir nur klar darüber werden könnte, was ‚sog.
vermeintlich geistige ‚Erlebnisse’, die zudem ‚ungemein spirituell erscheinen’ und außerdem auch noch –
schlimmer Weise – ‚die Verwirrung jenseits der Schwelle noch zu steigern’ vermögen, sein mögen. Genügt die
Verwirrung diesseits der Schwelle nicht schon. Wie kann ich als Mitglied von dieser Sphäre der Gedanken den
Weg zu etwas Verständlichem finden, von einem Beispiel zu schweigen, das zur Banalität des Konkreten
gehören könnte.[?] [...] Was mögen bloss ‚Geistwirkungen aus der Vergangenheit’ sein, durch die –
selbstverständlich – auch nicht der Geist ‚verbürgt und belegt werden kann’? Hat der Autor etwa doch so eine
Erscheinung wie die Stigmatisation im Hinterkopf? Das kann nicht sein, denn der Autor weiss ja, dass der Geist
weht, wo er will. Christus in der Zeitenwende sagt doch: Ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt.
‚Anthroposophie als Geistesgegenwart’ müsste IHN doch jeden Tag erfassen! Wie wollte der Autor die
Mitglieder auf die Mitgliederversammlung vorbereiten? Was wollte er eigentlich sagen? Hoffentlich verrät der
Autor noch, was er eigentlich sagen wollte.“160
Und PT schreibt darüber hinaus in einer ernsten, ebenfalls unveröffentlichten Erwiderung „Zu
dem Artikel von Wolf-Ulrich Klünker ‚Anthroposophie als Geistesgegenwart’ in den
Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland’ Ausgabe Mai 2005“ das
Folgende:
„Die letzten beiden Sätze dieses Artikels, die sich einerseits offenkundig, anderseits verdeckt auf die an einer
Mitarbeiterin der Anthroposophischen Gesellschaft in Berlin aufgetretene Stigmatisation beziehen (siehe
Nachrichtenblatt, Dezember 2004) erfordern unbedingt eine Entgegnung und Klarstellung.
Zunächst zwei methodische Bemerkungen. Wie schon angedeutet, wird für den Leser keineswegs klar
ausgesprochen, wer und was eigentlich gemeint ist. Wer etwas davon weiß, wird wohl die Beziehung herstellen
können, sonst bleiben die Aussagen völlig nebelhaft. Zum anderen kennt Wolf-Ulrich Klünker die betreffende
Person gar nicht, er hat sich auch nicht die Mühe gemacht, sie kennenzulernen. Seine Kenntnisse hat er durch
einen kurzen Bericht und vom Hörensagen. Das sind die Grundlagen der von ihm dargestellten Urteile, ist das
seine ‚situative Urteilsbildung’?
Den von Wolf-Ulrich Klünker angedeuteten ‚michaelischen Signaturen der Gegenwart’ wird unvermittelt und
unbegründet ein Gegenbild gegenüber gestellt, womit offenkundig die Stigmatisation gemeint ist, die mit den
Worten ‚massive elementare Erscheinungen im Blutzusammenhang’ umschrieben wird. Als Gegenbild zu
diesem Gegenbild sei an die Darstellung der Stigmatisation von Franz von Assisi durch Giotto erinnert, der
160 Peter Tradowsky: [Unveröffentlichte Glosse] Was mag der Autor wohl gemeint haben. Berlin 30. Mai 2005.
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Christus selbst als sechsflügeligen Seraph seine Stigmata auf Franz von Assisi übertragen lässt. Vielleicht ist das
im Sinne von Wolf-Ulrich Klünker einer der ‚mumifizierenden Irrwege’. Warum wird die hoffentlich im
Hintergrund vorhandene eigene Deutung des Phänomens der Stigmatisation nicht klar ausgesprochen, so daß
eine geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung möglich wird [?...] Man wagt schon gar nicht mehr danach zu
fragen, was wohl mit den ‚Geistwirkungen der Vergangenheit’ gemeint sein mag. Ist das Mysterium von
Golgatha eine Geistwirkung der Vergangenheit!? [...] Im Titel des Artikels wird die ‚Anthroposophie als
Geistesgegenwart’ in Anspruch genommen. Ist das sich in dem Artikel darstellende Vorgehen gegen einen
stigmatisierten Menschen – in persönlicher Unkenntnis und ohne Namensnennung – in seiner Unsachlichkeit
und Unmenschlichkeit nun die realisierte Geistesgegenwart der Anthroposophie?! Wie ist es möglich, daß ein
Vorstandsmitglied der deutschen Landesgesellschaft in dieser Weise gegen ein anderes Mitglied dieser
Gesellschaft so vorgeht? Wohin sind wir gekommen?!“161
PT meint, „diese Glosse war eine Pointe auf diese ganze Auseinandersetzung mit Klünker.
Und aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass die von Klünker und Justus [Wittich]
unterschriebene Kündigung darauf eine Racheaktion war. Es war so, als würden sie sagen:
also jetzt machen wir den praktisch fertig, der uns ständig im Nacken sitzt, jetzt schießen wir
den ab, der immer irgendwas Kritisches zu sagen hat.“162 „Na Klünker, habe ich in Hamburg
und dann mit dieser Glosse gesagt: Du trittst auf gegen Judith von Halle und vernebelst die
ganze Sache. Das hat er ja vehement bestritten.“163 Und PT hat Justus Wittich wegen
Mitwisserschaft an der Finanzkrise der VVV GmbH unter Dieter Pommerening mehrfach
kritisiert.
5. Die wirtschaftliche Dimension des AZB
5. 1. Einführung in den Konflikt zwischen IK-Mehrheit und IK-Minderheit
Die Nachricht von JvHs Stigmatisation beginnt nun in der Mitgliedschaft Kreise zu ziehen.
Doch weder die Mitglieder des IK noch der Vorstand berufen, wie diese verschiedentlich
gefordert hatte, eine Untersuchungskommission über das Phänomen ein. WUK wird später
sagen, ihn interessiere das Phänomen nicht materialiter, sondern nur formaliter dessen
Auswirkungen im sozialen Organismus der AGiD. Mit dieser desinteressierten bis ignoranten
Haltung gegenüber dem Stigmatisations-Phänomen stand er gerade unter den
erkenntnisinteressierten Anthroposophen und Verantwortungsträgern nicht alleine da.
161 Peter Tradowsky: Zu dem Artikel von Wolf-Ulrich Klünker ‚Anthroposophie als Geistesgegenwart’ in den
Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland’ Ausgabe Mai 2005, Berlin 9. Mai 2005.
162 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 35.
163 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 36.
49
Während der Wintermonate 2004/05 rückte im IK das Thema Stigmatisation in den
Hintergrund und das der schwierigen Finanzlage trat wieder in den Vordergrund. So heißt es
etwa auf der Tagesordnung für das Gespräch mit Cornelius Pietzner, dem Schatzmeister der
AAG, vom 8. Dezember 2004: „1. Neue Ideen zum Umgang mit Stigmatisation und
Rückgang der Mitgliederbeiträge und Mitgliederzahlen.“164 Seit den 2000er Jahren versterben
nach und nach jene „alten Damen“, die PT vertraut und deshalb wesentliche Spenden an das
AZB geleistet haben. Dazu schildert PT: „Die Berliner Fräuleins, also diese alten,
unverheirateten Damen, die waren nun nicht furchtbar reich, aber die waren furchtbar
sparsam. Denn sie haben Märker auf Märker und diese Märker dann aufs Konto gelegt. Sie
wurden oft 70 oder 80 Jahre alt und haben bis dahin relativ viel Geld angespart. Und dieses
Geld haben sie uns [vor ihrem Tode] zur Verfügung gestellt. Also das ist eine wesentliche
Quelle gewesen.“165 „Ja, und das [Fundraising] klappte dann auch mehr oder weniger. Einmal
wurden Herr Girke und ich zu einer alten Dame gerufen. Es war hochnotpeinlich. Wir
wussten überhaupt nicht, was sie von uns will, aber sie wollte es uns auch nicht vorher
verraten. Doch dann hat sie uns in ihr Schlafzimmer geführt und ihren Schrank aufgemacht:
da lag ein Stoß Schweizer Franken und ein Stoß D-Mark. Hier habt ihr das, hat sie gesagt,
was sie im Laufe der Jahre im Sparstrumpf unter der Matratze angespart hat.“166 „Aber diese
Schicht alter Fräuleins gibt es fast nicht mehr.“167 Dadurch beginnt nicht nur jene
Mitgliedergeneration aus dem Leben zu scheiden, durch deren Abstimmung,
Vortragsnachfrage und Rückendeckung PT bisher stets eine Mehrheit auf sich vereinigen
konnte, sondern auch der Geldfluss aus regelmäßigen Mitgliedsbeiträgen und unregelmäßigen
Spenden weniger zu werden. Diese sich seit 2003 abzeichnende Geldknappheit übt einen
Spardruck auf den IK aus, der sich nun fragen muss, welchen Posten oder wessen Gehalt er
zulässigerweise kürzen kann. Damit bricht aber unterschwellig auch die Frage auf, wessen
Initiative wie sinnvoll, und wessen Tätigkeit wie erfolgreich und folglich weiter
finanzierungswürdig ist. Zur Disposition standen im Grunde genommen nur vier Angestellte
bzw. Honorarkräfte: die zwei Sekretärinnen EL (800,00 Euro/Monat) und JvH (1.250,00
Euro/Monat) und der Geschäftsführer und Schatzmeister PT (1.200,00 Euro/Monat) sowie der
Vertreter des AZB MK (1.381,00 Euro/Monat).168 Im weiteren Verlauf stehen weniger die
164 Martin Kollewijn: Initiativkreissitzung am Dienstag, den 7. Dezember 2004, von 16.00 bis 19.30 Uhr. Berlin
5. Dezember 2004.
165 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 3.
166 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 52.
167 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 3.
168 Zu den Gehaltszahlen vgl. Jürgen Schaeffer: (Gehaltsliste) Arbeitszentrum Berlin. Kosten Einkommen, Berlin
5. Mai 2005; zu den Aufgabenbereichen: (kein Autor): Arbeitssituation der Mitarbeiter der Anthroposophischen
Gesellschaft Arbeitszentrum Berlin. Berlin Juni 2002.
50
Gehälter der Sekretärinnen, sondern mehr die der beiden Vortragsredner und IK-Mitglieder
MK und PT im IK zur Debatte. Die Differenz zwischen beiden wächst sich zuerst an einer
Personalfrage des deutschen Vorstandes und dann an der Gehälterfrage zum Konflikt aus.
5. 2. Konflikt um die Nominierung der Vorstandskandidaten
Die Personalfrage bezieht sich auf die Nominierung von Vorstandskandidaten der AGiD auf
der Konferenz der AZ-Vertreter vom 21./22. Januar 2005 in Kassel. Während früher PT als
Vertreter des AZB auf die Konferenz reiste und wohl grosso modo die Leitlinie der älteren
IK-Mitglieder dort vertrat, fährt nun der jüngere MK als Vertreter des AZB auf die
Konferenz. MK berichtet von den Vorbereitungen im Vorfeld: „Die Vertreter des AZB haben
in der Konferenz den Vorstand im Januar 2005 über die [neuen und alten]
Vorstand[skandidaten] zu berichten. Und da schrieb mir dann Tradowsky für die Konferenz
einen Brief, in dem er zu allen einzelnen Mitgliedern des Vorstandes genau darlegte, warum
die in seinen Augen aus sehr unterschiedlichen Gründen eigentlich nicht so geeignet sind oder
noch überhaupt weitermachen sollen.“169 PT schreibt in dem besagten Brief am 16. Januar
2005 an MK:
„Der Vertreterkreis soll doch die Vorstandsmitglieder vorschlagen. Dazu von mir: Frau Göbel und Frau Oltmann
haben sich [wegen ihres Verhaltens gegenüber Judith von Halle, PT170] disqualifiziert aus zwei Gründen, die Dir
wohl bewusst sind. Fr. G.[öbel] habe ich das zweimal geschrieben, außerdem ist sie ein klassischer Fall der
Ämterhäufung: Generalsekretärin (früher eine Aufgabe für sich), Vorstand AgiD, Freunde [der
Erziehungskunst], Forschungsfonds, Initiativkreis AZB, Kaspar Hauser Forum und Therapeutikum, usw.). Das
ist für mich einfach absurd, abgesehen von allem ist ihr menschlicher Umgang das entscheidende Kriterium. [...]
Justus Wittich könnte sich erst durch eine umfassende Prüfung und Klärung eventuell wieder qualifizieren, ich
habe ihm in diesem Sinne geschrieben, er hat nicht reagiert bisher, aber den von mir kommentierten Artikel
geschrieben, für mein Verständnis ein dreistes Stück, denn wenn er nichts [von der sich u. a. durch Dieter
Pommerening anbahnenden Finanzkrise] bemerkt hat als früheres Vorstandsmitglied dann ist es schlimm, wenn
er etwas bemerkt hat, ist es aber fast noch schlimmer. Ich weiß, daß Herr Dr.[Dr. Wolf-Ulrich] Klünker von Dir
sehr geschätzt wird. Daher nur zwei Tatsachen: ein mit ihm auf meine Initiative mit einigen Freunden geführtes
stundenlanges Gespräch [über den Umgang mit Klassenstunden in der Freien Hochschule für
Geisteswissenschaft] nach der Hannoveraner Zusammenkunft hat zu keinem greifbaren Ergebnis geführt. Die
von [Dr.]Dr. Kl.[ünker] und N.[ana] G.[öbel] angestoßene Hochschulinitiative hat – soweit meine
Wahrnehmungen reichen – zu keiner Veränderung der Arbeit [mit den Klassenstunden] geführt. [Dr.]Dr.
Kl.[ünker] hat in dem Kasseler Lektorenkreis, in dem er neu ist, keinen besonderen Rückhalt. [...] Die Vertreter
müssen sich ihrer außerordentlichen Verantwortung für die Anthrop.[osophische] Ges.[ellschaft] bewusst sein.
169 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 29.
170 Peter Tradowsky: Ergebnisprotokoll der Mitarbeiterbesprechung (im Hauskreis) vom Donnerstag, 10. Februar
2005.
51
Die Mitglieder sind so unzureichend informiert, sie werden in einem unmündigen Zustand gehalten, so daß eine
Entscheidung auf der Mitgliederversammlung keine wirkliche Legitimation schafft. [...] Wenn er [der Vorstand]
eine echte spirituelle Kompetenz haben soll, muß das vorher klar ausgesprochen werden und bei der
Personenwahl die entscheidende Rolle spielen, auf keinen Fall darf der Eindruck entstehen, daß das Wahlamt die
geistige Kompetenz schafft.“171
MK schildert von der Konferenz: „Ich hab den Inhalt des Briefes als die Meinung von
Tradowsky durchaus bei der Konferenz zur Kenntnis gegeben, habe dort aber selbst eine
andere Haltung vertreten. Es war ein zähes Ringen um die Fortbildung des Vorstandes, denn
da war überhaupt keine große Einigkeit vorhanden. Es war ein Vorschlag von Michael
Schmock gewesen, dass auch ein AZ-Vertreter in den Vorstand gehen solle. Und es sollten
eigentlich Michael Schmock und Florian Roder kandidieren. Doch weil Florian Roder dem
nicht zustimmte, haben dann Michael Schmock und ich kandidiert. Und dann hat der
[amtierende] Vorstand gesagt: also Kollewijn kommt auf gar keinen Fall in den Vorstand.“172
„Die Tatsache, dass ich dort kandidiert habe und nicht gewollt wurde, das war zwar für mich
schmerzlich, aber für die [ablehnendenden Vorstandsmitglieder] fast noch schmerzlicher. Ich
war im Grunde nur ein Zählkandidat und strebte nicht in diesen Vorstand.“173
„Also ich bin diesem ganzen Vorstand wie auch den einzelnen Menschen persönlich sehr
stark sympathisch verbunden. Ich bin derjenige gewesen, der da Hartwig Schiller mehrfach
überredet hat, auch [in der AGiD] zu kandidieren. [...] Ich war an der neuen Aufstellung
dieses 2002 gewählten Vorstandes im Vorfeld mitbeteiligt, habe das sehr befürwortet, dass
diese Menschen, Nana Göbel und Wolf-Ulrich Klünker, den Vorstand bilden.“174 „Ich fand
das sehr wichtig, weil der Vorstand davor in meinen Augen ein mehr verwaltender, aber
weniger aus der anthroposophischen Quelle selber gestaltender Vorstand war.“175 Bei der
Finanzkrise um Dieter Pommerening konnte MK gerade wegen seines guten Verhältnisses
zum Vorstand die Rolle des advocatus diaboli spielen. „Meine Rolle war es in der Konferenz,
die Vorstände darüber zur Rechenschaft zu ziehen und richtig Tacheles zu reden. Auch als
dann das Drama mit Dieter Pommerening losging, war ich derjenige, der die Probleme am
meisten artikulieren konnte, weil ich diese Menschen gleichzeitig trotz allem sehr schätzte.“176
171 Peter Tradowsky: Brief an Martin Kollewijn (vor der Konferenz der AZ-Vertreter). Berlin 16. Januar 2005.
172 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 29.
173 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 34.
174 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 33 f.
175 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 33 f.
176 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 34.
52
„Dann kam ich“, schildert MK weiter, „nach Berlin zurück und berichtete erstmal über die
Konferenz der AZ-Vertreter in der Hauskonferenz,177 wo dann plötzlich über mich quasi
Gericht gehalten wurde: wie konntest du nur solchen Leuten wie Frau Oltmann und Nana
Göbel zustimmen, wurde ich gefragt.178 „Obwohl die Hauskonferenzen üblicherweise nie
protokolliert wurden, gibt es von dieser Sitzung ein Protokoll.“179 In diesem heißt es: „Martin
Kollewijn berichtet von der Vertreterkreissitzung in Kassel am 21./22 Januar [2005]. Nach
kontroverser Debatte und erheblichen Bedenken hat der Vertreterkreis einmütig beschlossen,
den derzeitigen Vorstand der Mitgliederversammlung zur Wiederwahl vorzuschlagen (nicht
nur zur Bestätigung). [...] Peter Tradowsky stellt zunächst fest, dass Martin Kollewijn seine
Entscheidung in Berlin mit niemandem abgestimmt hat (Mitarbeiter, Initiativkreis, Zweige,
Gruppen). [...] Peter Tradowsky erklärt, dass er von vielen – entgegen der Aussage von
Martin Kollewijn – unterstützt werde, diese aber zu feige seien, sich öffentlich und vor allem
in einem Kreis dazu zu bekennen. [...] Judith von Halle ist von Martin Kollewijn enttäuscht
und fühlt sich im Stich gelassen. Sie kann nicht verstehen, wie Martin Kollewijn einerseits die
Personen und Situationen einschätzt wie alle anderen Mitarbeiter, andererseits im
Vertreterkreis den Vorstand trotzdem unterstützt. [...] Judith von Halle stellt fest, dass diese
Vorstandsmitglieder ihre verfälschten Darstellungen und Verleumdungen den Mitgliedern als
Tatsachen hinstellen.“180
MK hat JvH daraufhin gesagt: „Es gibt seit Jahren einen Konflikt zwischen Tradowsky und
dem Vorstand. Das hat gar nichts mit der Interpretation der Stigmatisation oder der Person
von Judith von Halle zu tun.“181 MK beschreibt fernerhin, wie JvH sich ihr negatives Urteil
über die Vorstandsmitglieder gebildet haben soll: „Obwohl wir [IK-Mitglieder] bei der
Anstellung wussten, dass Judith von Halle sehr eng mit Tradowsky [ist], fanden wir sie so
überzeugend, dass zum Beispiel Nana Göbel sagte: am liebsten würde sie JvH für die Freunde
der Erziehungskunst anstellen.“182 „Deswegen hatte es mich“, so MK, „auch wirklich
gewundert zu bemerken, dass Judith von Halle immer nur in ganz abfälligen Tönen von
diesem Initiativkreis, dem deutschen Vorstand und dem Dornacher Vorstand sprach.“183 Sie
meinte, dass diese Menschen „überhaupt nichts leisteten.“184 Dann stellte sich heraus, dass sie
177 MK: „Obwohl üblicherweise die Hauskonferenzen nie protokolliert wurden, gibt es von dieser Sitzung der
Hauskonferenz ein halb zutreffendes, halb unzutreffendes Protokoll.“ Siehe Martin Kollewijn: Interview der
Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 29.
178 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 29.
179 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 29.
180 Peter Tradowsky: Ergebnisprotokoll der Mitarbeiterbesprechung vom Donnerstag, (Berlin) 10. Februar 05.
181 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 29.
182 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 16.
183 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 16.
184 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 16.
53
– obgleich Architektin – in ihrem ganzen Leben noch nie am Goetheanum in Dornach
gewesen war. Da wurde mir klar, dass diese Urteile nicht ihre eigenen, sondern einfach die
von Peter Tradowsky sind.“185 MK zieht hier nicht in Betracht, dass JvH über die Fähigkeit
verfügt, aus sinnlich-physischer Zeitreise zu eignen Urteilen zu kommen, unabhängig von PT.
„Aber von diesem Moment an“, so MK, „wurde nicht nur ganz verborgen, sondern ganz
offensichtlich ein Streit gegen mich entfacht. Und dieser kam dann auf verschiedenen Fronten
zum Ausdruck. Zum einen beim Thema der Bezahlung und zum anderen in den
Mitgliederversammlungen.“186 Im IK hat der Schatzmeister PT wieder neue Vorschläge
unterbreitet; einer dieser Vorschläge bestand darin, alle Anstellungen aufzulösen und in
Honorarverträge umzuwandeln. „Nun, das wollte der Initiativkreis ein paar Jahre vorher auch
schon und stellte bei meiner Person fest, dass dies als Scheinselbstständigkeit betrachtet
würde und daher aus arbeitsrechtlichen Gründen eigentlich nicht geht. Das wusste Tradowsky
natürlich auch. Er hat es trotzdem vorgeschlagen, weil er dachte, wenn wir dann kein Geld
mehr haben, nicht mehr bezahlen, ist es arbeitsrechtlich nicht mehr zu beanstanden.“187
5. 3. Die Differenzen in Arbeitsweise und Erfolg von MK und PT
Im Hintergrund stand die Differenz zwischen MK und PT im anthroposophischen
Selbstverständnis, in Arbeitsweise und schließlich im Arbeitserfolg. MK erklärt
diesbezüglich: „Die Herangehensweise an die Anthroposophie war bei Tradowsky doch sehr
stark von der Empfindung davon geprägt: leider geht alles in der Welt eher den Bach runter
und leider will man nicht unsere richtigen Erkenntnisse annehmen, denn wir wissen ja, wie es
eigentlich sein soll. Und das erzeugt natürlich ein starkes Wir-Gefühl, auch eine starke
Wärme, aber irgendwann ist es nicht mehr wahrhaftig. Jedenfalls habe ich das Gefühl, wir
müssen anerkennen, dass in der Kulturentwicklung des 20. Jahrhunderts vieles geschieht, was
auch im Sinne des Zeitgeistes ist und womit wir kooperieren müssen. Und wir müssen
genauso anerkennen, dass wir selber mit der anthroposophischen Sache nicht richtig
weitergekommen sind, dass wir selbst genauso fehlerhaft sind. Ich habe jedenfalls gemerkt,
dass die Menschen, die zu meinen Vorträgen kommen, solche sind, die auch
Dementsprechendes hören wollen, das sich nicht immer nur ablehnend gegenüber der
Gegenwart verhält, sondern das [den Zeitgeist] kennt und anerkennt, und daraus
Anthroposophie zu entwickeln versucht. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass meine
ganze Arbeit darauf ausgerichtet ist, die eigene Erkenntnis und Urteilskraft der Einzelnen zu
185 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 16.
186 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 30.
187 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 30.
54
entwickeln. Demgegenüber gibt es natürlich auch viele Menschen, die das Bedürfnis haben,
dass jemand da ist, der ihnen sagt, wie es ist. Und das ist mehr Sache von Tradowsky
gewesen.“188 Über die Vortragsnachfrage äußert sich MK folgendermaßen: „Wenn Tradowsky
Vorträge gehalten hat, insbesondere seinen Silvestervortrag, dann war der Saal proppevoll.
Während zu meinen Vorträgen vielleicht 30 Leute, manchmal 60 Leute kommen. Aber es ist
sehr bescheiden im Vergleich zu PT – das muss ich auch sagen.“189
„Wir“, vor allen Dingen PT und Hermann Girke, „waren der Meinung: Martin ist ja hier nicht
so ganz richtig am Platze, er sollte lieber in die akademische Laufbahn übergehen. Aber dazu
braucht er einen Doktortitel.“190 Es hieß auch: ach, wenn MK einen Doktor hat, dann kann er
vielleicht an der Wittener Universität mit den Studenten arbeiten, was bestimmt mehr Martins
Sphäre ist. Wir wollten ihm helfen, damit er in eine andere Lebenssphäre hineinkommt, wo er
nicht immer Ärger mit der Sekretärin Marie Halberschmidt hat.“191 Dafür „habe ich 1998 oder
1999 mit Herrn Pommerening zusammen im Hintergrund 40.000 DM locker gemacht, damit
MK seine Doktorarbeit finanziert werden konnte. Er hat dann auch ein paar Jahre an seiner
Doktorarbeit rumgebastelt“192, sie allerdings nicht fertig gestellt. „Ich will auch hier ganz
ehrlich sagen: es war ein bisschen so die Aktion ‚Wegloben’.“193
PT bezieht eine Rente als Waldorflehrer, hatte eine ½-Stelle als Geschäftsführer der Rudolf-
Steiner-Schule Berlin und eine ½-Stelle als Geschäftsführer und Schatzmeister des AZB,
womit er nicht nur sich, sondern auch seine Kinder aus mehreren Ehen versorgen muss. Und
MK sträubte „sich mit Händen und Füßen“ sein Gehalt zu kürzen oder seine ½-Stelle aus dem
AZB auslagern zu lassen. PT meint dazu: „Ich kann das auf der einen Seite auch irgendwie
verstehen, auf der anderen Seite muss man mal sagen: seine Frau hat eine gut gehende
Arztpraxis in Zehlendorf. Also die Familie [mit zwei Schulkindern] wird bestimmt nicht
zugrunde gehen und er kann ja auch durch Honorare etwas verdienen.“194 PT selbst hat
ebenfalls noch zwei Kinder im Schulalter zu versorgen.
Vor diesem Hintergrund meint MK: PT „hat mit Matthias Girke und Frau Oltmann ein
Gespräch [über seinen Einkommensbedarf] geführt und die haben dann ihm bescheinigt, dass
er das Gehalt braucht. Er wollte uns nicht erzählen, wie viele Kinder er unterhalten muss.“195
188 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 8.
189 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 8f.
190 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 52.
191 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 52.
192 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 52.
193 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 52.
194 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 55.
195 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 13.
55
PT selbst äußert sich dazu mit den Worten: „Ich lebe nicht in Saus und Braus, sondern habe
dadurch eine sehr kleine Rente, dass wir [Waldorflehrer] die ersten 10, 15 Jahre katastrophal
kleine Gehälter bekamen. Doch einige Leute machen immer wieder Propaganda gegen mich,
indem sie sagen: ja, er will das Geld einheimsen und sich ein süßes Leben davon machen.
Dass dieses Geld aber der Familie dient, weil ich Kinder habe, das kann man ja falsch finden,
sie sind trotzdem vorhanden. Ich finde das absolut unfair und auch unwahrhaftig, aber auch
peinlich, über solche Sachen zu reden.“196 NG gibt an: „Die eine Frage war, was Peter
Tradowsky, nachdem er in der Schule pensioniert wurde tun würde. Das Normale bei den
Anthroposophen ist, dass man weiter arbeitet. Wir hatten uns das so mit Herrn Tradowsky
vorgestellt, dass er nach seiner Verrentung ehrenamtlich arbeitet und dadurch Geld für mehr
Initiative frei wird. Aber das ist ein Thema, worüber mit Herrn Tradowsky nicht rational zu
reden ist. Das heißt, er hat uns – selbst in kleineren Gesprächskreisen – nie dargestellt, was er
wirklich zum Leben braucht, sondern er hat immer nur Summen genannt.“197
NG fügt hinzu: „Eine andere Frage war seine Abrechnungspraxis. Als gemeinnütziger Verein
muss man, wie Sie wissen, nur eine [einfache] Einnahmen-Ausgabenrechnung erstellen und
die hat er für das Arbeitszentrum auch gemacht. Aber wenn man keine ordentliche Bilanz
macht, dann wird daraus natürlich nicht ersichtlich, ob man Rücklagen hat oder nicht. Ich
kannte die Zahlen, die er aufgeschrieben hat, hatte jedoch nicht genügend Zeit, ins Detail zu
gehen und in die Kontoblätter zu gucken, ob sich noch andere Sachen dahinter verbergen.“198
„Ich bin ein großer Verfechter des Vier-Augen-Prinzips.“199 Und weiter vertritt NG die
Auffassung: „Und PT wurde zu teuer. Wir [der IK] wollten gerne zur Einführung des Vier-
Augen-Prinzips einen neuen Geschäftsführer finden und Tradowsky als ehrenamtlichen
Vereinsrepräsentanten gegenüber dem Geschäftsführer zum Schatzmeister machen.
Irgendwann hatten wir ihn auch soweit, dass er zustimmte.“200 Doch „der Geschäftsführer
hatte eine halbe Stelle [mit einer Bezahlung], von der nur ein Student leben kann, aber sonst
gar niemand. Und Geld gab es nicht.“201 „Wie wollen Sie in so einem kleinen Arbeitszentrum
von 850 registrierten und ungefähr 400 zahlenden Mitgliedern einen Geschäftsführer
bezahlen?“202 „Wir haben uns auf die Suche gemacht, Anzeigen geschaltet, doch es hat sich
kein einziger auf diese Stelle beworben, so dass schlussendlich alles beim Alten blieb.“203
196 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 54.
197 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 5.
198 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 5.
199 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 5.
200 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 6.
201 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 6 f.
202 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 7.
203 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 6 f.
56
Im Unterschied dazu berichtet MK, dass der IK einen „passablen Kandidat [für die
Geschäftsführung] gefunden hatten: Dr. Albrecht Klöpfer. Doch der hat dann im letzten
Moment abgesagt.“204 NG will von diesem Kandidaten nichts gewusst haben. Dass sie die
Tradowsky loyale Mitarbeiterschaft am liebsten komplett ausgewechselt wissen wollte, weist
sie als „eine Unterstellung“ zurück. Sie räumt allerdings ein: „Über eine Verjüngung des
Arbeitszentrums hätte ich mich bestimmt gefreut. Aber ich habe dazu keine strategischen
Aktionen unternommen.“205
5. 4. Die schwierige Haushaltslage und die Einsparungsvorschläge
Der Schatzmeister und Geschäftsführer PT legt die schwierige Haushaltssituation auf der
Mitarbeiterbesprechung vom 3. März 2005 im Hauskreis dar:
„Der Schatzmeister (P.Tr.) hält es für notwendig, unabdingbar, daß endlich ein ausgeglichener Haushalt im Jahr
2005 erreicht wird. (2004 Defizit 16,4 T Eur) Das Defizit 2004 ist u. a. darauf zurückzuführen, daß die
Angestellten-Gehälter entgegen dem ausdrücklichen Votum des Schatzmeisters für 2004 nicht um 20% gekürzt
wurden. Die Betroffenen und der Initiativkreis haben sich Anfang 2004 dagegen ausgesprochen. Der
Schatzmeister bedauert, daß er sich in diesem Punkt nicht durchgesetzt hat.
Die finanzielle Lage ist für 2005 und vor allem für die folgenden Jahre dadurch bedrohlich, daß die
Instandsetzungsrücklage (gegenwärtig noch 7,9 T Eur) 2005 mehr als aufgebraucht sein wird (Flügel und
Beleuchtungsanlage im Saal instandzusetzen) und für die folgenden Jahre etwa 10 T Eur pro Jahr vorzusehen
sind. Der noch vorhandenen freien Rücklage von 53,6 T Eur stehen 39,8 T Eur Darlehen und
Trauhandverpflichtungen gegenüber, d. h. daß die noch vorhandene Rücklage unbedingt als ‚Notgroschen’
erhalten bleiben muß.
Im Jahr 2004 konnten die Gesamteinnahmen gegen den Trend (5 bis 10% weniger [Einnahmen] im AZB)
gehalten werden, dennoch entstand das Defizit. Es ist immerhin möglich und muß berücksichtigt werden, daß die
Einnahmen in diesem und den folgenden Jahren zurückgehen. Nach wie vor besteht die Tatsache, daß das von
uns praktizierte Mitgliedsbeitragsverfahren (verantwortliche, freiwillige Selbsteinschätzung) zu einem optimalen
Ergebnis führt. Im Durchschnitt aller zahlenden Mitglieder 24.56 [Euro] pro Monat, hinzu kommt die
Weihnachtsspende, wodurch sich 25.68 [Euro] ergeben.
Die Frage, wie es zu einem ausgeglichenen Haushalt für 2005 kommen kann, führte zu einer heftigen
kontroversen Aussprache. [...]
P.Tr. hielt M.K vor, für seinen Computer-Arbeitsplatz unnötig viel Geld ausgegeben zu haben, was dieser
vehement zurückwies.
Es wird geklärt, daß der ausgeglichene Haushalt so zu verstehen ist, daß dadurch die Instandhaltung noch nicht
gedeckt ist, d. h. daß da eine Lücke besteht, die durch Spenden oder Erbschaften zu schließen ist.
M.K. will eigentlich nur im Initiativkreis weiter über diese Dinge sprechen, was bei den Mitarbeitern
Unverständnis erregt. Auf eindringliche Nachfrage erklärt MK, daß die Vergütung von P.Tr. gekürzt (oder
204 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 11.
205 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 7.
57
gestrichen?) werden soll, es bleibt offen, ob M.K. auch eine Kürzung seines Gehaltes vorsieht. P.Tr. weist darauf
hin, daß sein Gehalt seit Jahren in erheblichem Maße durch die Einnahmen bei den Vorträgen refinanziert wird
(2004: 26%, siehe mein Schreiben vom 31. Jan. 2005), daß die Einnahmen durch intensiven Einsatz von E.L.
und P.Tr. erfreulich hoch sind (s. o.) und daß ein anderer Schatzmeister und Geschäftsführer keineswegs
kostengünstiger zu haben sein dürfte, abgesehen davon, ob dieser von den Mitgliedern so viel Beiträge und
Spenden erhielte.“206
„Vorschläge des Schatzmeisters zur Lösung der Finanzprobleme im AZB“, die sich „an das Vorgehen von Herrn
Pietzner am Goetheanum“ anlehnen:
1.) Die bestehenden Angestelltenverträge werden spätestens zum 30. Juni 2005 aufgelöst und durch
Honorarvereinbarungen ersetzt.
2.) Bei Vorträgen erhält der Vortragende 90 % der Einnahmen, das Haus 10 %. Diese Regelung wird seit Jahren
für Veranstaltungen, die nicht vom AZB getragen werden, angewandt. [...]
4.) Die tatsächlichen Dienstleistungen für das AZB (Verwaltung, Organisation, Betreuung u. ä.) werden nach
Aufwand vergütet. Stundensatz: 10 Euro pro Stunde.
5.) Die Vertretung des AZB in der Landesgesellschaft durch M.K. bedarf einer Sonderregelung (sonst meist
ehrenamtlich). Es muß eine Entschädigung für die Wochenenden vorgesehen werden.“207
Die Gehaltsfrage und PTs Vorschläge werden, wie von MK gewünscht, nunmehr im IK am 8.
März 2005 weiterdiskutiert:
„4. Zur Finanzlage des Arbeitszentrums. Diskussion der Vorschläge des Schatzmeisters (Fax vom 5./6. März).
H. Girke verteilt eine schriftliche Stellungnahme zur Arbeit von M. Kollewijn. Der Vorschlag, den
Angestelltenvertrag durch eine Honorarvereinbarung zu ersetzen wird für die Person von P. Tradowsky begrüßt,
für Kollewijn wegen des Scheinselbständigkeitsgesetzes nicht. Tradowsky schätzt die Geschäftsführungstätigkeit
auf 10 Stunden pro Woche, bei 10,00 € pro Stunde wären das 400 € pro Monat; aus Vortragseinnahmen kämen
etwa 300 € im Monat hinzu, insgesamt wären seine Einnahmen dann nach seinem Vorschlag 700.– im Monat.
Das wird als sinnvoll erachtet. [...] Über die Tätigkeit von Kollewijn gibt es eine kontroverse Diskussion. Es soll
in ein[em] Sondergespräch die Zusammenarbeit zwischen ihn [ihm] und Tradowsky geklärt werden. Michael
Wilhelmi und Froydis Mast werden dieses Gespräch moderieren.
5. Brief von Jürgen Schaeffer. Er wird ein persönliches Gespräch mit Frau Göbel führen.“208
PT trägt angesichts der angespannten Stimmung seine Vorschläge als Schatzmeister nun nicht
mehr nur mündlich vor, sondern schreibt am 23. April 2005 einen Brief an seine Kollegen im
IK, in dem es heißt:
206 Peter Tradowsky: Rückblick auf die Mitarbeiterbesprechung am 3. März 05 (mit sachlichen Ergänzungen),
Berlin 5. März 2005.
207 Peter Tradowsky: Rückblick auf die Mitarbeiterbesprechung am 3. März 05 (mit sachlichen Ergänzungen),
Berlin 5. März 2005.
208 Martin Kollewijn: Initiativkreis Arbeitszentrum Berlin. Protokollnotizen der Initiativkreissitzung vom
08.03.2005, 16:00 – 19:30, ohne Datum.
58
„Die Personalkosten müssen gesenkt werden, um den Haushalt endlich auszugleichen. Auch sonst ist die
Darstellung im Protokoll unklar. Ich hoffe, dass es selbstverständlich ist, dass es nur eine solidarische kollegiale
und gleiche Lösung geben kann. Ich wiederhole hier meinen schon mündlich vorgebrachten Vorschlag, Martins
Tätigkeit in eine Ich-AG umzuwandeln. Ich habe mich bei der Bundesagentur für Arbeit erkundigt und
telefonisch eingehend beraten lassen. Im ersten Jahr der Arbeitslosigkeit kann man eine Ich-AG gründen. Man
erhält dann im ersten Jahr monatlich 600.– Euro, in den darauffolgenden Jahren in Abstufungen zwischen 300.–
und 500.– Euro. Diese monatlichen Zuschüsse werden unabhängig von Erfolg oder Misserfolg der Ich-AG
gezahlt, man darf im Jahr bis 25.000 Euro ohne Anrechnung durch Honorare hinzuverdienen. Außerdem ist der
Betreffende versichert.“209
„Das AZB wird seine Funktion und seine Organisation und das Rudolf Steiner Haus halten können, es wird aber
nicht mehr Mitarbeiter für Vorträge und Kurse als Angestellte tragen können.“210 „Die Entscheidung über die
Gehälter ist überfällig. Sie steht spätestens seit 2003 an, wurde 2004 unsinnigerweise verschoben, der
Schatzmeister hat seinen diesbezüglichen Fehler, einer Nicht-Kürzung nachzugeben, bereits mehrfach
eingestanden. Jetzt muss gehandelt werden.“211
MK vermerkt in den Protokollnotizen der Initiativkreissitzung vom 3. Mai 2005 nach den
ebenso zentralen Tagesordnungspunkten 2 und 3 in Punkt 3 über die Gehaltsfrage:
„2. Aus der Mitgliedschaft. – Gedenken an Bodo Hamprecht, der am 20. April gestorben ist.“212
„3. Rückblick auf die Mitgliederzusammenkunft vom 16. April und Vorbereitung [des] 7. Juni. [...] D.H.: Neue
Kräfte hier am Tisch wären gut. Z. B. Sebastian Boegner und Moritz Christoph. M.W.: Und Judith von Halle.“213
„4. Gehälter. Das Märzprotokoll war richtig. D.H.: Der Vorschlag von P.T., M.K. solle eine Ich-AG gründen,
hätte dessen Arbeitslosigkeit zur Voraussetzung. [...] Der IK ist sehr wohl gewollt [gewillt], die
Gesamtpersonalausgaben zu senken. Der Anteil Finanzbuchhaltung/ Administration erscheint z.B. sehr hoch.
Das sollten wir von einem externen Prüfer einmal prüfen lassen. P.T.: Alle meine Honorare sind an das AZ
geflossen. Ich habe mein Gehalt 2005 um 12% gekürzt. M.W. schlägt vor, eine neutrale Person zu bitten, den
Personalkostenbereich und den Anteil der Finanzbuchhaltung anzuschauen und Änderungsvorschläge zu
machen. [...] Der IK beschließt, Herrn Schaeffer zu bitten.“214
Jürgen Schaeffer, ehem. Geschäftsführer der Stuttgarter Waldorfschule Uhlandshöhe, spricht
mit MK und PT, erstellt nach Einsicht in die Buchhaltungsunterlagen und Verträge eine
209 Peter Tradowsky (Schatzmeister): (Brief) An die Mitglieder des Initiativkreises. Berlin 23. April 2005.
210 Peter Tradowsky (Schatzmeister): (Brief) An die Mitglieder des Initiativkreises. Berlin 23. April 2005.
211 Peter Tradowsky (Schatzmeister): (Brief) An die Mitglieder des Initiativkreises. Berlin 23. April 2005.
212 Martin Kollewijn: Initiativkreis Arbeitszentrum Berlin. Protokollnotizen der Initiativkreissitzung vom 3. 5.
2005, 16:00 – 19:30, ohne Datum.
213 Martin Kollewijn: Initiativkreis Arbeitszentrum Berlin. Protokollnotizen der Initiativkreissitzung vom 3. 5.
2005, 16:00 – 19:30, ohne Datum.
214 Martin Kollewijn: Initiativkreis Arbeitszentrum Berlin. Protokollnotizen der Initiativkreissitzung vom 3. 5.
2005, 16:00 – 19:30, ohne Datum.
59
übersichtliche Gehaltsliste und unterbreitet auf dieser Grundlage dem IK in einem konzisen
Gutachten vom 7. Juni 2005 einen Vorschlag:
„Besprechung über die Finanzen des Arbeitszentrums Berlin zwischen Herrn Kollewijn, Schaeffer und
Tradowsky am Montag, den 6. 5. 2005 16:00. Herr Wilhelmi bat mich im Namen des Initiativkreises, die
Finanzen des AZ anzusehen und u. U. Lösungen vorzuschlagen. [...] [Auf Grundlage] der Gehaltsliste
entwickelte ich eine detaillierte Aufstellung der laufenden Einkommenskosten. [...] In dem Gespräch stellten wir
fest:
Die Bezüge je Person sind ausser bei Herrn Tradowsky so niedrig, dass eine Kürzung nicht zumutbar ist. Bei
einem Rentner ist die Altersversorgung durch BfA und Zusatzversorgung der Waldorfschule geregelt. Im Alter
sollte Ernst gemacht werden mit der Trennung von Arbeit und Einkommen. In Stuttgart erhalten Rentner nur
noch einen Anerkennungsbetrag. In Berlin scheint das Bewusstsein darüber nicht zu leben. In der Berliner
[Rudolf-Steiner-]Schule werden erbrachte Leistungen vergütet. Mein Vorschlag war[,] eine Anerkennung der
Arbeit mit 400.– Euro je Monat, so wie es bereits beschlossen ist. [...] Es ist unverantwortlich, den Haushalt
ungedeckt zu lassen. Herr Tradowsky weist verzweifelt auf diese Situation hin. Der Initiativkreis ist
verantwortlich für eine Lösung. Die Einnahmen aus Beiträgen haben bei der Altersstruktur der Mitglieder eine
fallende Tendenz. Nur viele neue zahlende Mitglieder können einen positiven Ausgleich schaffen.“215
PT wandelt seinen Anstellungsvertrag in einen nicht-schriftlich fixierten Honorarvertrag um.
„Jetzt ist das Unglückliche“, so NG, „dass er der Geschäftsführer war, der dafür hätte sorgen
müssen, dass der neue Honorarvertrag auf Papier gesetzt wird. Und wir waren zu schlapp, um
das zu kontrollieren. Das ist das eigentliche Unglückliche.“216 MKs Anstellungsvertrag bleibt
unverändert und das Gehalt ungekürzt bis zu seiner Kündigung zum 30. März 2006 im AZB
bestehen.
6. Die rechtliche Dimension des Arbeitszentrums Berlin
Während im Laufe des stillen Winters 2005 die Stigmatisation in den Hintergrund und die
Finanzen in den Vordergrund getreten waren, schlug nun der geistige Gegensatz der
Stigmatisationsdeutung seitens PT und JvH einerseits und der Nichtdeutung seitens MK, MO,
NG, WUK, DH und MW andererseits in einen zunächst intern vereinsrechtlichen und dann
extern arbeitsrechtlichen Gegensatz um. Man konnte den Eindruck haben, dass der Mangel an
inhaltlich geistiger Auseinandersetzung durch eine formal rechtliche Auseinandersetzung
kompensiert und katalysiert wurde und dadurch schließlich die Situation eskaliert ist. Der
Weg bis zur Eskalation führte über drei Mitgliederzusammenkünfte, deren letzte einen
215 Jürgen Schaeffer: (Finanzgutachten). (Brief) An das Arbeitszentrum Berlin, Berlin 7. 6. 2005.
216 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 11.
60
Protokollstreit zwischen JvH/PT und MK/MW auslöste, dem PT durch das Auswechseln des
Sekretariatstürschlosses schließlich ein Ende setzte. Damit war der interne Streit eskaliert.
Tags darauf folgte zwischen den streitenden Parteien ein Schlichtungsgespräch in Dornach
vom 27. Juli 2005, bei dem PT seine Überreaktion eingestehen und versprechen musste, seine
Handlung rückgängig zu machen. Just einen Tag nach der Mitgliederzusammenkunft vom 11.
August 2005 kündigte der Vorstand der AGiD dem Geschäftsführer und den beiden
Sekretärinnen wegen eben dieser, bereits revidierten Handlung. Damit eskalierte der
vereinsinterne Streit zu einem externen, arbeitsrechtlichen Streit.
6. 1. Mitgliederversammlung vom 12. März 2005
Am 12. März 2005 fand im AZB die Jahresmitgliederversammlung statt, bei der alle IKMitglieder
mit Ausnahme von NG anwesend waren. Von dieser Mitgliederversammlung
existiert kein Protokoll, sodass ihr Verlauf aus den Interviews der Beteiligten rekonstruiert
werden muss.
MK berichtet: „Einige Stunden vor Beginn der Versammlung flatterten plötzlich mehrere
Anträge per Fax ins Haus, die auf eine geheime und individuelle Wahl der einzelnen
Initiativkreis-Mitglieder drängten, obwohl wir das im Vorfeld überhaupt nicht mehr
besprechen konnten. Ich hatte zuerst den Rechenschaftsbericht des Initiativkreises zu geben
und dann sollte der Schatzmeister mit seinem Bericht drankommen. Dabei hatte ich also nicht
nur von der Arbeit des IK, sondern auch von dem berichtet, was mit Judith von Halle passiert
ist, was ja allen gut bekannt war. Und dabei hatte ich einen Satz darüber erwähnt, dass es im
Initiativkreis auch Unstimmigkeiten gab.“217 PT schildert die gleiche Situation so: „Martin hat
einen Bericht über die Arbeit des Initiativkreises gegeben und dabei ganz allgemein von
irgendwelchen Spannungen gesprochen.“ PT meint, MK hätte „so ungeschickt um den Kern
der Sache herumgeredet und das Problem zu vertuschen versucht, dass er dadurch
verschiedene Leute geradezu zu Nachfragen provoziert hat. Wenn er ein bisschen konkreter
gewesen wäre, dann wäre die ganze Sache wahrscheinlich an den Mitgliedern vorbei
gegangen. Da er aber sowohl inhaltlich als auch sprachlich um die ganze Geschichte
rumeierte, war klar, er will etwas nicht sagen, was ich auch verstehen kann. Aber nun hakten
die Mitglieder ein und fragten: was ist denn nun eigentlich geschehen?“218
Pikant ist nun, dass sich nach dem Bericht MKs JvH als Betroffene dabei selbst zu Wort
meldete, um die Aufklärung der Mitglieder voranzutreiben: Und da hat „Judith von Halle
gleich den Finger hoch gestreckt und ‚was war da eigentlich genau los?’ gefragt. Daraufhin
217 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 31.
218 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 24.
61
hat Tradowsky eine halbe Stunde lang [über das Gespräch des IK mit JvH vom 5. Oktober
2004] gesprochen und ist dabei vor allem über Nana Göbel hergezogen, die nicht anwesend
war.“219 NG ist der Ansicht: „Auf der Mitgliederversammlung [vom 12. März 2005], bei der
ich gar nicht anwesend war, kamen dermaßen massive, verbale und gestische Angriffe gegen
mich, weil Herr Tradowsky aufgrund verschiedener Sachen ein Bild von mir als der bösen
Hexe schlechthin kreiert hat, was nur bei meiner Anwesenheit richtig gestellt werden
konnte.“220 NG hat PT deshalb später nicht des Inhalts, sondern der Form wegen beschuldigt,
vertrauliche Aussprachen von der internen IK-Sitzung mit JvH gegenüber einer externen
Öffentlichkeit ausgeplaudert zu haben.221 PT beurteilt die Angelegenheit hingegen so: „Ich
sehe die Aussprache gar nicht als Vertrauensbruch an. Ich bin der Meinung, dass wenn NG in
einer keineswegs vertraulichen Sitzung solche gravierenden Dinge loslässt, die Mitglieder
dann auch ein Recht auf Information darüber haben, worin denn nun eigentlich der Konflikt
besteht.“222
Über den weiteren Verlauf der Mitgliederversammlung meldet MK folgende Bedenken an:
„Das Problem bestand nun darin, dass dadurch [PTs Bericht über NGs Verhalten] der
Zeitrahmen gesprengt wurde und Tradowsky dann zu mir sagte: na ja, diese Sache mit den
Anträgen verschieben wir dann auf nächstes Mal. Aber Judith von Halle mahnte das an und
sagte, darüber muss jetzt abgestimmt werden. Doch da man die Satzung nicht ad hoc ändern
kann, haben wir beschlossen, dass wir bei einem nächsten Termin [16. April 2005] erst einmal
über neue Wahlformen des Initiativkreises sprechen und uns ein Urteil bilden wollen. Und das
bedeutete aber, dass der Initiativkreis nicht, wie sonst üblich, bestätigt wurde.“223
MK reflektiert den Sachverhalt aus der Retrospektive: Diese Überrumpelungsstrategie mit
den Anträgen „war sehr klug eingefädelt und doch am Ende nicht ganz erfolgreich. Man
merkte während der Versammlung die Absicht einiger Mitglieder, die dachten: wir kommen
da rein, stellen die Mehrheit und wählen diesen Initiativkreis einfach ab. Ich hatte den
Eindruck, Peter Tradowsky war die Sache irgendwie nicht ganz geheuer, weswegen er auch
zu mir sagte: mach mal weiter. Doch Judith von Halle war eisern und forderte, dass die Sache
richtig durchgeführt wurde. Sie nahm mir sehr übel, dass ich diese Anträge nicht zur Wahl
stellte.“224
219 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 31.
220 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 9.
221 NG: PT hat die vertraulichen Dinge „nicht nur ausgeplaudert, er hat bestimmte Urteile verbreitet.“ Siehe
ebenda, S. 9.
222 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 24.
223 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 31.
224 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 32.
62
„Erst einige Zeit später, als der Konflikt hochkochte, erhielt ich von Mitgliedern aus dem
Mittwochskreis interne Berichte darüber, dass Judith von Halle und Peter Tradowsky u. a.
wohl „fünf ZweigvertreterInnen zweimal eingeladen und in mehrstündigen Gesprächen Dinge
im Vorfeld miteinander abgestimmt haben, die so sehr mit dem übereinstimmen, was dann
tatsächlich während der Mitgliederversammlung passiert ist“, dass man davon ausgehen kann,
dass die plötzliche Flut „gleichlautender Anträge kein Zufall“, sondern eine „geheime
Strategie war, die Abwahl des IK zu inszenieren.“225
Nachdem MK dies erfahren hatte, ging er „bei der nächsten Hauskonferenz zu Judith von
Halle und fragte sie: ‚was waren das für Vorbesprechungen für die nächste
Mitgliederversammlung?’ Daraufhin hat sie geantwortet: ‚es hat keine Vorbesprechung
gegeben.’ Und dann habe ich ihr erzählt, was mir im Zweig alles berichtet wurde, woraufhin
sie nur entgegnete: ‚Na ja, das war viel früher.’ Dann habe ich ihr genau die zwei Daten der
entsprechenden Mittwoche genannt. Sie erwiderte: ‚Ja, das stimmt, aber es ging gar nicht um
eine Vorbereitung für diese Mitgliederversammlung’. Dann habe ich gar nichts mehr gesagt,
weil ich das einfach so verlogen fand, dass ich eigentlich sprachlos darüber war, wie
insbesondere gegen mich und andere Mitglieder des Initiativkreises ziemlich viel Stimmung
gemacht wurde.“226 MKs Vorwurf, JvH habe Anträge zur Abwahl des IK mit vorbereitet,
dementierten PT und EL für JvH: „JvH hat weder irgendwelche Anträge vorbereitet noch den
Mittwochskreis für Mitgliederversammlungen instrumentalisiert.“227
6. 2. Mitgliederzusammenkunft vom 16. April 2005
Am 16. April 2005 fand die nächste Mitgliederzusammenkunft statt, auf der zwar nicht die
vertagten Punkte: die Entlastung von IK und Geschäftsführung, erledigt, wohl aber die
Bildung und Funktion des IK diskutiert und zum Schluss von Sebastian Boegner und Moritz
Christoph ein Papier zu einem neuen Wahlverfahren des IK vorgelegt wurde. Der Hauskreis
hat anschließend ein Protokoll verfasst, welches den Verlauf der Mitgliederversammlung in
Voten wiedergibt.
„Protokoll der Mitgliederzusammenkunft vom 16. April 2005228
Gesprächsleiter: Michael Wilhelmi
225 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 32.
226 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 33.
227 Peter Tradowsky/Edda Lechner: Notwendige Richtigstellungen. Zu der Zusammenfassung des
Abschlussberichts der Urteils-Findungs-Komission über den Verlauf der Berliner Krise 2003 bis 2006, Zu Punkt
9.
228 Judith von Halle/ Martin Kollewijn/Edda Lechner/Peter Tradowsky: Protokoll der Mitgliederzusammenkunft
vom 16. April 2005, erstellt nach Notizen und Gedächtnisaufzeichnungen der Mitarbeiter, Berlin 24. Mai 2005,
S. 1 f.
63
Martin Kollewijn stellte dar, wie das Arbeitszentrum Berlin vor fünfzig Jahren gegründet und von den Gründern
ein Initiativkreis gebildet wurde. Der Initiativkreis hat sich seitdem durch Kooptation weitergebildet und ist bei
den Mitgliederversammlungen durch die Mitglieder bestätigt worden. Wie andere Arbeitszentren, Zweige und
Gruppen ist das Arbeitszentrum Berlin ein rechtlich unselbständiges, aber geistig und wirtschaftlich autonomes
Glied der gemeinnützigen Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V. Es hat keine geschriebene
Satzung; es gestaltet sich in mancher Hinsicht analog zu einem Verein, wobei dem Initiativkreis eine
Vorstandsfunktion zugeschrieben wird. Es gehört zu den Aufgaben des Initiativkreises, anthroposophische
Arbeit in Berlin zu ermöglichen und zu initiieren aufgrund einer vertieften Erkenntnis davon, was an der Zeit ist.
Jürgen Schaeffer stellte fest, dass nach der Satzung der Landesgesellschaft eine freie Gestaltung, auch
Kooptation, möglich ist. Die Frage ist: Was wird geistig gewollt? Der Initiativkreis möge einen Vorschlag
machen.
Hermann Girke wies auf den ideellen Zusammenschluss von Waldorfschulen, Krankenhäusern etc. hin, die alle
wirtschaftlich unabhängig voneinander in eigenen Vereinen bestehen. Er schlägt dies auch für das AZB vor, das
ein eigener Verein sein sollte. Somit wäre ein Initiativkreis nicht mehr in der bestehenden Form vorhanden,
sondern ein Vereinsvorstand.
Moritz Christoph vertrat die Meinung, ob wir ein Verein seien oder nicht, wir bräuchten in jedem Fall eine
Geschäftsordnung. Eine Aufgabe des Initiativkreises wäre die Zusammenarbeit nach innen und nach außen.
Einzelaufgaben sollten von bestimmten Mitgliedern des Initiativkreises übernommen werden. Er hat dazu
zusammen mit Sebastian Boegner einen Vorschlag gemacht.
[...]
Marie Halberschmidt äußerte, dass von jedem Zweig eine Person Mitglied des Initiativkreises sein sollte. Es sind
in den vergangenen 21 Jahren vor allem die Initiativen von Mitarbeitern im Hause ausgegangen und dann an den
Initiativkreis herangetragen worden. Sie empfindet die Abstimmungen auf den Versammlungen als ‚Theater’.
[...]
Nana Göbel meinte, die AG gäbe Raum, in der jede Initiative möglich sei. Die Aufgaben des Initiativkreises
seien: 1) Vertretung nach außen; 2) Wahrnehmung der Initiativen im geographischen Raum eines
Arbeitszentrums; 3) Anregen und Aufgreifen von Initiativen, die sich zeigen. Die Arbeitszentren sind
vollkommen verschieden und bilden trotzdem gemeinsam die Landesgesellschaft. Der Verein ist nur das äußere
Rechtskleid, worin die anthroposophische Arbeit stattfindet. Ob und wie diese stattfindet, hängt von den tätigen
Menschen ab. Eine Landesgesellschaft aus einzelnen Vereinen sei möglich. Aber was beabsichtigt man? Es wäre
eine Schwächung, wenn man nicht einen einheitlichen Zug verfolgte.
Wolfgang Wager [...] meint, die Bildung eines einzelnen Vereins sei eine Stärkung, weil die Vereine nicht durch
wirtschaftliche Verflechtungen mit der Landesgesellschaft belastet werden.
[...]
Rainer Schnurre sagte, das Zentralproblem sei die Machtfrage, die unausgesprochen im Raum stünde. Nach dem
Motto: Ihr könnt alles machen, aber die hierarchische Ordnung läuft von oben nach unten.
Detlef Hardorp erklärte, das Wort Initiativkreis wecke falsche Erwartungen. Das AZB brauche einen Kreis von
Menschen mit Interessen für das, was geschieht. Der Initiativkreis sei kein Machtorgan. Innerhalb des
Initiativkreises gäbe es Spannungen, weil einige Mitglieder des Initiativkreises ohne vorherige Absprache
gehandelt haben. Es bestehe die Gefahr, dass das AZB mit [den Mitarbeitern in] dem Rudolf Steiner Haus Berlin
gleichgesetzt werde.
64
Peter Tradowsky greift das Motto von Martin Kollewijn auf: Was ist an der Zeit? Eine kardinale Frage sei heute
die Existenz der Anthroposophischen Gesellschaft, und diese hinge davon ab, ob man neue Mitglieder findet. Er
macht den Vorschlag: Zusammenarbeit an der Basis von allen, die initiativ werden wollen, z. B. Zweige,
Gruppen und Initiativen. Das AZB sei übrigens durch die Mitarbeiter (unabhängig von einem Gremium)
durchaus funktionsfähig. 229
[...]
Moritz Christoph und Sebastian Boegner verteilen als zukünftiges Diskussionspapier ein Schreiben, in dem auf
einen Aufsatz von Ernst Lehrs ‚Republikanisch, nicht demokratisch’ (Mitteilungen aus der anthroposophischen
Arbeit in Deutschland, 10. Jahrgang, Heft 3, Michaeli 1956) hingewiesen wird.
Als neuer Versammlungstermin wurde Dienstag, der 7. Juni 2005 um 18:00 Uhr vereinbart.“230
Der Vorschlag von Sebastian Boegner und Moritz Christoph lautete:
„Der Berliner Initiativkreis – Beiträge zu einer sachgemäßen Gestaltung
Leitmotiv: den suchenden Seelen dienen
Ideen zu den Aufgaben des Initiativkreises
[...]
A) Aufgaben gegenüber der Öffentlichkeit
1. Veranstalten einer durchgehenden Reihe einführender Vorträge an einem ‚öffentlichen’ Ort,
2. Organisation von größeren öffentlichen Veranstaltungen (Tagungen etc.) für das ganze AZ Berlin,
3. Grundlegende Weiterentwicklung der Internetseite des AZ Berlin für die Öffentlichkeitsarbeit,
4. Ergreifen der Schnittstellen von AZ Berlin und Berliner Stadtleben (auch ‚Medienkontaktstelle’),
5. Weiterführen des Veranstaltungskalenders des AZ Berlin,
6. Neuaufbau einer anthroposophischen Jugendarbeit,
7. Organisation einer adäquaten Auseinandersetzung mit der regionalen Gegnerschaft.
B) Aufgaben gegenüber den Mitgliedern der Anthropsophischen Gesellschaft
8. Vielfältige Angebote zur Pflege des seelischen Lebens im Einzelnen und in der Gesellschaft,
9. Information und Gespräche für die Mitglieder zu den Entwicklungen in AAG, AGiD und AZ Berlin,
10. Realisieren des esoterischen Zugs in der Verwaltung (und Raumvergabe im Rudolf-Steiner-Haus).
C) Aufgaben gegenüber den Berliner anthroposophischen Einrichtungen
11. Wahrnehmen der bestehenden Kompetenzen und Förderung von Synergieeffekten,
12. Mithilfe beim Aufbau internet-gestützter Austauschmöglichkeiten für die einzelnen Fachgebiete.
D) Aufgaben gegenüber der Anthropsophischen Gesellschaft in Deutschland
13. Vertreten des AZ sowie Mitorganisation eines Erfahrungsaustausches im Rahmen der Konferenz,
14. Schatzmeistertätigkeit für das AZ Berlin.
E) Aufgaben gegenüber den Mitgliedern der Freien Hochschule [für Geisteswissenschaft]
229 In welcher Form die Mitarbeiter des RSH auch unabhängig vom IK die laufenden Geschäfte des AZB zu
führen vermögen, legte PT in seinem Satzungsentwurf vom 7. Juni 2005 unter dem Organ
„Mitarbeiterkonferenz“ dar.
230 Judith von Halle/Martin Kollewijn/Edda Lechner/Peter Tradowsky: Protokoll der Mitgliederzusammenkunft
vom 16. April 2005, erstellt nach Notizen und Gedächtnisaufzeichnungen der Mitarbeiter, Berlin 24. Mai 2005,
S. 1 f.
65
15. Weiterführen der Arbeit der allgemeinen anthropsophischen Sektion (Erste Klasse).
16. Weiterführen/Aufbauen von Arbeitszusammenhängen der Fachsektionen der Freien Hochschule.
Ideen zur Bildung des Initiativkreises
[... nach] dem von Rudolf Steiner dargelegten ‚republikanischen Prinzip’ [...]
1. Verbindliche Klärung der Aufgaben und daraus entspringenden Pflichten des IK.
2. Kandidatenfindung durch Vorschläge von Mitgliedern sowie eigeninitiative Kandidaturen.
3. Schriftliche Information der Mitglieder über die Aufgaben des IK und die zur Mitarbeit im IK bereiten
Mitglieder – bzgl. ihrer selbst und den Initiativen, welche sie für das AZ Berlin entfalten wollen.
4. Bildung des IK auf der Jahresversammlung durch einzelne Bestätigung/Nichtbestätigung der
Kandidaten durch die Mehrheit der anwesenden Mitglieder. (Bei denen, die Aufgaben für die Freie
Hochschule ergreifen wollen, sind hierbei natürlich nur die Klassenmitglieder stimmberechtigt.)
5. Die Aufgaben des IK werden durch die jeweiligen Mitglieder des IK individuell verantwortet – unter
einer den Aufgaben gemäßen Beratung mit den Mitgliedern.
6. Einige Zeit vor der nächsten Jahresversammlung erhalten die Mitglieder schriftlich die vollständigen
persönlichen Rechenschaftsberichte der Mitglieder des IK sowie die persönlichen Angaben über die
Vorhaben für das nächste Arbeitsjahr aller zur Mitarbeit im IK bereiten Mitglieder.
7. Auf der Jahresversammlung erfolgen die Abstimmungen zur Entlastung für das vergangene sowie zur
Wieder- bzw. Neuberufung für das kommende Arbeitsjahr wiederum individuell (s. Schritt 4).“231
6. 3. Mitgliederzusammenkunft vom 7. Juni 2005
Auf der dritten Mitgliederzusammenkunft vom 7. Juni 2005 wurde die Frage, wie der IK in
Zukunft gebildet werden soll, solange weiter diskutiert, bis NG mehrfach durch Rufe aus der
Mitgliedschaft aufgefordert wurde, Stellung zu ihren diskriminierenden Aussagen gegenüber
JvH zu nehmen, was sie dann auch tat. Aus der Darstellung dieser stimmungsmäßig
aufgeheizten Mitgliederzusammenkunft gegenüber abwesenden Mitgliedern gingen
schließlich zwei divergierende Protokolle hervor: ein kurzes, in indirekter Rede gehaltenes
und daher wenig aussagekräftiges Ergebnisprotokoll von MK und MW einerseits232 und ein
231 Sebastian Boegner/Moritz Christoph: Der Berliner Initiativkreis. Beiträge zu einer sachgemäßen Gestaltung,
April 2005.
232 Protokoll der Mitgliederversammlung am 7. Juni 2005
„Gesprächsleiter: Michael Wilhelmi
M. Christoph ruft die Themenstellung in Erinnerung: Aufgaben und Bildung des Initiativkreises. Kollewijn
bringt einen Vorschlag der Initiativkreismitglieder Mast, Wilhelmi, Hardorp und Kollewijn vor:
aufgabenorientierte Neubildung des IK durch Einzelwahl bei der nächsten Jahresmitgliederzusammenkunft; bis
dahin ggf. Erweiterung durch Kooptation.
P. Tradowsky verweist auf seinen schriftlichen Vorschlag zur Gründung eines Eingetragenen Vereins.
Diskussion über Bestand des Initiativkreises: Der zuletzt 2004 bestätigte Initiativkreis besteht weiter bis zur
Bestätigung eines neuen Initiativkreises.
Diskussion über die Themenstellung. Es soll über Inhalte und Aufgaben, noch nicht über Strukturen gesprochen
werden. Außerdem wird auf die Ereignisse um J. v. Halle verwiesen, und gefragt, wie sich der Initiativkreis
damit auseinandergesetzt habe. [...]
Im März wurde über ein Gespräch des Initiativkreises mit J. v. Halle berichtet. Frau Goebel, die im März nicht
anwesend war, wird aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen. Sie nimmt Stellung zu dem Bericht. Strittig sind
66
ausführliches, in direkter Rede gehaltenes und daher aussagekräftiges Verlaufsprotokoll von
EL, JvH, MK, PT andererseits:
Protokoll der Mitgliederzusammenkunft am 7. Juni 2005
„Gesprächsleiter: Michael Wilhelmi
Hr. Christoph: Zusammenfassung der letzten Zusammenkunft. Drei Kernanliegen: 1) Aufgaben des AZB bzw.
Initiativkreises (IK) bestimmen, 2) tätig werdende Mitglieder und Struktur für den IK finden, 3) weiteres
Vorgehen vereinbaren.
Hr. Kollewijn: stellt einen Vorschlag von Fr. Mast, Hr. Hardorp, Hr. Wilhelmi und Hr. Kollewijn vor:
Erweiterung des IK durch Kooptation. Aufgreifen der Ideen von Boegner/Christoph. Aufgabenorientierte
Bildung des IK bei der nächsten Jahres-Mitgliederzusammenkunft im März 2006. Erweiterung des IK mit
Einzelwahl und Betreuung [Betrauung] einzelner Mitglieder mit bestimmten Aufgaben.
Hr. Tradowsky: verweist auf seinen schriftlichen Vorschlag eines Eingetragenen Vereins. Vorschlag:
Zurückhaltung des IK, bis über das Modell gesprochen werden konnte. Ein Mitarbeiterkreis soll an die Basis
verlegt werden. Jede Form von Machtstruktur solle vermieden werden. Ein Amt könne nicht mit einem
spirituellen Auftrag verknüpft sein. Vom IK würde Hr. Tradowsky vorgeworfen, mit diesem Vorschlag Macht an
sich ziehen zu wollen.
[...]
Fr. Halberschmidt: Hr. Kollewijns Vorschlag klänge wie das alte Prinzip bis auf Kooptation weiterer IKMitglieder.
Der Vorschlag gehe davon aus, dass der IK weiter besteht, obwohl er bei der Versammlung im März
und bis heute keine Zustimmung der Mitglieder erhalten hat.
Fr. Göbel: ‚Selbstverständlich hat der IK die Bestätigung erhalten.’ Die Nicht-Bestätigung des IK im März 2005
sei nicht aussagekräftig, da nicht die Gesamtmitgliedschaft vertreten sei, sondern nur 10 %.
Hr. Boegner: Zur Klarstellung: Der IK ist in 2005 nicht bestätigt worden. Fr. Göbel meint, er sei bestätigt, weil
er in 2004 bestätigt wurde.
Hr. Hoffmann: Wie versteht sich der IK? Beim letzten Treffen sagte Hr. Kollewijn, die Funktion des IK sei
analog der eines Vereins-Vorstands. Die Vorträge und Ereignisse um Judith v. Halle bewegen die Mitglieder des
AZB. Es wurde angedeutet, dass erhebliche Spannungen in Bezug auf dieses Thema im IK vorhanden sind. Das
Thema wurde damals abgebrochen, weil auch Fr. Göbel nicht da war. Heute [da Fr. Göbel anwesend ist] soll
über das Thema gesprochen werden.
[...]
Hr. Hoffmann: Im März wurde das Thema um J. v. H abgebrochen mit dem Hinweis, Fr. Göbel sei nicht
anwesend. Bittet endlich um Antwort. Es sei auf der Zusammenkunft damals vom IK gesagt worden, ‚die
nicht die Phänomene, sondern ihre Interpretation. Sie kann sich [den] von P. Tradowsky gegebenen
Interpretationen nicht anschließen. Es gibt keine gemeinsame Meinung des Initiativkreises dazu, sondern
individuelle Beurteilungen.
P. Tradowsky erinnert an seine Anregung, auf einem Kolloquium diese Fragen einmal zu besprechen. J. v. Halle
betont, daß natürlich jeder eine eigene Meinung haben soll; sie würde sich nur wünschen, daß Aussagen und
Urteile mit geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen gestützt und begründet werden können. [...] Siehe Martin
Kollewijn: Protokoll der Mitgliederversammlung am 7. Juni 2005, unter Berücksichtigung von Anmerkungen
von Michael Wilhelmi. Berlin (ohne Datum).
67
Mitglieder schlafen’: Das hätte ihn aufgeweckt. Bittet zum 3. Mal um Antwort oder sei der IK jetzt
eingeschlafen?
Hr. Kollewijn: ‚Sie meinen, wie stellt sich der IK zur Tätigkeit von Fr. v. Halle?“
Hr. Hoffmann: ‚Ja. Aber vor allem auch zu dem Phänomen an sich!’
Hr. Kollewijn: Der IK habe damals beschlossen, dass zwei Artikel in der Zeitschrift ‚Das Goetheanum’
erscheinen. Der IK habe auch die Idee für eine Kooptation von Fr. v. Halle.
Hr. Wilhelmi: Es liegt ein außergewöhnliches Phänomen vor. Dadurch gibt es unterschiedlichste Urteile. Es sei
nicht sinnvoll, über diese hier zu sprechen. Man solle sich fragen: Kann man das andere Urteil annehmen.
Rufe aus der Mitgliedschaft: Was ist denn das andere Urteil?
Hr. v. Halle: [mit] Bezugnahme auf die IK-Sitzung [vom 5.] Oktober 2004: J. v. H. hatte im IK Fragen über die
Phänomene beantwortet. Anschließend habe Fr. Göbel laut und empört konstatiert, ‚das hat mit Anthroposophie
nichts zu tun’ und ‚das schadet der AG’. Hr. Tradowsky hat daraufhin zwei Briefe an Fr. Göbel geschickt, die
unbeantwortet blieben. Wie können Menschen auf diese Art in einem Kreis zusammenarbeiten? Es kursieren
Gerüchte: Fr. Göbel nutze ihre Stellung als Generalsekretärin, um inner- und außerhalb des AZB negative
Stimmung gegen J. v. Halle zu erzeugen. Stimmt das? Wenn ja, handele sie gegen das Interesse der Mitglieder,
die die Vorträge [von JvH und PT] besuchen. Eine Mitgliedschaft im IK sei dann unvereinbar. Bitte um Antwort.
Hr. Hardorp: Wir haben zu einem anderen Thema eingeladen. Es geht jetzt hier um etwas anderes!
Rufe aus der Mitgliedschaft: Fr. Göbel wird zu einer Antwort aufgefordert.
Hr. Wilhelmi: Fr. Göbel müsse sich nicht erklären!
Hr. Hardorp: Fordert Zuwortkommen ein.
Rufe aus der Mitgliedschaft: Fr. Göbel wird erneut zu einer Antwort aufgefordert.
Hr. Wilhelmi: Wenn Fr. Göbel Stellung nehmen wollte, hätte sie geantwortet.
Rufe aus der Mitgliedschaft: Wachsende allgemeine Unruhe. Rufe wie ‚keine Antwort ist auch eine Antwort!’
Hr. Hoffmann: Fühle sich ‚verschaukelt’, da es hieß, ohne Fr. Göbel keine Stellungnahme. Trotz Anwesenheit
heute wieder keine Auskunft.
Hr. Hardorp: Hier sei nur das eigentliche Thema zu behandeln, hier sei nicht der Ort, für das andere Thema
Stimmung zu machen.
Fr. Göbel: Beobachtet seit einiger Zeit, dass das, was im IK gesprochen wird, verbreitet wird. Das sei nicht in
Ordnung! Vertrauen sei fraglich, wenn man sieht, wie hinterher gesprochen wird. Ein Gesetz sei gebrochen
worden. Wie sonst kommt Hr. v. Halle zu solchen Aussagen? Es gäbe falsche Urteile über die IK-Sitzungen. Fr.
v. Halle hat eine Stunde geredet. Dann habe Fr. Göbel etwas gesagt, und Fr. v. Halle sei ihr ins Wort gefallen. Es
gibt Regeln in den Umgangsformen, und diese Regeln habe Fr. v. Halle verletzt. Ansonsten könne sie nur sagen:
Die Sache [die Stigmatisation] ist, wie sie ist. Das eigentliche Problem gab es durch die Interpretationen von P.
Tradowsky, der ein fertiges Erklärungs-Gerüst hingestellt habe. Es gibt verschiedene Arten von Hellsehen. Das
vorliegende sei nicht durch Erwerb eines Studiums der Geisteswissenschaft entstanden. Außerdem habe P.
Tradowsky ein Schreiben darüber auf dem Briefkopf des AZB aufgesetzt, dabei hatte der IK keine gemeinsame
Meinung dazu. So sei es gewesen. Außerdem könne sie niemals Urteile anderer Leute annehmen. ‚Ich werde
mein Urteil erst revidieren, wenn ich Grund dazu habe.’
Hr. Tradowsky: Jeder kann seine eigene Meinung haben. Er habe immer ein Kolloquium angeregt, bei dem über
diese Dinge diskutiert werden könne. Aber die inhaltliche Auseinandersetzung war hier leider nie gefragt.
Außerdem läge hier keine Indiskretion vor. J. v. Halle war schließlich dabei und habe das Recht, ihrem Mann zu
68
berichten, was sie erlebt hat. Das Schlimme seien die wirklich verletzenden Äußerungen gewesen. Das sei
eigentlich der Punkt; nicht die inhaltliche Auseinandersetzung.
Fr. Göbel: Es würde durch Hr. Tradowsky Falsches kolportiert.
Hr. Hoffmann: Es sei nichts kolportiert worden. Es wurde offen auf der Mitgliederzusammenkunft im März
gesprochen. Das sei keine Kolportage.
Hr. Wilhelmi: Es sei ganz natürlich, das J. v. Halle ihrem Mann berichtet, genauso wie auch P. Tradowsky und
N. Göbel außerhalb des IK berichten.
Fr. v. Halle: Findet es traurig, wie miteinander umgegangen wird. Auch dass Dinge verzerrt dargestellt werden.
Fr. Göbel habe noch einige gravierende Dinge mehr gesagt bei jener Sitzung, die jetzt nicht weiter ausgeführt
werden sollen. Jeder Mensch habe ein Recht auf seine eigene Meinung. Fr. v. Halle wünsche sich nur, dass
Aussagen und Urteile mit geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen gestützt und begründet würden, anstatt dass
mit Formalfragen von der eigentlichen Thematik abgelenkt wird. [...]
Hr. Christoph: Schlägt statt eines IK-Mitglieds Hr. Boegner als Ansprechpartner vor für Menschen, die
Aufgaben übernehmen wollen. [...]
Hr. Tradowsky: Schlägt vor, beim nächsten Termin über weitere Konflikte im IK zu sprechen, die heute nicht
zur Sprache kamen. Der IK solle sich bis dahin für ruhend erklären.
Beschluss:
Donnerstag, 11. August, 18:00 Uhr: Besprechung der Konflikte im IK und der zwischenmenschlichen
Zusammenarbeit:
Mittwoch, 7. September, 17:00 Uhr: zur Klärung der Strukturfragen des AZB, insbesondere Diskussion der
Vorschläge von Boegner/Christoph und Tradowsky“233.
NG schildert die Situation retrospektiv so: „Ich wurde [am 7. Juni 2005] intensiv aufgefordert,
eine eigene Darstellung zu geben, was ich dann gemacht habe. Danach war alles wie
ausgepufft ruhig. Die Emotionsdämonen waren vertrieben. Aber kaum war ich zur Tür
draußen, war alles wieder so aufgeputscht. Ich weiß nicht, ob man sich das alles als normaler,
rationaler Mensch vorstellen kann, wie das ist.“234
„
Aber für Frau Göbel gab das [die
von Sebastian Boegner geschilderte Intervention von DH und MW] dann immerhin die
ausreichende Bedenkzeit, um dann ihr Rundumschlags-Statement loszulassen.“235
233 Judith von Halle/Edda Lechner/Peter Tradowsky: Protokoll der Mitgliederversammlung am 7. Juni 2005.
Unter Berücksichtigung von Anmerkungen von Moritz Christoph, Berlin 7. Juni 2005.
234 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 9.
235 Sebastian Bögner: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 26. November 2006, S. 15.
69
Dem Protokoll soll bei Versand außerdem PTs Entwurf einer Satzung für das AZB als
selbständiger Verein und ein Brief von Herrn Fumetti beigefügt werden. Die Mehrheit des IK
betrachtet PTs Satzungsentwurf als Sezessionsversuch und befürwortet daher die Beilage des
zum Zusammenhalt aufrufenden Briefs von von Fumetti, über dessen Versand die Minderheit
des IK allerdings nicht in Kenntnis gesetzt und zur Abstimmung aufgefordert wird. In dem
Satzungsentwurf gießt PT eine größtenteils gewohnheitsrechtlich bereits gelebte
Vereinsrealität aus seiner Sicht in eine Rechtsform. So entspräche dem „Vorstand“ mit
Vorsitzendem, Stellvertreter, Schatzmeister die IK-Minderheit, der „Mitarbeiterkreis“ dem IK
und die „Mitarbeiterkonferenz“ dem Hauskreis.236 Und am 20. Juni 2005 macht dann auch die
IK-Mehrheit einen Vorschlag für ein neues Verfahren zur Bildung eines Initiativkreises.
236 „[PT:] Entwurf einer Satzung der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland Arbeitszentrum
Berlin eingetragener Verein
Name und Zweck
Das AZB betreibt und unterhält das Rudolf Steiner Haus Berlin mit dem Sekretariat und der öffentlichen
Ausleihbibliothek als Fachbibliothek für Anthroposophie. Das Rudolf Steiner Haus Berlin steht allen
anthroposophischen Initiativen für ihre Arbeit offen. [...]
Mitgliedschaft
Mitglied des AZB als Glied der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft kann ‚jedermann ohne
Unterschied der Nation, des Standes, der Religion, der wissenschaftlichen oder künstlerischen Überzeugung
werden’ (aus dem Statut der Weihnachtstagung vom 28. 12. 1923), der in den oben genannten Zielen und in dem
Bestand einer solchen Institution, wie sie das Goetheanum in Dornach als Freie Hochschule für
Geisteswissenschaft ist, etwas Berechtigtes sieht.
[...]
Jedes Mitglied des AZB ist zur Zahlung eines Mitgliedsbeitrags verpflichtet, den es – in Kenntnis der
Verpflichtungen, die das AZB gegenüber dem Goetheanum und der Anthroposophischen Gesellschaft in
Deutschland e. V. (AGiD) hat – selbstverantwortlich festsetzt. Der Vorstand kann Ausnahmen von dieser
Regelung aus besonderen Gründen beschließen.
Organe:
1.) Mitgliederversammlung
2.) Vorstand
3.) Mitarbeiterkreis
4.) Mitarbeiterkonferenz
1) Mitgliederversammlung236 [Zusammensetzung wie bisher, Wahlverfahren geändert]
[...] Die Mitgliederversammlung wählt alle drei Jahre in geheimer, schriftlicher Einzelabstimmung die
Vorstandsmitglieder [... und] den Vertreter des AZB für die AGiD, (für fünf Jahre).
2) Vorstand
Der Vorstand besteht aus drei Mitgliedern (Vorsitzender, Stellvertreter, Schatzmeister). [...] Der Vorstand
versteht sich als dienstleistendes Organ für die Initiativen und Anliegen der Mitglieder und die Aufgaben des
AZB. Die Vorstandsmitglieder verfolgen als solche keine eigenen Intentionen. Der Vorstand führt in enger
Zusammenarbeit mit der Mitarbeiterkonferenz die Geschäfte.
3) Mitarbeiterkreis
Der Mitarbeiterkreis wird von in den Zweigen und Gruppen verantwortlich Tätigen gebildet. Darüber hinaus
steht er jedem tätigseinwollenden Mitglied offen, das regelmäßig und konstruktiv mitarbeiten will. [...] Der
Mitarbeiterkreis trifft sich in der Regel monatlich. Im Mitarbeiterkreis werden alle gemeinsamen
Angelegenheiten des AZB besprochen, beraten und soweit erforderlich beschlossen.
Der Mitarbeiterkreis schlägt in Zusammenarbeit mit der Mitarbeiterkonferenz die Vorstandsmitglieder zur Wahl
vor. [... und] kann nach dem republikanischen Prinzip Mitglieder mit bestimmten Aufgaben betrauen.
4) Mitarbeiterkonferenz
Die in der Regel wöchentlich stattfindende Mitarbeiterkonferenz wird von den für das AZB Tätigen in enger
Zusammenarbeit mit dem Vorstand gebildet. [...] Die Mitarbeiterkonferenz führt die laufende Arbeit durch und
verantwortet sie. Sie ist ein ausführendes, vorbereitendes, planendes Organ, das aber auch in Abstimmung mit
70
Wolfgang von Fumetti: (Brief an die Mitglieder des AZB). Berlin (Juni 2005):
Wolfgang von Fumetti möchte gerade als neues Mitglied in Berlin „einige Gedanken äußern zu dem ‚Entwurf
einer Satzung der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland Arbeitszentrum Berlin eingetragener
Verein’, der von P. Tradowsky als sein Vorschlag am 7. Juni zu Beginn der Mitgliederversammlung im Rudolf
Steiner Haus verteilt wurde.
Der Vorschlag sieht vor, aus dem Arbeitszentrum Berlin, das bis heute ein rechtlich unselbständiges Glied der
Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V. (AGiD e.V.) ist, einen rechtlich selbständigen Verein zu
gründen.
„Ich empfinde diesen Vorschlag insofern als erschütternd, als er – nach meinem Verständnis – das Gegenteil
dessen bewirken kann, was in den letzten Mitgliederversammlungen als wesentliche Herausforderung von und
an die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft i. D. e. V., Arbeitszentrum Berlin, formuliert wurde,
nämlich verstärkt öffentlich zu wirken, die Arbeit mit der Jugend als ein gewichtiges Thema zu gestalten, die
Vernetzung der anthroposophischen Einrichtungen in Berlin noch stärker zu betreiben und die Hochschul-Arbeit
intensiv weiterzuführen.
Vor diesem Hintergrund haben Sebastian Boegner und Moritz Christoph im April 2005 ein Papier vorgelegt, in
dem sie Ideen zu den Aufgaben des Initiativkreises dargestellt haben.
[...]
Jetzt stehen die Mitglieder plötzlich vor der Frage, ob sie dem neu zu gründenden Verein beitreten wollen/sollen,
ob es eine Doppelmitgliedschaft in dem neuen Verein und in der AGiD e. V. gibt, ob diejenigen, die dem neu zu
gründenden Verein nicht beitreten wollen, sondern es bei ihrer langjährigen Mitgliedschaft in der AGiD e. V.
belassen wollen, ein ‚neues/eigenes’ Arbeitszentrum Berlin als unselbständiges Glied in der AGiD e. V.
gestalten wollen, etc. etc. Die Reihe von Fragen lässt sich fortsetzen. Bei der Weiterverfolgung des Vorschlages
von Herrn Tradowsky würde viel, sehr viel Kraft und Zeit bei allen Beteiligten gebunden, die damit der
eigentlichen Aufgabe des Arbeitszentrums Berlin in seiner heutigen Form verloren geht.
Muss das wirklich sein? Oder ist es nicht doch möglich, miteinander Wege zu finden, die uns als Mitglieder der
Anthroposophischen Gesellschaft stärken, statt uns zu zersplittern?
Mit freundlichem Gruß, Wolfgang von Fumetti“237
Nachdem erst Christoph und Boegner ihr Papier, dann PT einen Satzungsentwurf unterbreitet
hatten, legte die Mehrheit des IK am 20. Juni 2005 schließlich auch einen Vorschlag für ein
neues Verfahren zur Bildung eines Initiativkreises vor.238 Besonders hervorzuheben ist Punkt
dem Mitarbeiterkreis eigene Initiativen entwickeln kann. Die Mitarbeiterkonferenz ist für den
Veranstaltungskalender und die ordnungsgemäße Durchführung aller Veranstaltungen zuständig.
Siehe Peter Tradowsky: Entwurf einer Satzung der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland
Arbeitszentrum Berlin eingetragener Verein. Berlin 7. Juni 2005.
237 Wolfgang von Fumetti: (Brief an die Mitglieder des AZB). Berlin (Juni 2005).
238 „Vorschlag für ein neues Verfahren zur Bildung eines Initiativkreises
1. Dieser Vorschlag greift wesentliche Anregungen von Moritz Christoph und Sebastian Bögner auf und
präzisiert das Verfahren.
71
11: „Die für bestimmte Aufgabenfelder verantwortlichen Mitglieder handeln im Benehmen
mit dem gesamten Initiativkreis.“239
6. 4. Die Passwort-Schloss-Affäre
Aus der Abfassung zweier divergierender Protokolle entbrannte ein regelrechter Streit über
die legitime Abfassungs- und Versandhoheit, der dann in die gegenseitige Behinderung durch
Änderung von Passwörtern auf dem für den Versand notwendigen Sekretariatscomputer
mündete und schließlich in der Auswechselung des Türschlosses eskalierte. Doch wie kam es
dazu, dass MK sowohl bei der einen wie auch bei der anderen Protokoll-Partei Co-Autor und
dann am maßgeblichsten in den Streit verwickelt war? PT berichtet: „Martin versucht das
heute ein bisschen zu verdrängen, aber es ist so gewesen: Wir vier vom Hauskreis haben aus
allen möglichen Notizen von Judith [von Halle] und Edda [Lechner] mit Martin [Kollewijn]
zusammen ein Protokoll gemacht. Darüber waren wir auch nicht so ungeheuer glücklich.“240
MK ist, nicht zuletzt nachdem JvH ihn für seine Haltung auf der Konferenz der AZ-Vertreter
2. Zentrum des Vorschlags ist ein Wahlverfahren durch die Mitglieder, dass [sic.] das derzeitige
Kooptationsverfahren ablöst.
3. Der Initiativkreis wird für einen Zeitraum von zwei Jahren gewählt und soll aus mindestens fünf bis
höchstens acht Mitgliedern bestehen.
4. Jedes in der Berliner Region wohnhafte Mitglied der anthroposophischen Gesellschaft kann als Kandidat
vorgeschlagen werden oder sich selbst vorschlagen.
5. Spätestens vier Wochen vor der Wahl durch eine dazu einzuberufende Mitgliederversammlung müssen
von allen Kandidaten ein kurzer Lebensabriss sowie eine kurze Beschreibung des anvisierten
Aufgabenbereichs für das Arbeitszentrum Berlin der Anthroposophischen Gesellschaft schriftlich
vorliegen. Diese werden allen Mitgliedern fristgerecht mit der Einladung zur Mitgliederversammlung
zugestellt.
6. Bei der Mitgliederversammlung soll jeder Kandidat noch einmal mündlich seine Ziele darstellen und
gestellte Fragen beantworten.
7. Es findet dann eine Abstimmung der anwesenden Mitglieder über jeden einzelnen Kandidaten statt.
8. Die maximal acht Kandidaten mit den meisten ’ja’-Stimmen gelten als gewählt, wenn die Anzahl der ’ja’-
Stimmen 50 % der anwesenden Mitglieder übersteigt und sie die Wahl annehmen und sich damit
verpflichten, im Initiativkreis ehrenamtlich mitzuwirken (eine Auslagenerstattung erfolgt nicht).
9. Sollte sich der Initiativkreis in dieser Konstellation nicht als arbeitsfähig erweisen, kann jederzeit durch
einen Mehrheitsbeschluss des Initiativkreises eine Neuwahl in einer neu einzuberufenden
Mitgliederversammlung ausgelöst werden.
10. Der Initiativkreis kann mit Mehrheitsbeschluss ein neues Mitglied bis zum Ende der jeweiligen Amtszeit
kooptieren. Sinkt die Anzahl der Initiativkreismitglieder unter fünf oder werden weniger als fünf von der
Mitgliederversammlung gewählt, ist der Kreis verpflichtet, per Kooptation auf die Mindestanzahl
aufzustocken.
11. Die für bestimmte Aufgabenfelder verantwortlichen Mitglieder handeln im Benehmen mit dem
gesamten Initiativkreis.
12. Der Initiativkreis veranstaltet regelmäßig Gesellschaftsabende, zu deren Thematik Mitglieder Vorschläge
einbringen können und die Gesprächen unter den Mitgliedern dienen.“ Siehe Michael Wilhelmi/Froydis
Mast/Martin Kollewijn/Detlef Hardorp/Nana Göbel: Vorschlag für ein neues Verfahren zur Bildung eines
Initiativkreises. Berlin 20. Juni 2005.
239 Hervorhebungen durch die UFK, zu Punkt 11: Hier soll Alleingängen von IK-Mitgliedern vorgebeugt
werden. PT war mit dem Aufgaben der Geschäftsführung und Schatzmeistertätigkeit beauftragt und hat nicht im
Benehmen mit dem gesamten, sondern nur mit einem kleinen Teil des IK, nämlich MK, eigenmächtig gehandelt,
als er den Informationsbrief über JvHs Stigmatisation unter dem Briefkopf des AZB versandte.
240 Peter Tradowsky: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 27. November 2006, S. 29.
72
kritisiert hatte und die Arbeitsatmosphäre für ihn immer schlechter wurde, von einem
ritterlichen Beschützer zu einem streitbaren Kritiker von JvH geworden. Er ist im Laufe der
Zeit von der Fraktion um PT und JvH zur IK-Mehrheits-Fraktion gewechselt, so dass er nun
ein Interesse daran haben konnte, dass die für NG unerfreulichen Augenzeugenberichte über
ihr Verhalten gegenüber JvH nicht allzu laut hinausposaunt und allzu große Kreise ziehen
würden. Aus dieser Absicht heraus wird auch sein gewundener Bericht über die Spannungen
im IK und das minimalistische Protokoll verständlich. JvH hat den Verlauf der „Passwort-
Schloss-Affäre“ wenig später niedergeschrieben und MK hat ihn im Interview dargestellt.
JvH stellt dar: „Zur Grund-Information: Es befinden sich drei PCs im Rudolf Steiner Haus:
einer in der Bibliothek, einer im Sekretariat, einer in Martin Kollewijns Zimmer. Davon wird
für die tägliche Sekretariatsarbeit und Veranstaltungs-Koordination nur der Sekretariats-PC
genutzt.“ Denn nur auf JvHs Computer befindet sich auch die gesamte Mitgliederkartei. „Im
Sommer 2004 wurde ein neuer Sekretariats-Computer installiert, und zwar mit einem
üblichen Verfahren: Ich selbst bekam eine eigene Domain sowie einen eigenen,
passwortgeschützten Zugang, der Buchhalter, Herr Mausolf bekam einen eigenen Zugang,
und Martin Kollewijn bekam einen eigenen Zugang.
2. Das Passwort zu meinem Zugang habe ich in der Zeit, seit der PC installiert ist, einige Male
verändert – und zwar immer dann, wenn die Standard-Sicherungs-Einstellung der Software
mir eine Erneuerung nahe legte. Herr Kollewijn fragte diese Passworte ab, die ich ihm in der
Vergangenheit auch stets bereitwillig mitteilte, weil ich davon ausging, dass zwischen uns ein
ausreichendes Vertrauensverhältnis bestand. [...] Das letzte Mal, als ich einige Wochen vor
dem Passwort-Dissens das Passwort erneuerte“, „habe ich eine sog. Passworthilfe eingegeben,
die so einfach war, dass jeder Anthroposoph sie zur Passwortfindung verwenden konnte.“241
Dazu berichtet MK aus seiner Sicht: „Jedenfalls ist PT in den Urlaub gefahren und dann kam
die Situation an dem Mittwoch [29. Juni 2005], wo ich die Adressen für den Versand
ausdrucken wollte und feststellen musste, dass das Passwort vom Sekretariats-Computer
geändert worden war. Es war aber so, dass man mit einer Erinnerungsfrage das Passwort
wieder erschließen konnte.“242 Diese Frage lautete sinngemäß: wie heißt der „umgekehrte
Raphaelsohn“243? und das anthroposophische Zwischenergebnis dann: NOVALIS, und die
Antwort schließlich: SILAVON. „Doch nach dem allgemeinen Eingangspasswort gab es ein
spezielles Passwort für die Finanzverwaltung, in die MK nicht hereinkam. Daraufhin „habe
241 Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und Datum), S. 1–4,
hier S. 1.
242 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 40.
243 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 40.
73
ich gewissermaßen aus Jux oder um zu zeigen, dass ich das erste Passwort eben geknackt
habe, selbst ein anderes Passwort – irgendeine Zahlen-Buchstabenkombination –
eingegeben.“244 Doch das Programm für die Adresskartei des AZB konnte MK ohne
Anleitung nicht bedienen. Deshalb „habe ich mit Judith von Halle telefoniert und sie nach
dem Grund für die Passwortänderung gefragt: ‚Ja’, sagte sie, ‚ab und zu muss man das
Eingangspasswort manuell ändern und das zweite Passwort für die Finanzverwaltung ändert
sich automatisch.’“245
JvH berichtet weiter: „Am Donnerstag, 30. Juni, kam ich um 9:00 Uhr ins Büro, wollte den
PC einschalten, aber das Passwort zu meinem Sekretariats-Zugang wurde nicht mehr
angenommen. Martin Kollewijn, der überraschenderweise zu dieser Zeit bereits im Hause
war, fuhr 5 Min. später grußlos weg. Ich rief Herrn Lechner, den Hausmeister an, der mir
helfen sollte, an meine Daten zu gelangen, der mir jedoch nicht helfen konnte. Daraufhin
verständigte ich Herrn Ölmüller, der meinte, die einzige Chance [...] sei, das Administrations-
Passwort herauszufinden, um die Kennworte zu erneuern. Herr Ölmüller rief daher Herrn
Boese an, der den PC installiert hatte und kam anschließend ins Sekretariat. Ich verständigte
den Buchhalter, um ihn über das Problem zu informieren. Er teilte mir mit, dass M. Kollewijn
ihn in der Frühe angerufen hatte, um das Passwort für die Buchhaltung/Mitgliederkartei zu
erfragen. In einem Telefonat mit M. Kollewijn gab er mir gegenüber zu, dass er mein
Passwort in ein mir unbekanntes umgeändert habe. Dieses wollte er mir aber zunächst nicht
nennen, sondern gebrauchte es als Druckmittel dafür, dass ich ihm die Etiketten für ‚seinen’
Versand auszudrucken hätte (was ihm offenbar über den Zugang des Buchhalters nicht
gelungen war). [...].“246
MK stellt die Situation so dar: „Sie hatte auch ein Interesse daran, meine vorgenommene
Passwortänderung von mir zu erfahren. Ich habe ihr gleich die Kombination von Buchstaben
und Ziffern gesagt und sie dann gebeten, mir die Adressen auszudrucken.“ Doch JvH soll ihre
Mithilfe verweigert, ihm aber die Option vorgeschlagen haben, in Kenntnis des Passwortes,
aber ohne Kenntnis des Programms die Adressen selbst auszudrucken. „Als ich“, so MK
weiter, „aber am selben Donnerstagabend ins Sekretariat kam, musste ich zu meinem
Erstaunen feststellen, dass JvH das Passwort wieder geändert hatte und ich es diesmal nicht
erraten konnte.“247 MK, der am nächsten Tag nach Dornach reisen wollte, hatte zu diesem
244 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 40 f.
245 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 41.
246 Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloss. (ohne Ort und Datum), S. 1.
247 Vgl. Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 41.
74
Abend Versandhelfer einbestellt. „Ich habe Judith von Halle gleich angerufen, doch die war
an diesem und auch am nächsten Tag telefonisch nicht zu erreichen.“248
JvH stellt die Situation so dar: „Herr Wilhelmi und Herr Kollewijn hatten mit gerichtlichen
Schritten und Kündigung gedroht, wenn ich mich weigern sollte, die Versandhelfer dazu
anzuhalten, einzig die Informations-Zusammenstellung der sog. IK-Mehrheit einzutüten.
Trotz der ausdrücklichen und schriftlichen Bitte von Herrn Tradowsky und ohne Herrn Girke
berücksichtigt zu haben, sollte nun doch der Versand im Sinne der IK-Mehrheit erfolgen, und
zwar im Wissen darum, dass sowohl Herr Girke wie auch Herr Tradowsky einige Tage
verreist waren und ich allein das [Rudolf Steiner] Haus betreute.“249 JvH geriet dadurch „in
eine ungeheure Druck-Situation“250. Sie „hatte den Feriendienst übernommen und war daher
weitgehend isoliert. Die übrigen Mitarbeiter des Hauses waren verreist: Herr Tradowsky, der
Geschäftsführer, war unerreichbar in den USA, Frau Lechner war ebenfalls im Ausland. Nur
das langjährige Mitglied des Initiativkreises, Hermann Girke, konnte ich im Urlaub
telefonisch erreichen. Ich unterrichtete Herrn Girke von den Ereignissen. Herr Girke bat mich
daraufhin, die Etiketten nicht auszudrucken, die Herr Kollewijn für seinen Versand
beanspruchte. Er hielt nach wie vor den Versand beider Protokoll-Versionen für die
vernünftige Lösung. [...]“251 „Ich verwies darauf, dass weder Herr Tradowsky noch Herr
Girke sich zu der Version hatten äußern können (beide im Urlaub). Ich bat Herrn Kollewijn,
auf die nahe Rückkehr von Herrn Girke (3 Tage später) und Herrn Tradowsky (5 Tage später)
zu warten, um ein einvernehmliches Vorgehen zu erwirken. Ich meinte, dass könne wohl
kaum ein Problem darstellen, wenn Herr Kollewijn behaupte, das ‚neue’ Protokoll (das um
genau zwei (!) Worte ergänzt worden war) sei im Sinne von Herrn Tradowsky. Darauf ging er
jedoch nicht ein und verlangte erneut die sofortige Verschickung. Begründung: Es sei so
beschlossen, und es müsse verschickt werden, bevor er morgen (Freitag, 1. Juli) nach Dornach
führe.“252
MK führt weiter aus: „Am Freitag habe ich dann sogleich im Sekretariat der
Landesgesellschaft in Stuttgart angerufen und sie um Ausdruck und Zusendung der Berliner
Adressen gebeten. Außerdem habe ich für das Fotokopieren und den Versand 200 Euro in bar
248 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 41.
249 Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und Datum), S. 1.
250 Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und Datum), S. 3.
251 „Frau Heinen [Vertreterin des Alexander-von-Humboldt-Zweiges] erzählte, dass sie Herrn Kollewijn den
Beschluss ihres Zweiges mitgeteilt habe, der darin bestehe, beide Protokoll-Versionen zu versenden, nicht aber
eine einseitige Information. Der Zweig sei der Ansicht, dass nur dadurch den Mitgliedern die Möglichkeit einer
Urteilsbildung gegeben werden könne über die herrschenden Verhältnisse, denn die meisten Zweigmitglieder
waren bei der Versammlung zugegen gewesen und hätten die Seriosität der einzelnen Protokolle überprüfen
können.“ Siehe Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und
Datum), S. 3.
252 Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und Datum), S. 2.
75
aus der Kasse genommen.“253 „Aber der wirkliche Versand konnte erst nach meiner Rückkehr
Mitte Juli 2005 stattfinden, weil ich die Geheim- oder Kundennummer nicht kannte, die man
bei der Post für den Versand von Massendrucksachen angeben muss.“254 JvH schildert die
gleiche Situation so: „Da Herr Kollewijn nicht bereit war, die knappe Woche abzuwarten, [...]
wandte er sich schließlich an das Landessekretariat in Stuttgart und ließ dort die Adress-
Etiketten für den Versand erstellen. So wurde die Darstellung der sog. Initiativkreis-Mehrheit
gegen alle Beschlüsse doch noch an die Mitglieder des Arbeitszentrums Berlin versandt.
(Eine private Anmerkung hierzu: Ich habe in den 1 ½ Jahren meiner Arbeit im [Rudolf
Steiner] Haus Herrn Kollewijn nicht einmal eine annährend [annähernd] starke Initiative
entfalten sehen wie bei diesem Vorgehen. Ich meine daher, dass er unter strenger Anweisung
von Frau Göbel stand. Sonst bliebe sein plötzlicher Verhaltensumschwung – er hatte ja selbst
zur Erstellung desjenigen Protokolls beigetragen, das nun mit einem Male auf keinen Fall
mehr versendet werden sollte – gänzlich unerklärlich.)“255
„Am Montag, 4. Juli, wollte ich die Kassenabrechnung für den Monat Juni erstellen. Dabei
musste ich feststellen, dass Herr Kollewijn, insgesamt € 440.– aus der Kasse entnommen
hatte.“256 „Da ich die gesamte Zeit über zu erreichen war, bestand nicht die Notwendigkeit,
ohne mein Wissen Geld zu entnehmen. Eine Quittung über die Summe fand ich auch nicht
vor, jedoch einen winzigen, kaum leserlichen Haft-Zettel (M. Kollewijns Handschrift) mit der
Bemerkung: ‚240.– für Kopien – Vorschuß’. Es lag jedoch nur eine Rechnung für Kopien
über € 150.– vor. Die Bemerkung ‚Vorschuß’ galt wohl für die restlichen € 290.–, die zwar
entnommen, aber nicht auf dem Zettel erwähnt waren.“257
„Es war kein ehrliches Gespräch von Angesicht zu Angesicht mit ihm mehr möglich. Er
enthielt mir jede Begründung für seine Aktivitäten vor, somit etwaige Beschlüsse oder
Anweisungen seiner ‚Mitstreiter’ oder Vorgesetzten. Nach seinem Eingriff in den PC-Zugang
schien es keine Regeln mehr zu geben, nicht einmal mehr in Bezug auf die Finanzen. Ich bat
daher Herrn Tradowsky nach seiner Rückkehr, irgendetwas zu unternehmen, weil ich unter
diesen Umständen meine Arbeit im Sekretariat nicht vernünftig durchführen konnte.
253 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 41.
254 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 42.
255 Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und Datum), S. 4.
256 „Hierzu muss gesagt werden, dass es zu meinen Aufgaben gehört, die Kassen zu verwalten, für deren
Richtigkeit ich am Jahresende gegenüber den Buchprüfern hafte. Aus diesem Grund ist es im Sekretariat seit
Jahrzehnten üblich, dass nur derjenige, der auch für die Kasse verantwortlich ist (nach Frau Halberschmidt war
ich das), aus dieser Geld entnimmt. Dieses Geld gebe ich heraus gegen Quittungen und Belege, die ich im
Kassenordner verbuche. Sollte ich einmal nicht zu erreichen sein, und ein dringender Vorschuss wäre nötig, [so]
ist es Usus, einen Quittungszettel beizulegen, aus dem genau hervorgeht, wer für welchen Zweck und bis zu
welchem Zeitraum Geld entnimmt.“ Siehe Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und
Schloß. (ohne Ort und Datum), S. 4.
257 Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und Datum), S. 4.
76
[...] Herr Tradowsky war nach seiner Rückkehr entsprechend entsetzt über die
stattgefundenen Konflikte und entschied kurzerhand, das Schloß zu meinem Arbeitsbereich
vorübergehend auszutauschen, damit man wenigstens auf diese Weise Martin Kollewijn zu
einem klärenden Gespräch bringen könnte, zu dem er vorher offenbar nicht bereit war, weil er
keine Anrufe mehr entgegen nahm.“258 Dazu schildert MK: Als PT nach seiner Rückkehr von
dem erfolgten Versand erfuhr, „hat das bei ihm eine ziemliche Wut ausgelöst“259, woraufhin
dieser flugs das Sekretariatstürschloss durch den Hausmeister Niko Lechner auswechseln ließ,
sodass MK nach seiner Rückkehr aus Dornach am 26. Juli 2005 vor verschlossener
Sekretariatstür stand.260
6. 5. Das Dornacher Schlichtungsgespräch
„Zufälligerweise war es ausgerechnet der nächste Tag [, der 27. Juli 2005 ], an dem wir uns
[MK und PT] auf Einladung des Dornacher Vorstandes in Dornach trafen.“261 „Das Gespräch
war nach gemeinsamen Beratungen der beiden Vorstände von AGiD und AAG und auf
Einladung des Vorstandes der AAG zustande gekommen. Edda Lechner war ursprünglich
nicht miteingeladen, stand aber vor der Tür und Peter Tradowsky weigerte sich, an dem
Gespräch teilzunehmen, wenn Edda Lechner (als Ersatz für den von ihm präferierten
Hermann Girke) nicht dabei sein dürfe. Um das Gespräch stattfinden zu lassen, akzeptierten
wir diese Forderung von Peter Tradowsky.“262 Das Gespräch ging im ersten Teil um die
Erkenntnis der Stigmatisation und im zweiten Teil um den Umgang mit der Berliner Krise.
Dabei war JvH, obwohl zentral betroffen, aber nicht Mitglied des IK, nicht geladen.
NG schreibt später: „Einleitend wies Bodo von Plato auf die Situation im AZ Berlin hin, auf
den Zusammenhang mit Judith von Halle und schlug vor, dass jeder in der Runde noch einmal
seine Haltung zum Phänomen der Stigmatisation vortragen möge. Dies geschah mit den
bekannten Argumenten, also volle Einbindung des Phänomens in die Anthroposophische
Gesellschaft bei P.T. [...], abwartende Haltung und Frage nach genauer Beurteilung bei MOW
und NG. ((Martin Kollewijn hat übrigens in den Lebenserinnerungen von Frau Boos-
Hamburger einen Hinweis auf den stigmatisierten Richard Pollack gefunden, der damals beim
Ausmalen des ersten Goetheanum beteiligt war. Ihm hat Rudolf Steiner, da er der Meinung
258 Judith von Halle: Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und Datum), S. 4.
259 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 42.
260 Vgl. Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 42.
261 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 42.
262 Nana Göbel: AKTENNOTIZ und VORSCHLAG zu einem Gespräch am 27. 07. 2005 (19:45) am
Goetheanum in Dornach zum Arbeitszentrum Berlin mit Peter Tradowsky, Edda Lechner, Martin Kollewijn,
Paul Mackay, Bodo von Plato, Mechtild Oltmann-Wendenburg und Nana Göbel. Berlin 28. Juli 2005.
77
war, dies sei nicht sein Weg, Anweisungen gegeben, wie er das Phänomen wieder los werden
könne.))“263
Im Gespräch wiesen MK und NG ausführlich auf die sozialen Wirkungen dieses Phänomens
und auf die entstandenen Turbulenzen im AZ Berlin hin. Am Beispiel eines
Apokalypsevortrages von Judith von Halle vor Eintritt der Stigmatisation erläuterte MK seine
Einschätzung der mangelnden Verständnistiefe und inneren Verwandlung in der Seele von
JvH und bemerkte, dass ‚wir’ sie vor den Gefährdungen mangelhaft geschützt haben. Das
kann PT überhaupt nicht sehen.“264 MK ist der Ansicht, „es war ein langes, substanzielles
Erkenntnisgespräch über die Interpretation dessen, was mit Judith von Halle geschehen ist. Es
wurde diskutiert, wie geht man mit so etwas um, wie bildet man sich da sein Urteil usw.
Tradowsky hat das dann später so referiert: ihm würde die Wissenschaftlichkeit
abgesprochen; na ja, so kann man das auch interpretieren. An mich wurde die Frage gerichtet,
warum ich da meine Ansicht geändert hätte. Und das habe ich dann auch genau beschrieben,
inwiefern das zutrifft und inwiefern nicht.“265
EL erinnert sich: „MK wurde gefragt, warum er jetzt auch wie Frau Oltmann und Nana Göbel
denke: man sähe es ja an Judith selbst, dass sie die Stigmatisation gar nicht verarbeiten und
verkraften kann, sondern moralisch so instabil wird, dass sie nun schon Passwörter ändert.
Also was da vorgebracht wurde, war schon krass, muss ich ehrlich sagen.“266 EL schreibt den
Gesprächsleitern im Rückblick auf dieses Gespräch ihre Einschätzung über die moralische
Integrität von JvH: „Ich kann Ihnen nur versichern, daß sie ein absolut integrer, moralisch
einwandfreier Mensch ist. Ich kenne sie seit 7 bis 8 Jahren, näher seit sie bei uns zu arbeiten
anfing (vor gut 1 ½ Jahren). Selten, daß ich einen Menschen so lieb gewonnen habe, nicht
zuletzt verbindet uns die Treue zu Rudolf Steiner und zur Anthroposophie. Nach wie vor
denke ich, daß Sie beide erst ein Bild von ihr [JvH] bekommen können (das ist ja
selbstverständlich und immer so), wenn Sie ihr begegnen!“267 EL zum weiteren
Gesprächsverlauf: „MK ist langsam auch zu der Meinung gekommen – das hat er in Dornach
deutlich gesagt –, die Frau Oltmann schon zu Anfang vertreten hatte: dass es [die
Stigmatisation] nicht in die anthroposophische Öffentlichkeit gehört. Die Folge davon ist jetzt
263 Nana Göbel: AKTENNOTIZ und VORSCHLAG zu einem Gespräch am 27. 07. 2005 (19:45) am
Goetheanum in Dornach zum Arbeitszentrum Berlin Mit Peter Tradowsky, Edda Lechner, Martin Kollewijn,
Paul Mackay, Bodo von Plato, Mechtild Oltmann-Wendenburg und Nana Göbel. Berlin 28. Juli 2005.
264 Nana Göbel: AKTENNOTIZ und VORSCHLAG zu einem Gespräch am 27. 07. 2005 (19:45) am
Goetheanum in Dornach zum Arbeitszentrum Berlin Mit Peter Tradowsky, Edda Lechner, Martin Kollewijn,
Paul Mackay, Bodo von Plato, Mechtild Oltmann-Wendenburg und Nana Göbel. Berlin 28. Juli 2005.
265 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 42.
266 Edda Lechner: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 28. Oktober 2006, S. 1–37, hier S. 6.
267 Edda Lechner: Brief an Paul Mackay und Bodo von Plato. Kitzbühel 30. Juli 2005, S. 1–4, hier S. 3 f.
78
allerdings, dass es in der gesamten Öffentlichkeit bekannt geworden ist, weil das Buch [JvH:
„Und wäre Er nicht auferstanden...“] ja überall ausliegt.“268
Im zweiten Teil des Gesprächs ging es dann um Personalfragen. NG berichtet dazu: „Bei dem
Gespräch in Dornach hatten wir nach etwa vier oder fünf Stunden eine Lösungsmöglichkeit
für den Konflikt gefunden, die darin bestand, dass Tradowsky und ich aus dem Initiativkreis
als konfliktuös empfundene Menschen rausgehen, um den anderen damit zu ermöglichen,
konstruktiv weiterzuarbeiten. Während ich zu diesem Vorschlag gesagt habe: ‚natürlich,
sofort’, hat Herr Tradowsky gesagt: ‚nein, das mache ich nicht’.“269 Bodo v. Plato schildert
den Verlauf ähnlich: „Der Vorschlag bestand darin, dass sich beide [NG und PT] aus den
funktionellen Verantwortungen im Arbeitszentrum Berlin zurückziehen. Nana Göbel sagte, ja
gern, und Peter Tradowsky sagte, nein, das geht nicht, weil die Mehrheit der Mitglieder das
entscheiden müsse. Und das war auch im Grunde wieder Thema unseres Gesprächs am 5.
Oktober 2005 im Flughafen Schönefeld mit Hermann Girke und Peter Tradowsky einerseits
und Paul Mackay, Heinz Zimmermann und mir andererseits, wo wir noch einmal dringlich
gebeten haben zu überlegen, ob wir die Mitglieder davor schützen können, sich in
Kampfabstimmungen für das eine oder andere entscheiden zu müssen. Wir sind einfach keine
politisch-demokratische Gesellschaft. Natürlich respektieren und schätzen wir das
demokratische Argument, aber: In geistigen Dingen funktioniert das nicht demokratisch und
die Politisierung geistiger Angelegenheiten sollte vermieden werden – dafür hofften wir bei
Herrn Girke und Herrn Tradowsky Verständnis zu finden.“270
„Das Gespräch ging dann um weitere Querelen in Berlin. Dabei habe ich“, so MK, „ganz
deutlich meine Meinung gesagt: wenn jemand ein Schloss austauscht, dann kann er nicht
mehr im Rudolf Steiner Haus in Berlin die Verantwortung tragen. Dann hat Herr Mackay
ganz vorsichtig gefragt: ja, wer hat denn eigentlich diese Entscheidung getroffen und warum.
Tradowsky hat erst ein bisschen rumgedrückt und hat dann gestanden: er hätte das nicht mit
jemand anderem [vom IK] besprochen, sondern ganz alleine beschlossen, weil es ganz unfair
gewesen sei, dass ich ja diesen Versand gemacht habe, obwohl das die anderen auch nicht
wollten.“271 Bodo v. Plato berichtet weniger von einer vorsichtigen, als vielmehr rigiden
Gesprächsführung seitens Paul Mackays. Er erlebte die Situation so: „Und die erschütterndste
Verwandlung, die ich da kennen gelernt habe, war die bei Martin Kollewijn. Denn Martin
Kollewijn war mit Frau v. Halle offenbar sehr eng verbunden. Das [Phänomen der
268 Edda Lechner: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 28. Oktober 2006, S. 6.
269 Nana Göbel, Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 8.
270 Bodo v. Plato: Autorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 1. Februar 2007, S. 1–7, hier
S. 1 f. Im Folgenden nur noch Interview bezeichnet.
271 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 43.
79
Stigmatisation] hat ihn sehr stark beeindruckt, er hat mit mir im Jahr 2004 darüber
gesprochen. Bei diesem Gespräch im Juli 2005 sah er ganz anders aus: Da habe ich einen tief
getroffenen, seelisch verletzten Menschen vorgefunden, und eine wirklich hässliche Art, wie
offensichtlich mit ihm umgegangen wurde. Er wurde auch in diesem Gespräch an Grenzen
geführt, durch eine gewisse Nonchalance im Umgang mit der Wahrheit bei Herrn Tradowsky
und allein eine sehr strenge Gesprächsführung von Paul Mackay brachte Herrn Tradowsky
schließlich zu dem Eingeständnis, dass er selbst diese Schlösser ausgetauscht hat. Da habe ich
in Abgründe geschaut.“272 Bodo v. Plato erläutert seine Wahrnehmung folgendermaßen: „Ich
habe Nana Göbel nicht lügen hören. Peter Tradowsky habe ich lügen hören.“ „Zum Beispiel
zu sagen, er habe nichts damit [gemeint: dem Austausch des Sekretariatsschlosses] zu tun.
Nachher stellt sich raus, er selbst hat die Schlösser ausgetauscht. Und wir haben mit Peter
Tradowsky auf seine Bitte vor diesem Gespräch ein Gespräch mit ihm alleine geführt, Paul
Mackay und ich. Er sagte, dass dieses Vorgespräch stattfinden solle, da wir sicherlich
einseitig informiert seien, damit er uns über alle Einzelheiten aufklären könne, die in der
Sache von Bedeutung seien. Von dem Austausch der Schlösser war keine Rede, obwohl
dieser Vorgang doch zu diesem Zeitpunkt einen besonders empfindlichen Punkt darstellte.
Das kriegten wir erst auf wirklich sehr unangenehmes Nachfragen heraus.“273
MK schildert, ohne Verständnis für PTs ritterliches Verhalten gegenüber JvH zu zeigen,
weiter: „Also die Sache mit dem Schloss machte Tradowsky wieder rückgängig. Allerdings
schrieb Judith von Halle dann einen Brief an den Dornacher Vorstand. Ich habe diesen Brief
nicht vom Dornacher Vorstand bekommen, sondern nach ihrer Kündigung im Computer
vorgefunden. Darin schreibt sie, sie möchte gerne erklären, warum dieses Schloss
ausgetauscht worden ist: das war nämlich so, dass der Kollewijn Geld aus der Kasse
genommen hat und deswegen musste man, um das zu sichern, dieses Schloss austauschen.
Merkwürdig ist nur, dass Tradowsky, der allein die Entscheidung getroffen hat, davon nichts
wusste.“274 Also die Kassensicherung „war der eigentliche Legitimationsgrund; aber das
wusste in Dornach niemand.“275 „Als wir am nächsten Tag wieder zurück in Berlin waren, hat
er [PT] mir gleich ein Fax mit der Nachricht geschickt: „das Schloss ist ausgetauscht, du
kannst wieder rein’.“276 „Aber während das Schloss wieder eingesetzt worden war, wurde mir
272 Bodo v. Plato: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 1. Februar 2007, S. 3.
273 Bodo v. Plato: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 1. Februar 2007, S. 5.
274 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 44.
275 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 44.
276 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 43.
80
das Passwort immer noch nicht bekannt gegeben, sodass ich immer noch nicht an den
Computer dran konnte.“277
6. 6. Vorbereitung der Kündigung durch den Vorstand
PT wollte offensichtlich den von MK und MW aufgebauten Druck für die Passwort-Affäre
von JvHs Schultern und die Schuld für den Schlossaustausch ganz auf seine Schultern
nehmen, weshalb er über diese Vorgänge kaum etwas aussagte. EL schreibt drei Tage nach
dem Gespräch in Dornach einen Brief an Paul Mackay und Bodo v. Plato, in dem sie PTs
Reaktion erläutert: „Der Bericht von M. Kollewijn vom Austausch des Sekretariatsschlüssels
wurde sicher – auch von mir – als Überreaktion erlebt und verursachte einen
Stimmungswechsel im Gespräch. Jeder empfand diesen Vorgang als Eskalation, die – wie
auch von P. Tradowsky zugegeben wurde – eine vielleicht unnötige Kurzschlusshandlung
war. Ich denke aber, daß man sie auch verstehen kann, wenn man die – m. E. völlig unnötigen
– Handlungen der ‚Gegenseite’ betrachtet: das Auftreten von M. Kollewijn und M. Wilhelmi
am Versandtag, verbunden mit Berufung auf Weisungsbefugnis und Androhung von
Strafmaßnahmen (Entlassung?), das Gegeneinanderausspielen der Zweigleiter und der
Mitarbeiter, um die Zustimmung am Versand des ‚Kurzprotokolls’ zu erhalten, das Ändern
des Paßworts im Computer von J. v. Halle, und weiteres. Und das alles nur, um ein
sachliches, bereits gut gekürztes und informatives Protokoll, an dem M. Kollewijn auch
beteiligt war, zu unterdrücken bzw. nicht den Kompromiß zu machen beide abzuschicken!
Worin liegt da der Sinn, außer Macht zu demonstrieren oder einen Konflikt auszulösen. So
wurde es jedenfalls von den Betroffenen empfunden. [...] P.S. Eine Frage, die ich eigentlich
im Vormittagsgespräch stellen wollte. Halten Sie es für gut, daß Frau Göbel sowohl im AZB
als auch in der LG [Landesgesellschaft, AGiD] eine Position hat? Ich habe beobachtet, daß
einiger Unmut bei Mitgliedern aus dieser ‚Doppelrolle’ und natürlich aus dem starken
Ausspielen der Macht in Form von Einflußnahme herkommt.“278
So schrieb NG einen Tag nach dem Dornach Gespräch eine „AKTENNOTIZ
und [einen] VORSCHLAG“ an ihre Vorstandskollegen, welche deutlich macht, dass die
Generalsekretärin eine treibende Kraft hinter der Kündigung von PT, JvH und EL und zu
deren Durchführung aus Kenntnis der Berliner Angelegenheiten auch auf der Höhe des
arbeitsrechtlichen Problembewusstseins war: „In Folge dieser Ereignisse [gemeint: der
277 Martin Kollewijn: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 21. November 2006, S. 44.
278 Edda Lechner: Brief an Paul Mackay und Bodo von Plato. Kitzbühl 30. Juli 2005, S. 1–4.
81
Passwort-Schlosss-Affäre] sehe ich nun größeren Handlungsbedarf als am 12./13. 07. 05 in
Dornach besprochen. Ich schlage gemeinsam mit Mechtild Oltmann vor, dass beide (PT und
JvH) auf Initiative ihres Arbeitgebers (also des Vorstandes der AGiD) entlassen werden. Bei
JvH ist das kein Problem, da sie einen Honorarvertrag mit einer einmonatigen
Kündigungsfrist hat, bei PT könnte es sein, dass erst einmal nur eine Abmahnung erfolgen
kann, da er zwar von sich aus seinen Anstellungsvertrag zum 30. April 05 niedergelegt hat
und sich ab Mai 2005 ein Honorar auszahlt, der Anstellungsvertrag aber offiziell nicht
beendet worden ist und ein Arbeitsrichter dies als einen zwischenzeitlich ruhenden
Anstellungsvertrag interpretieren könnte.“279 „Da ich erst an meinem ersten Ferientag am
kommenden Montag einen Anwalt konsultieren kann (die beiden Arbeitsrechtler aus dem
Büro Barkhoff sind diese Woche noch in den Ferien), kann ich die rechtliche Situation im
Augenblick nur erahnen. Darüber hinaus möchte ich diese Aktion nicht selbst durchführen, da
ich immer noch im Initiativkreis des AZ Berlin bin und es daher viel besser wäre, wenn ein
anderer die Briefe schreiben würde und wenn auch die zweite Unterschrift von jemandem
anderen [nämlich keinem Berliner wie MO oder NG] erfolgen würde.
Ich müsste nun sehr schnell wissen, wie die einzelnen Vorstandsmitglieder sich verhalten
wollen. Ich sehe keinerlei Möglichkeit, diese Sache bis zum September aufzuschieben, da
Abmahnungen in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit den Ereignissen
geschrieben werden müssen. Alternativ zur Abmahnung/Kündigung von PT könnten wir als
Vorstand der Landesgesellschaft auch vereinsrechtlich eingreifen, indem wir ihm das
Schatzmeisteramt und seine Mitarbeit im Initiativkreis entziehen, was dann die Kündigung
nach sich zöge. Ob das mit der [den] Autonomiebemerkungen für die AZ’en in der Satzung
der AGiD vereinbar ist, müsste ebenfalls juristisch geprüft werden. Ich glaube, dass es für das
Schatzmeisteramt ohne Probleme geht, indem wir ihm seine Vollmacht entziehen, dass eine
Einwirkung in den Initiativkreis aber eher unmöglich ist.“280 Dass NG die Tradowsky loyale
Mitarbeiterschaft am liebsten komplett ausgewechselt wissen wollte, weist sie im Interview
mit der UFK als „eine Unterstellung“ zurück. Sie räumt allerdings ein: „Über eine
279 Auf der Suche nach einem Kündigungsgrund stolpert NG noch auf ein weiteres, arbeitsrechtliches Problem:
„(Übrigens liegt da noch ein Problem für die Landesgesellschaft: Wenn PT sich für die selbe Arbeit nun ein
Honorar zahlt, werden Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr bezahlt und folglich hinterzogen, was bei
Entdeckung zu erheblichen Nachforderungen führen würde, so dass wir uns sowieso darum kümmern müssen).“
Siehe Nana Göbel: AKTENNOTIZ und VORSCHLAG zu einem Gespräch am 27. 07. 2005 (19:45) am
Goetheanum in Dornach zum Arbeitszentrum Berlin. Mit Peter Tradowsky, Edda Lechner, Martin Kollewijn,
Paul Mackay, Bodo von Plato, Mechtild Oltmann-Wendenburg und Nana Göbel. Berlin 28. Juli 2005.
280 Nana Göbel: AKTENNOTIZ und VORSCHLAG zu einem Gespräch am 27. 07. 2005 (19:45) am
Goetheanum in Dornach zum Arbeitszentrum Berlin Mit Peter Tradowsky, Edda Lechner, Martin Kollewijn,
Paul Mackay, Bodo von Plato, Mechtild Oltmann-Wendenburg und Nana Göbel. Berlin 28. Juli 2005.
82
Verjüngung des Arbeitszentrums hätte ich mich bestimmt gefreut. Aber ich habe dazu keine
strategischen Aktionen unternommen.“281
Insofern die UFK Bodo v. Platos Diktum aufgreift, kann sie feststellen:
Justus Wittich beantwortete NGs „Aktennotiz“ mit einem strategischen Brief
an NG und MO:
„Liebe Nana, liebe Frau Oltmann,
Zunächst vielen Dank für die übernommenen Mühen des Dornacher Gesprächs. Wenn nicht in der Aktennotiz
etwas fehlt, [dann] ist es offenbar nicht zu einer Suspendierung vom Amt des Lektors gekommen? Das finde ich
sehr bedauerlich.
Ich bin unbedingt für eine Abmahnung an Peter Tradowsky bezüglich der Bürovorgänge (Vorstand,
Geheimwortänderung, Schlössertausch). Dort müssen ja zeitnah ganz konkrete Vorgänge benannt und die
Konsequenzen für den Wiederholungsfall angegeben werden. Zudem sollte er die Kosten des
Schlösseraustausches selber tragen.
Wenn Frau von Halle ausschließlich weisungsgebunden gehandelt hat, ist eine Abmahnung wohl nicht sinnvoll.
Auch im Blick auf eine von den Berlinern bevorzugte Radikallösung hielte ich folgenden Weg für notwendig:
1. Schriftliche Abmahnung durch Vorstand [der] AGiD und sich über die Rechtslage schlau machen.
2. Beschluß über Vorgehen in der September-Klausur, da erhebliche Auswirkungen für die weitere
Entwicklung des Arbeitszentrums zu befürchten sind.
3. Gespräch von 2 – 3 Vorstandsmitgliedern [der] AGiD (ohne Frau Oltmann und Nana [Göbel]) mit
Initiativkreis und gleich anschließend mit Peter Tradowsky mit dem Ziel[,] seine verantwortliche
Tätigkeit im Rudolf-Steiner-Haus (Schatzmeister, Haus-Direktor) baldmöglichst zu beenden, eine
finanzielle Regelung (??[Abfindung?]) zu finden und auch sonstige Verantwortlichkeiten (Hochschule
usw.) anzusprechen.
4. Je nach Ausgang des Gesprächs und der Vereinbarung mit Peter Tradowsky Gespräch mit den übrigen
Mitarbeitern des [Rudolf-]Steiner-Hauses [Berlin] und Versuch, eine neue Mannschaft zusammen zu
stellen.
Ich bin jetzt eine Woche in kurzer Zwischen-Erholung, bevor ich am 7. 8. [2005] wieder in Frankfurt den
nächsten Kurs habe.
Mit herzlichem Gruß, Justus Wittich“282
7. Die Kündungen von PT und JvH bzw. die Beurlaubung von EL
7. 1. Die Vorbereitung der Kündigung durch die IK-Mehrheit
Nachdem PT im Dornacher Gespräch von Paul Mackay und Bodo v. Plato nahe gelegt wurde,
freiwillig zurückzutreten, da er ohnehin nicht mehr die Mehrheit der IK- und der Berliner
281 Nana Göbel: Unautorisiertes Interview der Urteils-Findungs-Kommission, Berlin 28. Januar 2007, S. 7.
282 Justus Wittich: (Brief an Nana Göbel und Mechtild Oltmann). (Ohne Ort und Datum, zeitlich eingrenzbar
zwischen dem 28. Juli und dem 7. August 2005.)
83
Mitglieder hinter sich habe, versandten Hermann Girke und PT am 1. August 2005 einen
Brief mit einer Postkarte an die Mitglieder mit der Aufforderung, PT, JvH und EL durch die
Rücksendung der Postkarte in ihrer Tätigkeit und damit ihrem Amt zu bestätigen. Diese
Aktion führten sie ohne Rücksprache mit dem IK und abermals unter dem Briefkopf und auf
Kosten des AZB durch.283
Am 11. August 2005 fand die nächste Mitgliederversammlung statt, um den IK endlich zu
entlasten und im Amt zu bestätigen, fernerhin um die immer deutlicher zutage tretenden
Differenzen im IK offen auszusprechen. Jürgen Schaeffer leitete die Versammlung, Sebastian
Boegner wurde zusätzlich zum „Wächter“ bestimmt und Barbara Illemann führte das
Protokoll.284 Als auch diese Versammlung zwar zu mancherlei Aussprache, aber wieder zu
keinerlei Einigung im und über den IK führte, wurde eine nächste Versammlung für den 11.
September 2005 anberaumt. DH berichtete am nächsten Morgen den Vorstandsmitgliedern
der AGiD in einer Mail von der Mitgliederversammlung und seinen Sorgen über den Fortgang
des AZB:
„HG [Hermann Girke] und PT wollen kein echtes AZ Berlin, sondern eine RSH Loge, die mit
den Geschehnissen ‚um Judith von Halle’ zu einem erneuerten Mysterienzentrum werden soll
mit PT als hohem Priester. Das grässlichste an der ganzen Sache ist, dass die Mitglieder
scheinbar mehrheitlich dahinter stehen. [...]
Mit JvH ist dieses Phänomen [der von PT unter den Mitgliedern verursachten Hysterie] nun
sichtbar geworden. Wehe, man würde das Wort aber nutzen außer hinter vorgehaltener Hand
auf dem Parkplatz! Das wäre Mysterienverrat. Dessen hat sich Nana Göbel auf unserer
Sitzung im Oktober schuldig gemacht. Jede Sitzung kommt darauf zurück, auch diese MV.
[...] Was tun? [...]
Bis vor der MV war ich davon überzeugt, dass es an der Zeit ist, heute etwas zu tun. Wir
waren auf die Idee gekommen, ihm und JvH und EL die Vollmachten zu entziehen. Sie also
noch nicht zu entlassen, um ihm nicht Wind in den [die] Segeln zu pusten.
Nach der MV bin ich ratlos. Denn auch das würde PT zu Wind in den Segeln umwandeln.
Juristisch ist es eindeutig, dass die AGiD mit eigenem Personal viel tun kann. Nur würde
jegliches Durchgreifen des Vorstandes der AGiD hier in Berlin als massiver Eingriff in die
Autonomie des AZ betrachtet werden. Hunderte von Mitgliedern haben nach Aussagen von
PT die Postkarte zurück geschickt (z. B. auch Matthias Girke [...]
283 Hermann Girke, Peter Tradowsky: (Aufforderung zur Briefwahl an die) Liebe[n] Mitglieder des
Arbeitszentrums Berlin! (Briefkopf des AZB) Berlin 01. August 2005.
284 Vgl. ausführlich Barbara Illemann: Protokoll der Mitgliederversammlung am 11. 08. 2005 im Arbeitszentrum
Berlin. Berlin August.2005.
84
Eines ist mir klar geworden: der IK in Berlin ist mit der Situation überfordert und kann kaum
noch etwas ausrichten. MK steht noch seinen Mann, aber das kann er nicht mehr lange
durchhalten, ist auch nicht bereit dazu. PT hat die Weichen gestellt, dass das neue autonome
AZ sich rein auf ihn und JvH ausrichtet, [der] mit HG als nibelungentreuem Adjutant und
[das] aus dem Betrieb im Steiner Haus besteht. Anderes interessiert ihn nicht.
Matthias Girke hat eine Mediation vorgeschlagen. Ich halte davon nicht viel. Das frisst viel
Zeit, Energie und Geld und am Ende wird der Mediator an PTs Bauchmacht auch scheitern. I
am really at a loss. Nur noch [der am 20. April 2005 überraschend verstorbene] Bodo
Hamprecht kann uns jetzt helfen.“285
Dass hinter den Kulissen zwischen Mitgliedern der IK-Mehrheit, des deutschen und
Dornacher Vorstands schon länger ein Gespräch über die Entlassung von PT geführt und
dessen Kündigung geplant wurde, mögen folgende Aussagen verdeutlichen:
• DHs Hilferuf an den Vorstand vom 12. August 2005.
• MWs Kündigungsandrohung gegenüber JvH bei ihrer Versandverweigerung des
Protokolls.
• JWs Aussage über die „von den Berlinern bevorzugte Radikallösung“ und den an NG
und MO gerichteten „Dank für die übernommenen Mühen des Dornacher Gesprächs“
und sein Bedauern über die gegenüber PT versäumte „Suspendierung vom Amt des
Lektors“.
• Paul Mackays und Bodo v. Platos scheinbarer Schlichtungsvorschlag des paritätischen
Rücktritts von NG und PT vom 27. Juli 2005 des Dornacher Gesprächs.
• NGs anschließende „Aktennotiz und Vorschlag“ über die Durchführung der
Kündigung von PT, JvH und EL.
7. 2. Die Durchführung der Kündigungen bzw. Beurlaubung
Am 12. August schickte der Vorstand an PT, JvH und EL jeweils ein Schreiben über die
„Kündigung“ bzw. „Beurlaubung mit sofortiger Wirkung“ mit nahezu gleichlautender
Begründung, das von den berlinfernen JW und WUK unterzeichnet wurde286:
285 Detlef Hardorp: Email an: MW, Froeydis Lutnaes Mast, MO, NG, MK. Betreff: Einschätzung der Lage in
Berlin nach der MV (vertraulich!), 12. August 2005, 7:26.
286 WUK schickt am 12. August 2005 zur Kenntnisnahme die Kündigungsschreiben als Anhang mit folgender
Begleitmail an seine Kollegen:
„Liebe Freunde,
bitte das Folgende streng vertraulich behandeln.
In der Anlage erhaltet Ihr/Sie drei Schreiben (an P. Tradowsky, E. Lechner u. J. v. Halle), die heute abgesendet
wurden. Die Adressaten werden die Briefe vermutlich am Montag, 15. 8. 05 erhalten. Nana Göbel, Justus
85
Kündigung
„Sehr geehrter Herr Tradowsky,
in den letzten Wochen und Monaten sind besorgniserregende Vorgänge in Ihrem Verantwortungsbereich im
Arbeitszentrum Berlin vorgekommen. Unter anderem sind falsche bzw. nicht genehmigte Versände getätigt, das
Schloß zum Büro ist ausgetauscht und die Computer-Passwörter sind ohne Kenntnis der Betroffenen geändert
worden. Aufgrund dieser Vorfälle, an denen Sie wissentlich beteiligt waren, sehen wir uns gezwungen, die Ihnen
erteilten Vollmachten der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e. V. mit sofortiger Wirkung zu
widerrufen. Wir werden die betreffenden Banken bzw. Institutionen von dem Erlöschen der Vollmachten
unverzüglich informieren.
Außerdem kündigen wir mit sofortiger Wirkung den uns schriftlich nicht bekannten Honorarvertrag, aufgrund
dessen Sie Ihre Schatzmeistertätigkeit im Arbeitszentrum Berlin ausgeübt haben. In diesem Zusammenhang
sprechen wir mit sofortiger Wirkung auch eine vorläufige Beurlaubung bzw. Dienstbefreiung von dieser
Tätigkeit aus und fordern Sie hiermit auf, die Dienstgeschäfte im Zusammenhang mit dem Schatzmeisteramt am
Mittwoch, dem 17. August 2005, an den Geschäftsführer der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.
V., Herrn Dr. Richard Everett, zu übergeben. Bitte übergeben Sie auch die Büroschlüssel.
Leider sehen wir uns zu den genannten Schritten gezwungen, weil eine Tätigkeit als Schatzmeister eines
Arbeitszentrums nur in Loyalität zum Arbeitgeber, d. h. der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.
V. denkbar ist.
Mit freundlichen Grüßen
Für den Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland
Justus Wittich Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker“287
Wittich und ich waren nach verschiedenen Konsultationen der Überzeugung, dass jetzt endgültig der Zeitpunkt
für einen solchen Schritt gekommen ist. Der Schritt wird begleitet von einer Stellungnahme des Vorstands der
Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland in der Septembernummer der "Mitteilungen". Außerdem
wurde mit Martin Kollewijn und Herrn Everett vereinbart, dass am kommenden Mittwoch die Büro- und
Tätigkeitsübergabe an den kommissarischen Geschäftsführer auf jeden Fall stattfindet, m. a. W. Everett und
Kollewijn werden sich treffen, auch wenn die Angeschriebenen die Übergabe ignorieren oder verweigern. In
einem solchen Fall würden wir dann anwaltlich einsteigen. Das weitere Vorgehen wurde so besprochen, dass wir
nach der Klausur des deutschen Vorstands (Anfang September) eine Mitgliederversammlung in Berlin
anstreben würden, in der vor allen Dingen auch aus dem alten Initiativkreis Mechtild Oltmann und Nana Göbel
anwesend sein sollten, aber auch andere Mitglieder des deutschen Vorstands. Situation und Vorgehensweise sind
mit dem Dornacher Vorstand bei einer gemeinsamen Sitzung Anfang Juli prinzipiell abgesprochen worden.
Mit herzlichen Grüßen Wolf-Ulrich Klünker“
Siehe Wolf-Ulrich Klünker: Betreff: „Nachricht Wolf-Ulrich Klünker“ an Frau Dietz; Dietlinde Thurm; Hartwig
Schiller; Justus Wittich; Mechtild Oltmann; Michael Schmock; Nana Goebel; Bodo von Plato; MW, Froeydis
Llutnaes-Mast, MK, DH, Richard Everett. 12. August 2005, 21:02.
287 Wolf-Ulrich Klünker/ Justus Wittich: Einschreiben mit Rückschein (über Kündung/ Beurlaubung mit
sofortiger Wirkung) an Peter Tradowsky. Stuttgart 12. August 2005.
Kündung bzw. Beurlaubung mit sofortiger Wirkung
„Sehr geehrte Frau von Halle,
in den letzten Wochen und Monaten sind gravierende Missstände in Ihrem Verantwortungsbereich im Büro des
Arbeitszentrums Berlin vorgekommen. Unter anderem sind falsche bzw. nicht genehmigte Versände getätigt, das
Schloß zum Büro ist getauscht und die Computer-Passwörter sind ohne Kenntnis der Betroffenen geändert
worden. Aufgrund dieser Vorfälle, an denen Sie wissentlich beteiligt waren, sehen wir uns leider gezwungen, mit
sofortiger Wirkung Ihren Honorarvertrag mit der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V. zu
kündigen sowie die Ihnen erteilten Vollmachten in der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V. mit
sofortiger Wirkung zu widerrufen. Wir werden die betreffenden Banken bzw. Institutionen von dem Erlöschen
der Vollmachten unverzüglich informieren. Außerdem beurlauben wir Sie vorläufig, ebenfalls mit sofortiger
Wirkung, von Ihrer Tätigkeit im Sekretariat des Rudolf Steiner Hauses Berlin.
86
PT meint dazu: „Ich habe selbstverständlich so eine Sache wie eine Kündigung für völlig
unmöglich gehalten. Das muss ich ehrlich sagen. Ich hätte mir niemals vorgestellt, dass mein
ehemaliger Schüler, Justus Wittich, mich am Montag anruft und sagt: ‚Herr Tradowsky, Sie
können sich dann aus dem Fax ihren Rausschmiss holen.’"288 „Am 11. August findet dann in
Berlin noch eine Mitgliederversammlung statt und am 12. August schickt der deutsche
Landesvorstand bereits die Kündigung ab. Man sagt immer: so schnell schießen die Preußen
nicht, aber die schießen ja viel schneller als die schnellsten Preußen. In der Politik heißt das:
die haben das schon lange in der Schublade gehabt. Jetzt holen sie die Kündigung aus der
Schublade heraus und suchen einen Kündigungsvorwand. Die Wandlung dieser Politik war ja
schon vorher, beim Versand der Protokolle, ans Licht gekommen, als es hieß: ich sei ein
weisungsgebundener Geschäftsführer – das war mir neu. Wenn das so wäre, dann muss ich zu
meinem Arbeitgeber einmal scherzhaft sagen: komisch, die letzten 30 Jahre habe ich ja gar
keine Weisungen empfangen. [Wie sträflich hat dieser Arbeitgeber seine Arbeitspflicht gemäß
dem neuen Hierarchiedenken die vorangegangenen 30 Jahre wohl vernachlässigt?] Also es
entstand eine ganz neue, vollkommen irrige Situation. Dann wurde mir gesagt, ich stünde
nicht loyal zum Vorstand“289, naja, weil ich Herrn Klünker mehrfach kritisiert habe.“290 „Na
Wir möchten Sie bitten, am Mittwoch, dem 17. August 2005, Ihre Diensttätigkeit sowie die Büroschlüssel Dr.
Richard Everett, dem Geschäftsführer der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V., zu übergeben.
Die hiermit ausgesprochene Kündigung bzw. Beurlaubung ist dadurch begründet, dass Ihre Tätigkeit nur in
voller Loyalität zum Arbeitgeber, d.h. der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V., vollzogen
werden kann. Nach den oben genannten Vorgängen ist die erforderliche Loyalität offensichtlich nicht mehr
gegeben und die Kündigung bzw. Beurlaubung daher leider unumgänglich.
Mit freundlichen Grüßen
Für den Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V.
Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker Justus Wittich“ Siehe Wolf-Ulrich Klünker/ Justus Wittich: Einschreiben mit
Rückschein (über Kündung/ Beurlaubung mit sofortiger Wirkung) an Judith von Halle. Stuttgart 12. August
2005.
Beurlaubung
„Sehr geehrte Frau Lechner,
in den letzten Wochen und Monaten sind gravierende Missstände in Ihrem Verantwortungsbereich im Büro des
Arbeitszentrums Berlin vorgekommen. Unter anderem sind falsche bzw. nicht genehmigte Versände getätigt, das
Schloß zum Büro ist ausgetauscht und die Computer-Passwörter sind ohne Kenntnis der Betroffenen geändert
worden. Aufgrund dieser Vorfälle, an denen Sie wissentlich beteiligt waren, sehen wir uns leider gezwungen, Sie
mit sofortiger Wirkung von Ihrem Dienst im Büro des Arbeitszentrums Berlin vorläufig zu beurlauben.
Wir möchten Sie bitten, am Mittwoch, dem 17. August 2005, Ihre Diensttätigkeit und alle Büroschlüssel an den
Geschäftsführer der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V., Herrn Dr. Richard Everett, zu
übergeben.
Die Bürotätigkeit, die wir Ihnen anvertraut haben, kann nur in voller Loyalität zum Arbeitgeber, der
Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V., sinnvoll ausgeübt werden. Nach den oben genannten
Vorgängen ist die erforderliche Loyalität offensichtlich nicht mehr gegeben und diese Beurlaubung daher leider
unumgänglich.
Mit freundlichen Grüßen
Für den Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V.
Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker Justus Wittich“287 Siehe Wolf-Ulrich Klünker/ Justus Wittich: Einschreiben
mit Rückschein (über Beurlaubung) an Edda Lechner. Stuttgart 12. August 2005.
288 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 33.
289 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 35.
87
Klünker, habe ich in Hamburg und dann mit dieser Glosse gesagt: Du trittst auf gegen Judith
von Halle und vernebelst die ganze Sache. Das hat er ja vehement bestritten.“291 „Das ist
meines Erachtens in erster Linie die Opposition gegen Judith [von Halle] und erst in zweiter
Linie eine Opposition gegen mich, weil – ich sage das Ernste jetzt mal scherzhaft – ich schon
lange der ungeliebte Bruder, das rote Tuch für diese Leute bin.“292
„Mein Anwalt sagte mir“, so JvH weiter, „ich solle Anzeige [gegen DH] erstatten. Ich habe
das nicht getan, weil ich nach dem Psychoterror der vergangenen Monate keine gerichtliche
Auseinandersetzung mehr wollte.“293
„Ziel der Aktion [gemeint: der Rekonstruktion der Festplatte] war es, mir nachträglich
irgendeine Verfehlung nachzuweisen, was jedoch nicht gelang. Das Einzige, was mir
290 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 36.
291 Peter Tradowsky: Interview mit der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 23. September 2006, S. 36.
292 Peter Tradowsky: Unautorisiertes Interview mit der UFK Berlin, 23. September 2006, S. 33.
293 Judith von Halle: Zusatz [zu] Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und
Datum).
88
vorgeworfen wurde, war, ich hätte ‚mein Buch [„Und wäre Er nicht auferstanden...“(2005)]
auf dem Sekretariats-PC geschrieben’. [...] Dazu ist nur zu sagen, dass ich nicht eine Zeile
meines Buches auf diesem PC verfasst habe. Man fand aber offenbar eine entsprechende
Datei, was nur daher rühren kann, dass ich einmal den Inhalt einiger Vorträge von meinem
Speicher-Stick über den Internetanschluss des Sekretariats an meinen Verleger gemailt habe.
Von verschiedenen Mitgliedern wurde mir berichtet, dass sie kurz vor der Wahl zum neuen
Mitarbeiter-Kreis, für den ich mich auf Bitten der Mitgliedschaft wieder um die Stelle als
Sekretärin beworben hatte, von Herrn Wilhelmi angerufen worden waren. In diesen
Telefongesprächen hatte Herr Wilhelmi den Mitgliedern seine Unterstellungen kundgetan.
Offenbar sollte bemängelt werden, dass ich private Arbeiten im Sekretariat erledigt hätte, und
auf diese Weise die Mitglieder davon überzeugen, dass ich für die Stelle im Sekretariat
ungeeignet sei. [...] Mein Mann befragte später Herrn Wilhelmi, ob es stimme, dass er
Mitglieder angerufen habe, um diese Aussagen zu verbreiten. Herr Wilhelmi bestätigte unter
Zeugen (z.B. Herrn Hans-Diethelm Woböck), dass er über Hundert Mitglieder darüber
telefonisch informiert habe.“294
MK äußerte sich über die Kündigungs- bzw. Beurlaubungsgründe wie folgt: „1. Martin
Kollewijn (M.K.) nennt aus seiner direkten Wahrnehmung als Mitarbeiter des AZB und
Teilnehmer des Hauskreises die Gründe, die im August 2005 von Seiten des Vorstandes der
AGiD zur „fristlosen Kündigung/ Beurlaubung“ des Arbeitsverhältnisses von Edda Lechner
(E.L.), Peter Tradowsky (P.T.) und Judith von Halle (J.v.H.) geführt haben könnten.
2. M.K. betont, dass E.L. lediglich die Verweigerung der Mitarbeit am Versand eines zweiten
Protokolls (Fassung von Kollewijn & Wilhelmi) im Juni 2004 angelastet werden kann.
3. M.K. beanstandet an P.T.s Tätigkeit, dass dieser die Auswechselung des Schlosses zum
Büro des Rudolf-Steiner-Hauses veranlasst hat. Des Weiteren hat P.T. als Schatzmeister die
Mitgliederzahlen regelmäßig heruntergestuft und J.v.H. die Manipulation der
Mitgliederzahlen im Computer eintragen lassen. Dies tat er, einerseits um die nichtzahlenden
Mitglieder [aus Solidaritätsgründen] aus der Buchführung auszuklammern und andererseits
um nur einen nach unten korrigierten Beitrag an die Kassen der AGiD und der AAG abführen
zu müssen.
4. M.K. bestätigt die Kündigungsgründe des Vorstands („gravierende Missstände in Ihrem
Verantwortungsbereich im Büro“) gegenüber J.v.H. mit folgenden Punkten:
294 Judith von Halle: Zusatz [zu] Meine Darstellung zum Hergang bzgl. Passwort und Schloß. (ohne Ort und
Datum).
89
a. Nach Auftreten der Stigmatisation hat J.v.H. die Verwaltung der Mitgliederkartei im
Speziellen und die Bürotätigkeit im Allgemeinen zunehmend vernachlässigt. Darauf
wurde durch ein Schreiben von Herrn Hassler aus Dornach aufmerksam gemacht.
b. Die Vorbereitung der organischen Architekturausstellung 2005, die J.v.H. als Dipl.-Ing.
der Architektur und Sekretärin des AZB mittragen wollte, blieb schließlich allein an M.K.
hängen, da die erwartete Mitarbeit von J.v.H., wohl bedingt durch die Stigmatisation und
die körperlich Umstellung der Nahrungslosigkeit, ausblieb. Als M.K. J.v.H anbot, ihren
Arbeitsausfall durch Ausgliederung bestimmter Arbeitsbereiche an Ika Schier
aufzufangen, verweigerte sie ihre Zustimmung.“295
7. 3. Die Reaktionen der Betroffenen auf die Kündigungen bzw. Beurlaubung
PT protestierte zunächst gegen die Kündigung296 und strengte dann mit Hilfe des
Rechtsanwaltsbüros Danckert – Böx – Meier Kündigungsschutzklage gegen die AGiD an,
welche von der Kanzlei Barkhoff & Partner vertreten wurde. JvH erhob ebenfalls
Kündigungsschutzklage, nahm diese aber zurück, nachdem es zu einer außergerichtlichen
Einigung in Form eines Aufhebungsvertrags zwischen ihr und der AGiD Ende November
2005 kam.297 Edda Lechner kündigte auf die Beurlaubung hin selbst ihren Arbeitsvertrag.298
295 Martin Kollewijn: Gesprächsprotokoll der UFK, erstellt von Rahel Uhlenhoff, Berlin 15. November 2006.
296 „KORRIGIERTE FASSUNG An den Vorstand der Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland e.V.
Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit protestiere ich gegen die von Ihnen mit Schreiben vom 12. August,
zugestellt per Fax am 15. August, 17.05 Uhr, ausgesprochene Widerrufung der mir erteilten Vollmachten sowie
gegen die vorläufige Beurlaubung bzw. Dienstbefreiung von meiner Tätigkeit als Schatzmeister des
Arbeitszentrums Berlin.
Die mir gemachten Vorwürfe weise ich hiermit kategorisch zurück und fordere innerhalb der
Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V. eine unabhängige Prüfung aller damit verbundenen
Vorgänge. Außerdem bin ich der Auffassung, dass eine solche Amtsenthebung nicht ohne Wissen und gegen den
Willen der Berliner Mitgliedschaft durchgeführt werden kann. Die Absetzung eines Schatzmeisters mit
sofortiger Wirkung ist meines Erachtens nur bei Untreue möglich.
Im Übrigen behalte ich mir in dieser Angelegenheit alle rechtlichen Schritte ausdrücklich vor.
Hochachtungsvoll,
Peter Tradowsky,
Schatzmeister und Geschäftsführer
P.S. Die Dienstgeschäfte kann ich nicht am 17. August 2005 an Dr. Everett übergeben, da ich – wie Ihnen
durchaus bekannt ist – nicht in Berlin bin. Es ist nunmehr das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass meine
Abwesenheit ausgenützt wird, um Schritte gegen mich einzuleiten.
Ich werde die Vertreter der Arbeitszentren von diesen Vorgängen unterrichten.“ Siehe Peter Tradowsky:
(Antwortschreiben) KORRIGIERTE FASSUNG an den Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in
Deutschland e.V. Berlin 15. August 2005.
297 „Aufhebungsvertrag
Die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland e.V., Stuttgart, und Judith von Halle, Berlin, schließen
folgenden Aufhebungsvertrag:
Präambel
Die Parteien führen einen Rechtsstreit über die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses der Frau von Halle
vor dem Arbeitsgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 35 Ca 19069/05. Darüber hinaus sind zwischen den
Parteien verschiedene Rechtsfragen (beispielsweise zur Qualifikation des Beschäftigungsverhältnisses als
Honorar oder als Arbeitsverhältnis etc.) streitig. Zur Beilegung sämtlicher Streitigkeiten treffen die Beteiligten
folgende Vereinbarungen:
90
Ein außergerichtlicher Aufhebungsvertrag zwischen PT und der AGiD wurde zum Dezember
2005 aufgesetzt, scheiterte jedoch an der Uneinigkeit der Parteien. Das Arbeitsgericht Berlin
verkündete am 08. Februar 2006 in Sachen Kläger PT gegen den Beklagten AGiD unter dem
Geschäftszeichen 77 Ca 18979/05 folgendes Urteil:
I. „Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose
Kündigung des Beklagten vom 12. 08. 2005 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 28. 02.
2006 fortbestehen wird.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger und der Beklagte jeweils zur Hälfte zu
tragen.
IV. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.217,74 EUR festgesetzt.“299
Tatbestand
„Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom
12.08.2005 nicht beendet wurde;
2. festzustellen, dass der zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertrag ungekündigt fortbesteht,
1. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Beschäftigungsverhältnis
mit Ablauf des 31. 12. 2005 endet. Eine Entscheidung darüber, ob es sich bei dem
Beschäftigungsverhältnis um ein Honorarverhältnis oder ein Arbeitsverhältnis handelt, wird hiermit
nicht getroffen. Die Beteiligten vereinbaren, dass sie diese Frage auch nicht mehr zur gerichtlichen oder
behördlichen Überprüfung stellen werden. Frau von Halle wird auch weiterhin bis zum 31.12.2005 von
jeder Tätigkeit für das Arbeitszentrum Berlin freigestellt.
2. Bis zum 31. 12 .2005 zahlt die Anthroposophische Gesellschaft Frau von Halle ein monatliches
Honorar von 1.250,00 € zuzüglich Umsatzsteuer. [...] Für die Honorierung der gehaltenen Vorträge
werden 50 Prozent der Einnahmen als Honorar vereinbart. [...]
3. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass alle Frau von Halle erteilten Vollmachten im Rahmen der
Verwaltung des Arbeitszentrums Berlin bereits erloschen sind. [...]
4. Die Beteiligten vereinbaren, dass nach Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags die im Rahmen der
Kündigungsschutzklage entstandenen anwaltlichen Kosten Frau von Halles sowie die Gerichtskosten zu
zwei Dritteln von der Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland e.V. und zu einem Drittel von
Frau von Halle übernommen werden.
5. Die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland e.V. verpflichtet sich, binnen einer Woche nach
Unterzeichnung dieser Vereinbarung durch beide Beteiligten die Kündigungserklärung vom 12. 08.
2005 schriftlich gegenüber Frau von Halle zurückzunehmen.
6. Frau von Halle verpflichtet sich, binnen einer Woche nach Zugang der unter der vorherigen Ziffer
genannten Rücknahmeerklärung gegenüber dem Arbeitsgericht Berlin die Kündigungsschutzklage
zurückzunehmen.
7. Mit der Erfüllung der obigen Vereinbarungen sind sämtliche gegenseitigen Ansprüche der Beteiligten
aus dem Beschäftigungsverhältnis abgegolten.
(Unterzeichnet: 25. 11. 2005 Judith von Halle, 30. 11. 2005 Wolf-Ulrich Klünker, Justus Wittich)“ Siehe
Aufhebungsvertrag zwischen der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V. und Judith von
Halle. 25./30. 11 .2205.
298 Kündigung
„Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit kündige ich meinen Arbeitsvertrag für geringfügige Beschäftigte vom 30. 11. 2000 zum nächstmöglichen
Termin. Mit freundlichen Grüßen (Unterzeichnet: Edda Lechner)“ Siehe Edda Lechner: Kündigung an den
Vorstand der Landesgesellschaft in Deutschland. Berlin 31. 8. 2005.
299 Arbeitsgerichts Berlin: Urteil 08. 02 .2006, AZ 77 Ca 18979/05. Peter Tradowsky./.Anthroposophische
Gesellschaft in Deutschland e.V. Berlin 08. 02. 2006, S. 3f.
91
hilfsweise,
3. festzustellen, dass der zwischen den Parteien bestehende Honorarvertrag ungekündigt fortbesteht.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise beantragt der Beklagte,
für den Fall, dass das Gericht nicht von einem Honorarverhältnis, sondern von einem Arbeitsverhältnis
ausgehen sollte, das Kündigungsschutzgesetz für anwendbar hält und eine Sozialwidrigkeit der
fristlosen, in eine fristgemäße Kündigung umgedeuteten Kündigung annehmen sollte,
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
Der Kläger beantragt,
den Auflösungsantrag zurückzuweisen.“300
[...]
Entscheidungsgründe
„Zwischen den Parteien besteht ein Arbeitsverhältnis, das durch Kündigung des Beklagten vom 12. 08. 2005
nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist, sondern mit Wirkung zum 28. 02. 2006 mit Ablauf der
Kündigungsfrist gem. § 622 Abs. 2 Ziffer 6. BGB aufgelöst werden wird. [...]
Die von dem Beklagten für die Zeit bis zum Ausspruch der Kündung gegenüber dem Kläger erhobenen
Vorwürfe sind nicht geeignet, einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. [...]
Die Kündigung vom 12.08.2005 ist jedoch gem. § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umzudeuten und
führt mit Ablauf der Kündigungsfrist zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.“301
Zur Autonomiefrage der Arbeitszentren der AGiD führt das Arbeitsgericht Berlin Folgendes aus:
„Gem. § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB kann der Umfang der Vertretungsmacht des Vorstandes durch die Satzung mit
Wirkung gegen Dritte beschränkt werden. In der Satzung des Beklagten ist jedoch keine Beschränkung der
Vertretungsmacht nach Außen, also gegenüber Dritten geregelt, so dass zwei Vorstandesmitglieder des
Beklagten berechtigt waren, das Arbeitsverhältnis des Klägers wirksam zu kündigen. Die ‚Organstellung’ der
Arbeitszentren gem. der Ziffer 3.a. der Satzung und die Regelung in dem Statut des Beklagten über die
Untergruppe des Beklagten beinhalten jedenfalls keine nach Außen wirksame Beschränkung der
Vertretungsmacht des Vorstandes des Beklagten. Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit
dem Beklagten kommt es nur auf die Vertretungsmacht des Vorstandes nach Außen an.“302
7. 4. Die Konsequenzen der Kündigungen bzw. Beurlaubung
Die Rechtsanwälte der AGiD aus der Kanzlei Barkhoff & Partner interpretierten in einem
Schreiben an Richard Everett, dass das Urteil mehr zugunsten der AGiD und weniger
zugunsten von PT entschieden wurde:
300 Arbeitsgerichts Berlin: Urteil 08. 02. 2006, AZ 77 Ca 18979/05. Peter Tradowsky./.Anthroposophische
Gesellschaft in Deutschland e.V. Berlin 08. 02 .2006, S. 3f.
301 Richter Fuchs des Arbeitsgerichts Berlin: verkündet Urteil zu 77 Ca 18979/05 in Sachen:
302 Arbeitsgerichts Berlin: Urteil 08. 02. 2006, AZ 77 Ca 18979/05. Peter Tradowsky./.Anthroposophische
Gesellschaft in Deutschland e. V. Berlin 08.02.2006, S. 5-7.
92
„Den Urteilsgründen (ab Seite 5) können Sie entnehmen, dass wir das Verfahren insgesamt erfolgreich
abgeschlossen haben. Der bisher etwas unklare Urteilstenor erklärt sich nun so, dass das Gericht zwar die
fristlose Kündigung als unwirksam ansah, aber unserem Antrag auf Umdeutung der fristlosen in eine
fristgerechte Kündigung stattgegeben hat. Deshalb endet das Arbeitsverhältnis zum 28. 2. 2006 mit Ablauf der
ordnungsgemäßen Kündigungsfrist.“303
JvH, EL und PT berichten über den Ausgang des Rechtsstreites vor dem Arbeitsgericht Berlin
im April 2006 in einem Informationsbrief
„an die Mitglieder des Arbeitzentrums Berlin, [...] an die Arbeitszentren und Zweige in Deutschland sowie an
die Freunde außerhalb Berlins“304, in dem sie mit Sorge darauf aufmerksam machen, „dass die Autonomie aller
Arbeitszentren rechtlich durch die jetzt gültige Satzung der Landesgesellschaft nicht gegeben ist. Das
Vorgehen des Landesvorstandes im Berliner Arbeitszentrum war nur auf diesem Hintergrund überhaupt möglich,
wobei der Vorstand der Landesgesellschaft die in den Statuten der Weihnachtstagung festgelegte Autonomie
missachtet hat. Die Autonomie der Arbeitszentren war und ist daher rechtlich ausschließlich von dem
Verständnis des jeweiligen Vorstandes bezüglich der Intentionen Rudolf Steiners abhängig.
Willkürliche Entscheidungen des Vorstandes ohne Wissen und Willen der Arbeitszentren sind somit jederzeit
möglich. Dieser Zustand bedarf unbedingt einer Klärung und Änderung auf der nächsten
Mitgliederversammlung, wenn die Autonomie der Arbeitszentren keine Worthülse bleiben, sondern mit
wirklichem Leben erfüllt werden soll. [...] Wir erinnern daran, daß der Vorstand en bloc als Gremium zu den
‚Stigmatisationsphänomenen’ in den ‚Mitteilungen’ (September 2005) in entschiedener und kritischer Weise
Stellung genommen und [diese] mit den angeblichen Kündigungsgründen vermengt hat. Der Eingriff des
Vorstandes in die Rechtssphäre (Kündigung der betreffenden Mitarbeiter) ist doch unmittelbarer Ausdruck der
geäußerten Geisteshaltung.
[...]
Die Mitglieder sollen wissen, dass die Folgen der Kündigungen enorme Kosten verursacht haben. Auf unserer
Seite allein sind etwa 10.000 Euro für Anwaltskosten, Versand und Informationspost etc. angefallen. Auf Seiten
der Landesgesellschaft sind zweifelsfrei erheblich höhere Kosten entstanden [...] Außerdem haben viele Berliner
Mitglieder aus Protest gegen das Vorgehen des Vorstandes Beiträge und Spenden verweigert, wodurch sich
allein im Jahr 2005 im Arbeitszentrum Berlin eine Mindereinnahme von 42.000 Euro ergeben hat. Dadurch
konnte das Arbeitszentrum nicht – wie vorgesehen – 35.000 Euro an die Landesgesellschaft und das
Goetheanum zahlen. [...]
[Klärungsgespräche des Berliner Konflikts] hätten vor der Wahl zur Geschäftsführung und zum Initiativen-Kreis
vom März 2006 stattfinden müssen.
Da dies ausblieb, hat sich unseres Erachtens der an uns haftende Makel auf das Wahlergebnis ausgewirkt, das
wir dennoch akzeptieren. Die neuen Geschäftsführer sind jetzt Hans-Georg Portner und Sebastian Boegner,
Schatzmeister Bernhard Szafranski. Judith von Halle und Edda Lechner wurden in ihren Initiativen mehrheitlich
bejaht, haben aber ihre Wahl nicht angenommen, weil wir im Vorfeld deutlich ausgesprochen haben, dass wir als
303 RAin Meinke: An: Richard Everett: Betreff: Anthroposophische Gesellschaft./.Tradowsky Verfahren vor dem
Amtsgericht Berlin AZ 77 Ca 18979/05. Bochum 10. 4. 2006.
304 JvH, EL und PT: (Informationsbrief über den Ausgang des Arbeitsrechtsstreites) an die Mitglieder des
Arbeitzentrums Berlin, zur Information an die Arbeitszentren und Zweige in Deutschland sowie an die Freunde
außerhalb Berlins. Berlin April 2006.
93
Team zusammenarbeiten wollen, was nur in Verbindung mit der Geschäftsführung [von PT] möglich gewesen
wäre.
Wir nehmen traurigen Herzens von unserer Arbeit für das Rudolf Steiner Haus Abschied, die wir mit
Zustimmung vieler Mitglieder über 20 Jahre durchgetragen haben. Hoffentlich verlieren nun nicht etwa 220–250
bisher auch im Rudolf Steiner Haus aktiv gewesene Menschen, (die uns bei 517 abgegebenen Stimmen
unterstützt haben), ihre Wirkensstätte, weil sie sich dort nicht mehr recht beheimatet oder vertreten fühlen.
Wir wollen selbstverständlich die spirituelle Arbeit für die Anthroposophie Rudolf Steiners mit allen unseren
Kräften fortsetzen, indem wir für alle interessierten Menschen demnächst eine neue Initiative ins Leben
rufen.“305
7. 5. Gründung der Freien Vereinigung für Anthroposophie
PT, JvH, EL u. v. m gründen am 25. Mai 2006 den extern sog. Verein Freie Vereinigung für
Anthroposophie, auch Morgenstern Vereinigung genannt. Die intern sog. „Initiative ‚Freier
Zusammenschluß für spirituelle Wirklichkeit’ versteht sich als eine Initiative auf sachlichem
Felde innerhalb der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft mit ihrem Sitz in Dornach
(Schweiz) gemäß § 11 der Weihnachtstagung[sstatuten von] 1923/24 als eine autonome
Gruppe.“306 „Die Initiative ‚Freier Zusammenschluß für spirituelle Wirklichkeit“ will einen
Umkreis für die Arbeit von Judith von Halle bilden und sie bei der Erfüllung ihrer Aufgabe,
für die Gegenwart und Wirklichkeit Christi zu zeugen, unterstützen. In diesem
Zusammenschluß soll sich jeder Mensch, dem ein Vertiefen seines Christusverständnisses
durch die Anthroposophie am Herzen liegt, beheimatet fühlen.“307 „Die anthroposophischen
Initiativen umfassen sowohl alle geisteswissenschaftlichen (anthroposophischen) Fachgebiete
wie auch alle künstlerischen Bereiche, die durch Rudolf Steiner neu geschaffen und befruchtet
wurden.“308
„Soweit rechtlich unabdingbar fungiert der am 11. April 2006 in das Vereinsregister des
Amtsgerichts Charlottenburg eingetragene ‚Verein zur Förderung der anthroposophischen
Arbeit Berlin e.V.’ als notwendiger Rechtsträger und Rechtsinstrument. Als Förderverein
versteht sich der Verein als reiner Dienstleister und verfolgt als solcher ausschließlich diesen
Zweck. [...] In drei verschiedenen Formen kann an der Initiative für spirituelle Wirklichkeit
teilgenommen werden:
• Als aktiv unterstützender Teilnehmer (geistig wie finanziell).
305 JvH, EL und PT: (Informationsbrief über den Ausgang des Arbeitsrechtsstreites) an die Mitglieder des
Arbeitzentrums Berlin, zur Information an die Arbeitszentren und Zweige in Deutschland sowie an die Freunde
außerhalb Berlins. Berlin April 2006.
306 Peter Tradowsky: Freier Zusammenschluß für spirituelle Wirklichkeit. Berlin Osterzeit 2006.
307 Peter Tradowsky: Freier Zusammenschluß für spirituelle Wirklichkeit. Berlin Osterzeit 2006.
308 Verein zur Förderung der anthroposophischen Arbeit Berlin e. V.: Satzung. Berlin 24. Januar 2006.
Eintragung im Vereinsregister am 11. April 2006.
94
• Als Interessent, der seine Adresse mit dem Wunsch angibt, zukünftig über
Veranstaltungen oder Veröffentlichungen informiert zu werden.
• Als stiller Teilnehmer, der die Aktivitäten innerlich begleitet.“309
7. 6. Basisdemokratische versus vorstandsobrigkeitliche Versammlungen
Der Vorstand hat auf Bitte einiger IK-Mitglieder im AZB eingegriffen, weil er den IK nicht
mehr für handlungsfähig hielt. Durch die Kündigung von PT wurde der IK allerdings auch
nicht handlungsfähiger, sondern einige Mitglieder, die PT, JvH und EL unterstützten, wurden
dadurch, in ihrem Votum übergangen, nur noch wütender. Einer von ihnen ist Wolfgang
Suhrmann, der von der Mitgliederbasis aus die Initiative ergriff und eigenmächtig im Namen
des AZB die Mitglieder zu einer „verfassungsgebenden Versammlung“ zum 4. September
2006 aufrief.310 MO, WUK und JW teilen Wolfgang Suhrmann im Namen des deutschen
Vorstands schriftlich mit, dass er zwar zur Einladung einer unverbindlichen
Mitgliederzusammenkunft befugt, aber nicht zu einer verfassungsgebenden Versammlung
berechtigt sei.311 Die Haltung des Vorstands steht der Haltung einiger Berliner Mitglieder
gegenüber. Und da das AZB keine eigene geschriebene Verfassung hat, berufen sich die
Vorstandsmitglieder auf die Satzung der AGiD und die Berliner Mitglieder auf ihre
basisdemokratischen Vereinsrechte sowie auf die Autonomie des AZB. Wie in Zeiten der
Revolution üblich, wird die Legitimität der geschriebenen bzw. gewohnheitsrechtlichen
Verfassung in Frage gestellt und diejenige neue Verfassung, die sich durchsetzt, gewinnt an
Legitimität.
Bei der von Herrn Suhrmann einberufenen Versammlung waren von ca. 800 Berliner
Mitgliedern 49 Mitglieder anwesend, wodurch diese jedoch nicht die zur
Abstimmungsfähigkeit notwendige 10-%-Hürde erreichten. Dennoch stimmten die
anwesenden Mitglieder in einer vermeintlichen Wahl über die bisherigen IK-Mitglieder ab,
bei der Martin Kollewijn zwar mehrheitlich abgewählt, aber aufgrund der bedingten
Abstimmungsberechtigung und der mangelnden Unterstützung durch den Vorstand nicht
entlassen wurde. Diese Mitglieder hatten nun ein vitales Interesse daran, dass ihre
Abstimmungsergebnisse bei der vom Vorstand einberufenen „außerordentlichen
309 Peter Tradowsky: Freier Zusammenschluß für spirituelle Wirklichkeit. Berlin Osterzeit 2006.
310 Wolfgang Suhrmann: Rundschreiben an die Mitglieder des Arbeitszentrums Berlin und Aufruf zur 1.
verfassungsgebenden Versammlung. Berlin 21. August 2005.
311 Vgl. dazu: Mechtild Oltmann-Wendenburg/Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker/Justus Wittich: (E-Mail an
Wolfgang Suhrmann) Bezug nehmend auf Ihr „Rundschreiben an die Mitglieder des Arbeitszentrums Berlin und
Aufruf zur 1. verfassungsgebenden Versammlung“. Stuttgart 26. August 2005.
95
Versammlung der Mitglieder“312 vom 11. September 2006 zuallererst zur Abstimmung
gebracht und dadurch rückwirkend legitimiert würden. Der Vorstand und die vorstandsloyale
IK-Fraktion wollten aber genau dies dadurch verhindern, dass sie ihre Tagesordnung zu aller
erst zur Abstimmung stellten, in der die Ergebnisse der basisdemokratischen Versammlung
bewusst nicht vorgesehen waren.313
Sebastian Boegner, der auf der Mitgliederversammlung anwesend war, berichtet: „Und in der
Tagesordnung war nach der Begrüßung, ich glaube als TOP 2, die Annahme der
Tagesordnung, wie sich das so gehört. Und als wir dann bei diesem TOP 2 waren, gab es von
Herrn Domeyer einen ganz normalen Geschäftsordnungsantrag, zur Umstellung der Punkte in
der Tagesordnung, nämlich TOP 4 und TOP 3 umzutauschen. Und dann hat es der Vorstand
wirklich mit Aufbietung sämtlicher Kräfte von Nana Göbel und Herrn Schmock geschafft, es
eine ¾ Stunde lang zu verweigern, dass auf diesen nach Vereinsrecht sofort abzustimmenden
Geschäftsordnungsantrag überhaupt eingetreten wird. Ja wirklich: Wir treten darauf nicht ein,
nein, wir machen das nicht, ohne dafür natürlich eine einzige stichhaltige Begründung haben
zu können. Dabei wurde der Saal natürlich immer aufgeregter, weil das Verhalten ein
absolutes Unding war, da man im Vereinsrecht einfach darüber abstimmen muss, ob es einem
passt oder nicht. Und das hat der Vorstand aktiv verweigert. Und just in dem Moment, wo
Michael Schmock sich endlich ein Herz gefasst hatte und diese Abstimmung machen wollte,
in dem Moment stehen Frau Göbel und Frau Oltmann auf und verlassen den Saal und
sprengen damit aktiv die Sitzung.“314
Die Frage war nun, wie sich in dieser verfahrenen und chaotischen Situation wieder eine
tragbare Struktur in das AZB bringen ließe. Moritz Christoph und Sebastian Boegner, die im
Laufe der eskalierenden Mitgliederzusammenkünfte schon am 16. April 2005 ein klärendes
312 Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, Arbeitszentrum Berlin: Einladung zu einer
außerordentlichen Versammlung der Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland e.V.,
Arbeitszentrum Berlin. Berlin 11. September 2005.
313 Dazu DH: „Vor der Versammlung wollte [Wolfgang] Suhrmann seine blauen Blätter auf jeden Sitz legen
(‚Beschlussprotokoll der 1. verfassungsgebenden Versammlung vom 4. 9.’). Ich war gestern alleine als nicht-
Tradowsky Anhänger im Saal und habe ihm das untersagt, wenn er nicht vorher die Erlaubnis des (noch nicht
eingetroffenen) Versammlungsleiters einholt. Er begann dann trotzdem sie auszulegen, gab aber auf, als ich sie
ihm sofort wieder hinter ihm einsammelte. Dann habe ich den Saal erst einmal verschlossen bis die Einladenden
eintrafen. Diese Suhrmänner verstehen nur Taten.“ Siehe Detlef Hardorp: E-Mail Betreff: Lageeinschätzung
nach der MV in Berlin. An: WUK, MO, JW, AGiD.Deutschland@t-online.de; Ditlinde Thurm, Hartwig Schiller,
Michael Schmock, NG, Bodo v. Plato, MW, Froeydis Lutnaes Mast, Richard Everett. 12. September 2005.
„Mein Geschäftsantrag war, über die vorgeschlagene TO des Vorstandes abzustimmen. [Michael] Domeyer
wollte über eine andere TO abstimmen lassen. Andere TO kann man viele aufstellen. Die richtige Reihenfolge“
ist entscheidend. Doch damit hätte der Vorstand die Definitionskompetenz über die Tagesordnung aus den
Händen gegeben. Deshalb meint DH, „dass das nicht-Abstimmung über die TO dennoch Vorteile gebracht hat:
wäre die vorgeschlagene TO von der Mehrheit der anwesenden Mitglieder abgesetzt worden, sieht der Vorstand
natürlich noch dümmer aus.“ Siehe Detlef Hardorp: (E-Mail) Betreff: Lageeinschätzung nach der MV in Berlin,
an NG, AGiD, WUK, MO, Hartwig Schiller, Michael Schmock, Ditlinde Thurm, JW, Richard Everett, MK,
MW, Froeydis-Lutnaes Mast. 12. September 2005.
314 Sebastian Boegner: Interview der Urteils-Findungs-Kommission. Berlin 26. November 2006, S. 29.
96
Papier über einen neuen Wahlmodus des IK vorgelegt, fanden sich nun in einer von Hans-
Georg-Portner ins Leben gerufenen Strukturgruppe ein, die prinzipiell allen konstruktiv
arbeitenden Berliner Mitgliedern offen stand, und die auf die Erstellung einer neuen Satzung
hin arbeitete. An der Strukturgruppe beteiligten sich u. a. EL, MK, MW und PT. Und aus
ihren Reihen gingen dann auch die neuen Gegenkandidaten zu EL und PT hervor: Sebastian
Boegner und Hans-Georg Portner. Zum ersten Mal in der Geschichte des AZB kam es zu
einer Stichwahl, bei der PT als Geschäftsführer gegen Hans-Georg Portner und EL gegen
Sebastian Boegner unterlag, JvH allerdings in den IK gewählt wurde, aber ohne die
Zusammenarbeit mit PT und EL ihre Wahl nicht annahm. Auf der Mitgliederversammlung
vom 31. März 2006 wurde der ehemalige Initiativkreis in einen Initiativen-Kreis umbenannt
und seine Mitglieder neu gewählt: Sebastian Boegner (Vertreter des AZB), Christiane Brunk,
Hans-Goerg Portner (Geschäftsführer), Lothar Steinmann, Bernhard Szafranski
(Schatzmeister). Allein MK wurde als altes IK-Mitglied in den neuen IK gewählt.
Nach dieser Wahlniederlage von PT und mit der Gründung der Freie Vereinigung für
Anthroposophie verlagerte sich die Initiative des Dreigespanns PT, JvH, EL vom örtlichen auf
das sachliche Feld. Gleichwohl bedurfte die Freie Vereinigung für Anthroposophie eines
Ortes, der ihrem Impuls die physische Hülle geben könnte. Und da EL, JvH und PT bisher
ohnehin im Hauskreis des Rudolf-Steiner-Hauses gearbeitet und es im Mittwochskreis mit
anthroposophischem Leben erfüllt hatten und einige Mitglieder und IK-Mitglieder das Haus
des AZB nach dem Mauerfall ohnehin von Dahlem nach Berlin Mitte verlegen wollten, stellte
sich nun die Frage, ob die Freie Vereinigung für Anthroposophie das Rudolf Steiner Haus
übernehmen oder dieses beim AZB verbleiben sollte. Nachdem eine Abstimmung der
Berliner Mitglieder ergab, dass nicht nur die Mitglieder um PT, sondern auch jene um MK
das Rudolf Steiner Haus als Wirkensstätte ihres anthroposophischen Lebens betrachteten und
behalten wollten, blieb das Rudolf Steiner Haus weiterhin Sitz des AZB und rechtlich in den
Händen der AGiD. Die Freie Vereinigung für Anthroposophie hält seither ihre
Veranstaltungen in Berlin in der Rudolf Steiner Schule Berlin-Dahlem oder der Eurythmie
Schule ab.
Nach dieser Wahlniederlage von PT und mit der Gründung der Freie Vereinigung für
Anthroposophie verlagerte sich die Initiative des Dreigespanns PT, JvH, EL vom örtlichen auf
das sachliche Feld. Gleichwohl bedurfte die Freie Vereinigung für Anthroposophie eines
Ortes, der ihrem Impuls die physische Hülle geben könnte. Und da EL, JvH und PT bisher
ohnehin im Hauskreis des Rudolf-Steiner-Hauses gearbeitet und es durch den Rudolf-Steiner-
Zweig mit anthroposophischem Leben erfüllt hatten und einige Mitglieder und IK-Mitglieder
97
das Haus des AZB nach dem Mauerfall ohnehin von Dahlem nach Berlin Mitte verlegen
wollten, stellte sich die nun Frage, ob die Freie Vereinigung für Anthroposophie das Rudolf
Steiner Haus übernehmen oder dem AZB überlassen sollte. Doch nachdem eine Abstimmung
der Berliner Mitglieder ergab, dass nicht nur die Mitglieder um PT, sondern auch jene um MK
das Rudolf Steiner Haus als Wirkensstätte ihres anthroposophischen Lebens betrachteten und
behalten wollten, blieb das Rudolf Steiner Haus weiterhin Sitz des AZB und rechtlich in den
Händen der AGiD. Die Freie Vereinigung für Anthroposophie hält seither ihre
Veranstaltungen in Berlin in der Rudolf Steiner Schule Berlin-Dahlem oder der Eurythmie
Schule ab.
8. Zusammenfassung und Ausblick
8. 1. Zusammenfassung der Krise
Der Berliner Krise von 2003 bis 2006 ging die Berliner Krise von 1977 bis 1979 voran. 1979
spaltete sich der IK an der ebenso geistigen wie wirtschaftlichen Hauskauffrage, also der
Frage, welches Haus an welchem Standort der anthroposophischen Arbeit in Berlin die
geeignete physische Hülle geben könnte, in zwei Parteiungen: eine IK-Mehrheit, der damals
u. a. der junge Herrmann Girke und PT angehörten, und einer IK-Minderheit, der damals
Bodo Hamprecht und Wolf-Achim Fingerhuth angehörten. Während Erstere ihre
Wirkensstätte einige Jahre später im Rudolf Steiner Haus in Berlin-Dahlem fand, gründete
Letztere den Johannes-Zweig und hatte ihren Wirkungsraum hauptsächlich in Berlin-
Kreuzberg. Diese Auseinanderdividierung der Geistesrichtungen hätte vierzehn Jahre danach
mit der Wende und dem Berliner Mauerfall aufgrund der neuen geopolitischen Situation
ebenfalls eine Wende nehmen können. Die mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung
gegebene Chance zur Wiedervereinigung der beiden Strömungen wurde zwar von PT und
MW kurzzeitig aufgegriffen, verlief aber dann doch im Berliner Sande. Wiederum vierzehn
Jahre später oder, von 1979 an gerechnet, achtundzwanzig Jahre später brach die Spaltung
unter leicht veränderten Konstellationen geistig an dem Stigmatisationsphänomen von 2004,
also an der physischen Hülle von JvH, und wirtschaftlich an der Bezahlung für PT und MK
bei knapper werdendem Haushalt auf. Da weder die geistige Frage noch die wirtschaftliche
Frage zeitnah, konstruktiv und befriedigend gelöst wurden, verlagerten sich beide disparaten
Problemebenen auf die vereinsrechtliche Ebene, verknäulten sich dort miteinander zu einem
Gordischen Knoten, der schließlich durch den Eingriff des Vorstands zwar nicht gelöst, wohl
aber durch die Kündigung gegenüber PT, JvH und EL zerschlagen wurde.
98
Während JvH und PT die geistige Frage nach der geisteswissenschaftlichen Erforschung der
Stigmatisation und Nahrungslosigkeit durch die Phantomleibs-Deutung inhaltlich
beantworteten und einen offenen Wissenschaftsdialog in Form eines Kolloquium anboten,
beantwortet die Mehrheit der IK- und Vorstandsmitglieder diese mit einem inhaltlichen
Deutungsvakuum gar nicht, sondern belegte sie lediglich mit einer formalen Gefahr- und
Schutzwarnung für das soziale Leben der AGiD. Die wirtschaftliche Frage wurde dadurch
einer Lösung zugeführt, dass PT seinen schriftlich fixierten Anstellungs- in einen
Honorarvertrag umwandelte und schließlich gekündigt wurde und damit alle Vollmachten im
AZB, inklusive des Rechts, als Lektor neue Mitglieder in die Freie Hochschule für
Geisteswissenschaft aufzunehmen, entzogen bekam. MK änderte seinen Anstellungsvertrag
zunächst nicht, wurde aber aus Kostengründen vom neuen Initiativenkreis ebenfalls
gekündigt. An beiden Fragen, die sich, wie gesagt, wegen mangelnder und mangelhafter
Lösungsanstrengungen auf die rechtliche Ebene verlagerten und dort verknäulten, spaltete
sich der IK nach achtundzwanzig Jahren, nun allerdings mit umgedrehten
Mehrheitsverhältnissen, wieder in zwei Parteiungen: auf der einen Seite standen PT und
Hermann Girke nunmehr als IK-Minderheit und auf der anderen Seite standen DH, NG, (MO)
und MW nunmehr als IK-Mehrheit. Diese Spaltung in zwei Strömungen oder Lager ist in
Berlin bisher nicht wirklich gelöst worden, sondern hat sich nunmehr von der regionalen
Ebene des AZB auf die Landesebene der AGiD bis in die Weltgesellschaft der AAG
ausgeweitet. Wird diese Krise nun wieder nicht adäquat bewältigt, so ist anzunehmen, dass
die Spaltung nach achtundzwanzig Jahren noch größere Ausmaße annehmen könnte.
8. 2. Offen gebliebene Fragen
Offen geblieben ist die geisteswissenschaftliche Erforschung der Phänomene: JvHs
Stigmatisation, Nahrungslosigkeit und ihre Fähigkeiten geistiger Wahrnehmung.
In die polarisierte Situation des IK und die mit dem Rudolf Steiner Haus Dahlem verbundene
Schlüsselposition von PT, auch in seiner Mehrfachfunktion (Geschäftsführer, Schatzmeister
des AZB, Lektor der 1. Klasse der Hochschule, Redner und Schriftsteller mit erheblichem
Umkreis) tritt unerwartet im Frühjahr 2004 das Stigmatisations-Ereignis bei Judith von Halle,
Dipl. Ing. und seit 1. 1. 2004 Sekretärin des AZB, auf. Die Überraschung ist ebenso groß wie
das zunächst völlige Unverständnis gegenüber dieser fundamentalen Verwandlung der
gesamten konstitutionellen Bedingungen des Menschseins. Neben der freundschaftlichen
Begleitung, Anteilnahme und Behütung durch PT, EL und MK wird die Sozialisierung des
Phänomens zur größten Herausforderung.
99
Wie antwortet die Anthroposophische Gesellschaft durch ihre Mitglieder, ihre
Verantwortungsträger, ihre Hochschulrepräsentanten? Gibt es 2004 eine
geisteswissenschaftliche Deutung angesichts der Tatsache, dass keine durch Schulung
erreichte Einweihung mit dem Ereignis verbunden ist? Die christlichen
Einweihungserfahrungen eines im Judentum geborenen Zeitgenossen deuten auf ein
menschheitliches Erfahrungsfeld hin, für das die Analogien aus religiös-mystischer Ekstase
keine Verständnishilfen bieten können (Anna Katharina Emmerich, Therese von
Konnersreuth). Die Situation ähnelt derjenigen, die im 1. Mysteriendrama angesichts der
Wiederkunftsschau der Theodora in den Leitworten der Maria eine Orientierung finden kann:
Maria: „Die Freundin hat es oft uns dargestellt,
Wie sonderbar es ihr ergangen.
Sie fühlte eines Tages sich wie umgewandelt.
Und nirgends konnte sie Verständnis finden.
Ihr Wesen wirkte überall Befremden nur,
Bis sie in unsere Kreise trat.
Nicht daß wir selbst begreifen könnten,
Was sie mit keinem Menschen teilt;
Doch wir erwerben uns durch unsere Denkungsart
Die volle Anteilnahme auch für Ungewohntes,
Wir lassen jede Art
Des Menschenwesens gelten.“315
Die näher und ferner mit dem Schicksal von Judith von Halle befassten Mitglieder der
Anthroposophischen Gesellschaft stehen den Tatsachen ohnmächtig gegenüber, die Hilfen
erweisen sich als unzureichend; eine bewusste gemeinsame Erkenntnisarbeit findet nicht statt.
Nur PT greift die Stigmatisationsdeutung von JvH auf und verbindet sie mit Rudolf Steiners
Darstellung des Phantomleibs. Das gleichfalls überraschende Phänomen der absoluten
Nahrungslosigkeit, die sich deutlich von der Lichtnahrung unterscheidet, bleibt ebenso
unerklärt. Auch der Vorstand der AGiD sieht keine Notwendigkeit, angesichts der
Einzigartigkeit der Stigmatisation innerhalb der AGiD zu einer vorsichtigen, sorgfältigen,
gemeinschaftlichen Verständnisbemühung Schritte zu unternehmen.
So bleibt bis heute im Mai 2008, 4 Jahre nach dem Frühjahr 2004, die Frage offen, wann und
wie wird eine angemessene Forschungsarbeit von einer Gruppe geeigneter Mitglieder
geleistet werden? Diese Frage wird umso dringlicher durch die Tatsache, dass JvH in
315 Rudolf Steiner: Pforte der Einweihung. GA 14, 1910, 1. Mysteriendrama 1. Bild.
100
Publikationen im Verlag am Goetheanum in Folge weiterführender Darstellungen ihre Schau
der Christus-Mysterien gibt, die zu den christologischen Ausführungen von Rudolf Steiner als
individuelle Forschungsergebnisse hinzutreten.
8. 3. Empfehlungen der UFK für die Behandlung gemeinschaftlicher Angelegenheiten
Die Autonomie des Individuums in allen Fragen der Erkenntnis dient als Maxime
gemeinsamer Arbeit zur sauberen Beachtung der Kompetenzen: der Mitglieder, der
Geschäftsführung, des IK, des Vorstandes. In der Theorie ist das unstrittig, in der Praxis
umkämpft. Inwieweit „etwas“ mit Anthroposophie zu tun hat, muss ein jeder für sich und
ganz allein entscheiden. Inwieweit individuelle anthroposophische Inhalte in der
Anthroposophischen Gesellschaft wirksam werden, unterliegt ebenfalls derselben Autonomie
des Individuums. Eine „geistige Leitung“ kann es aus der Sache heraus gegenüber der
Autonomie der Individuen nicht geben.
In der Sphäre rechtlicher Ordnungen unterliegen alle derselben Gesetzmäßigkeit. Sobald die
sozialen Instinkte versagen, gibt es nur noch die eindeutige schriftliche Vereinbarung
gesellschaftlicher Verfahrensweisen. Je stärker das gegenseitige Vertrauen, desto sparsamer
die Regel.
In wirtschaftlich-finanzieller Hinsicht ist die Handlungsautorität der gewählten oder
berufenen Bevollmächtigten gültig. Bei sauberer Beachtung der drei Bereiche und ihrer
spezifischen Funktionen, sind Konflikte minimierbar.
Im Presserecht, das für alle Publizistik verbindlich ist, sind die für alle gültigen Regeln
definiert. Ein elementares Recht ist z. B., am selben Ort in einem Print-Medium zu einer
Verlautbarung der Gegenpartei Stellung nehmen zu können – ohne zensurale Einschränkung!
Wird dagegen verstoßen – wie z. B. im Falle von PTs Glosse und Gegendarstellung auf
WUKs Artikel „Anthroposophie als Geistesgegenwart“ –, so verliert die Redaktion ihre
Publikationsglaubwürdigkeit und -berechtigung. Jegliche Zensur befördert die Kräfte des
Streites, speist sich aus dem Bewusstsein, allein über „die Wahrheit“ zu verfügen, verdrängt
die Auseinandersetzung in unzuständige Bereiche und lässt Macht das Recht überwältigen.
Verlautbarungen in anthroposophischen Publikationsorganen sollten nicht weniger, sondern
mehr diesem für alle gleichermaßen gültigen Recht entsprechen.
Fortschrittliche Betriebsorganisationen orientieren sich am Prinzip individueller
Verantwortlichkeit im Dienst an der gemeinsamen Aufgabe. Vokabeln wie Arbeitgeber und
Arbeitnehmer, Abhängigkeiten, Weisungsbefugnis und Vorgesetztenhierarchie sollen den
Konfliktfall handhabbar machen. Diese sind aber mit vielerlei Spielregeln verbunden, die auf
101
dem Feld von Anstellung und Kündigung von Mitarbeitern Beachtung finden müssen. Bewegt
sich die soziale Beziehung unter Anthroposophen auf diesem Niveau, so muss sie auch dessen
Regeln genügen. Das ist eine Minimalforderung. Eine anthroposophische Sozialethik geht
von anderen Voraussetzungen, Entwicklungen und Zielsetzungen aus.
Analoges gilt für das Vereinsrecht. Solange dasselbe für den Außenverkehr zur
Identifizierung der anthroposophischen Initiativen gilt, sind alle seine „essentials“ auch im
Innenverkehr zu beachten. Alle gegenwärtigen „Konstitutionsfragen“ gelten der Sehnsucht,
praktikable neue spirituelle Formen zu finden und zu bilden.
Die Verwaltung ist Teil der spirituellen Gestaltung menschlicher Zusammenarbeit. Sie darf
und soll nicht ein Eigenleben führen, kann und soll aber ganz und gar als Glied des
Organismus ihre ureigenen Funktionen zu jedem Bereich wirksam werden lassen.
Geschäftsführung lebt vom sozialen Atem der Beteiligten: Eingang und Ausgang der
Korrespondenz, Transparenz der Vorfälle und Nachvollziehbarkeit für Nichtbeteiligte. Der
Teufel steckt bekanntermaßen im Detail, in der Alltäglichkeit: diese zu durchdringen mit
Liebe, Aufmerksamkeit und Genauigkeit bildet kraftvolle soziale Organe und macht den
Organismus gegen Infekte immun. Insoweit empfiehlt es sich für die AGiD, eine
professionelle Geschäftsführung mit entsprechender Ausstattung zu installieren als
mitarbeitendes Organ im Dienste des Ganzen. Es ist angewandte moralische Technik, ohne
die bekanntlich Intuition und Phantasie wirkungslos sein müssen.
8. 4. Empfehlung der UFK zur Rehabilitierung von PT
PT hat sich weit über dreißig Jahre um die Arbeit in der Anthroposophischen Gesellschaft in
Berlin mit außerordentlichem Engagement verdient gemacht. Die Kündigung seitens des
anthroposophischen Landesvorstands hat diesem ein abruptes, menschlich zutiefst unwürdiges
und zudem Ruf schädigendes Ende gesetzt. Die UFK empfiehlt daher, dass sich die beiden
Unterzeichner der Kündigung, JW und WUK, dafür im Namen des Vorstands bei PT förmlich
entschuldigen.
8. 5. Empfehlung der UFK zur Förderung von JvH
JvH hat seit dem Auftreten der Stigmatisation, Nahrungslosigkeit und ihres erweiterten
Schauungsvermögens, der physisch-sinnlichen Zeitreise im Jahr 2004 keine Gelegenheit
ausgelassen, diese drei Phänomene geistig zu erforschen und mit Hilfe der
anthroposophischen Geisteswissenschaft verständlich zu machen, ohne dabei den
dogmatischen Anspruch zu erheben, ihre Forschungsergebnisse seien die einzige Wahrheit
102
oder letztgültige Offenbarung. Sie hat ein Forschungskolloquium über die drei besagten
Phänomene angeboten, was bisher weder vom deutschen noch vom Dornacher Vorstand
angenommen und aufgegriffen wurde. Und sie hat seither zahlreiche Vorträge gehalten und
ihre vorgetragenen geisteswissenschaftlichen Forschungsergebnisse in der Reihe „Beiträge
zum Verständnis des Christus-Ereignisses“ im Verlag am Goetheanum veröffentlicht:
• «Und wäre Er nicht auferstanden ...». Die Christus-Stationen auf dem Weg zum geistigen Menschen,
mit Beiträgen von Peter Tradowsky (2005).
• Band I: Das Vaterunser. Das gesprochene Wort Gottes.
• Band Iii: Das Abendmahl. Vom christlichen Kultus zur Transsubstantiation.
• Band II: Von den Geheimnissen des Kreuzweges und des Gralsblutes. Mysterien der Verwandlung.
• Band IV: Von Krankheiten und Heilungen, und von der Mysteriensprache in den Evangelien.
• Band V: Der Abstieg in die Erdenschichten, auf dem anthroposophischen Schulungsweg.
• «Das Christliche aus dem Holze herausschlagen». Rudolf Steiner, Edith Maryon und die Christus-
Plastik.
• Mit John Wilkes: Die Holzplastik des Goetheanum.
JvHs Bücher haben eine breite anthroposophische Leserschaft gefunden. Sie sind nach
Auskunft des Verlegers Joseph Morell die Bestseller des Verlags am Goetheanum. Aufgrund
von JvHs herausragender geisteswissenschaftlicher Forschungskompetenz316 und ihres steten
Bemühens auf dem Gebiete der Christologie, die Forschungsergebnisse von jenseits der
Schwelle der geistigen Welt in eine diesseits der Schwelle nachvollziehbare Sprache zu
übersetzen, empfiehlt die Urteils-Findungs-Kommission der Allgemeinen
Anthroposophischen Gesellschaft und/oder der Anthroposophischen Gesellschaft in
Deutschland:
1. JvHs Stigmatisation, Nahrungslosigkeit und geisteswissenschaftliche
Forschungskompetenz als Tatsachen im Rahmen der Anthroposophischen
Gesellschaft in Deutschland öffentlich anzuerkennen.
2. JvH die Möglichkeit und finanziellen Mittel zu geben, ein Kolloquium mit
fachkompetenten Menschen ihrer Wahl zusammenzustellen, das der
geisteswissenschaftlichen Erforschung der oben genannten drei Tatsachen im
theologischen Fachbereich, sowie in der medizinischen und landwirtschaftlichernährungswissenschaftlichen
Sektion dient.
3. JvH die Möglichkeit zu geben, eine Christologische oder Theologische Sektion im
Rahmen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft zu gründen und deren
Leitung zu übernehmen oder einen anderen Leiter vorzuschlagen.
316 Vgl. dazu ihre Selbstbeschreibung zu ihren drei Forschungsweisen im Geleitwort ihrer Bücher.
103
Mit diesen drei Schritten würde die Kündigung gegenüber JvH auf örtlichem Feld zwar nicht
ungeschehen, ihre Person aber gleichwohl rehabilitiert werden. Und die Gründung der Freien
Vereinigung für Anthroposophie auf sachlichem Feld könnte als mögliche Vorform einer
Sektion ernst genommen und in spirituell-sachlicher Weise in die Anthroposophische
Gesellschaft reintegriert werden.
Schlusswort
Wolf-Ulrich Klünker: „Ich wollte sagen, ein Gesamtbild ergibt sich erst und
wirklich eine Urteilsgrundlage, wenn ich nicht die Sache an sich beurteile, da
ist heute sehr viel möglich, geistig, wirtschaftlich, sonst wo [rechtlich].
Sondern wenn ich das menschliche Gesamtbild dazu in Relation setze und
wenn ich weiß, die Party ist nicht zu Ende, wenn sie zu Ende ist.“317
317 Wolf-Ulrich Klünker: Autorisiertes Interview der UFK. Hannover 25. Februar 2006, S. 7.
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